Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Isabelle Haffter

Evelyn Hofer: »Die berühmteste 'Unbekannte' Fotografin Amerikas«

Michael Buhr und Sabine Schmid (Hg.): Evelyn Hofer. In Zusammenarbeit mit dem Estate of Evelyn Hofer / Andreas Pauly, Museum Villa Stuck, München: Steidl, 2015, 288 S., 22 x 28,5 cm, zahlreiche Abb. in S/W und in Farbe, fester Einband, EUR 35.00.

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 139, 2016

Als »die berühmteste 'unbekannte' Fotografin Amerikas« bezeichnete der amerikanische Kunstkritiker Hilton Kramer die Fotografin Evelyn Hofer (1922–2009). Tatsächlich erstaunt es nach der Lektüre des Ausstellungskatalogs zur Retrospektive im Münchner Museum Villa Stuck, dass der vielseitig begabten Fotografin angesichts ihres beeindruckenden Gesamtwerks von über 200 Arbeiten bisher kein größerer Platz in der Fotografiegeschichte der Nachkriegszeit eingeräumt wurde. Den sorgfältig recherchierten und erkenntnisreichen Beiträgen der Autorinnen und Autoren ist es zu verdanken, dass dieser Katalog erstmals einen Überblick über das Gesamtwerk der Fotografin bietet.

Evelyn Hofer, 1922 in Marburg geboren, verließ 1933 zusammen mit ihren demokratisch gesinnten Eltern die deutsche Heimat um bis 1942 abwechselnd in Spanien und in der Schweiz zu leben. Nach dem gescheiterten Vorspiel für eine Klavierausbildung in Paris entschied sich Hofer Fotografin zu werden. Als Lehrtochter und Privatschülerin wurde sie u.a. von Hans Finsler, Dozent an der Gewerbeschule Zürich, in die fototästhetischen und technischen Grundlagen eingeführt. Insbesondere die Neue Sachlichkeit, wie sie Finsler vertrat, sollte Hofers zukünftiges Arbeiten beeinflussen: Neben ihrem intuitiven Gespür für interessante Motive beruht die Bildwirkung ihrer Aufnahmen auf einer präzisen Bildkomposition, der eine akribische Vor- und Nachbearbeitungsphase zugrunde lag und die fototechnische Qualität ihrer Arbeiten erklärt.

1942 emigrierte die 20-jährige Hofer mit ihrer Familie nach Mexiko. Ihre ersten Aufträge erhielt sie von Zeitschriften wie z.B. dem amerikanischen Modemagazin Mademoiselle, welches die junge Fotografin 1946 nach New York weiterempfahl. Dort angekommen, publizierte Hofer ihre Aufnahmen in den bekannten Modezeitschriften Harper`s Bazaar oder Vogue (Abb. 1) und weitete ihr Arbeitsfeld von der Modefotografie auf Werbungen und Anzeigen aus.   

Die Aufmerksamkeit der Kunstkritiker gewann Hofer mit ihren Stadtporträts. Seit den späten 1950er Jahren nahm Hofer internationale Auftragsarbeiten für Fotobücher über Florenz (1959), New York (1965) (Abb. 2), Washington (1966) oder Dublin (1967) (siehe Cover) an. Ihre Aufnahmen sollten unabhängig von den Texten der Autoren subjektive Impressionen der Städte, Landschaften und Bewohner abbilden. Ein weiteres Genre, in welchem Hofer ihre meisterhafte Fotokunst der Einfühlung unter Beweis stellte, war der fotografische Essay über die Watergate-Affäre (1974), englische Langzeit-Gefängnisinsassen (1975) (Abb. 3) oder das Leben in der IRA-Hochburg Crossmaglen (1975). Ausgerechnet diese Werkgruppe, in welcher Hofers Begabung sich auf eine fremde Umgebung und deren Menschen einzulassen und diese ungeschönt und doch würdevoll abzubilden, deutlich zutage tritt, wurde bisher von der Forschung kaum beachtet.

In den 1970er bis Mitte der 1990er Jahre erweiterte Hofer ihr Oeuvre mit Starporträts von Malern wie Andy Warhol (1980) oder prominenten Politikern wie Ted Kennedy (1979). Gleichzeitig entstanden Porträtserien von unbekannten Personen wie in Just Married (1974) oder Basque People (1980). Eine weitere Werkgattung bilden die Interieurfotografien, welche sie im Auftrag von Magazinen wie House & Garden fertigte und die in der Motivwahl, dem klassischen Bildaufbau und der Komposition bereits auf ihr Spätwerk verweisen. In den letzten Jahren ihrer Tätigkeit als Fotografin entstand eine geschlossene Werkgruppe von acht Fotografien, die dem malerischen Genre des Stilllebens zuzuschreiben sind. Diese Arbeiten bezeugen erneut Hofers fotohistorische Kenntnisse über malerische Bildkompositionen und Affekte symbolischer Bildinhalte.

2005 zog Hofer von New York zu ihrer Schwester nach Mexico-City, wo sie 2009 verstarb. Sie hinterließ nach einer 50-jährigen Tätigkeit als Fotografin ein facettenreiches Œuvre, das erstmals umfassend in der Münchner Ausstellung im Sommer 2015 und dem hier besprochenen Katalog gewürdigt wurde. Nach der ersten Hofer-Monographie des Steidl Verlags 2004 ist dieser Band in enger Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Assistenten Hofers, Andreas Pauly, entstanden, welcher den fotografischen Nachlass betreut. Werden im vorderen Buchteil die Werkgruppen mit zahlreichen Abbildungen in S/W und Farbe präsentiert, so werden im zweiten Teil die Aufnahmen innerhalb Hofers Biografie in die detailreichen Aufsätze eingebettet. Die Entstehungskontexte, fotoästhetischen Merkmale und die fotohistorische Bedeutung werden von den Autoren kritisch herausgearbeitet und innerhalb der Gebrauchs- und Kunstfotografiediskurse der Nachkriegszeit situiert.

Sabine Schmid argumentiert in ihrem Beitrag überzeugend, dass Hofer im Stil der »straight photography« die Atmosphäre eines Ortes zu einem bestimmten Zeitpunkt einfangen wollte. Weil sie ihre Plattenkamera jeweils auf einem Stativ montierte, konnte sie jedoch keine Augenblicksaufnahmen machen. Ihr durchkomponierter Stil wirkt daher eher statisch und, in Reminiszenz an Porträtgemälde und Landschaftsmalereien, zeitlos. Dieses Merkmal ihrer Modefotografien wurde mitunter kritisiert, da Hofer mehr am Einfangen der Persönlichkeit des Models interessiert schien als an der Inszenierung der Mode. Die wiederkehrenden Porträtmotive von verschmitzt, melancholisch oder stolz blickenden Handwerkern, Dienstmädchen oder Fischern drücken dennoch einen aktuellen Zeitgeist aus: In Abb. 2 kombiniert Hofer die typisch amerikanischen Leuchtreklamen einer Bar mit den verschrobenen Gesichtern einer Männergruppe. Hier verschmelzen zwei Bildgenres – Street Photography und Porträtfotografie – in ein fotografisches Kunstwerk, das an die historischen Porträtserien August Sanders erinnert und gleichzeitig ein Detail aus dem aktuellen New Yorker Großstadtleben einfängt. Wie bereits Finsler, so betonte auch Hofer die Wichtigkeit, eine intime Beziehung zu den Fotografierten aufzubauen: »In Wirklichkeit ist alles, was wir Fotografen fotografieren, wir selbst im anderen (...).« Neben sorgfältigen Recherchen halfen Hofer die Lektüre psychoanalytischer Werke C.G. Jungs ihrer Gefühle gewahr zu werden und diese in ihre Bildsprache einfliessen zu lassen.

Bernd Stiegler legt schlüssig dar, wie die Verwendung von Farbe in Hofers Werken eine „andere Metamorphose der Wirklichkeit“ zutage bringt als die bisher vorherrschenden S/W-Aufnahmen in der Kunstfotografie. Farbfotografien können, je nach Motiv, abstrakte, kontrastierende oder malerische Affekte evozieren sowie dezidiert politische Botschaft transportieren, wie z.B. die roten Mädchenstrümpfe, die an die IRA-Signalfarbe erinnern. Thomas Weski erkennt die Bildregie Hofers. Sie bedient sich hier einerseits der Typologie des irischen Mädchens aus ärmlichen Verhältnissen, andererseits entwickelt sich über den Blickaustausch zwischen dem Mädchen und der Fotografin/dem Betrachter sowie dem scheinbar zufällig im Hintergrund abgebildeten Hund ein spannungsreiches Bildnarrativ.

Der Band ist nicht zuletzt aufgrund des sorgfältig zusammengestellten Anhangs empfehlenswert, der neben biografischen Eckdaten, einer Bibliografie und einem detaillierten Abbildungsverzeichnis auch Hofers Fotobücher und Publikationen in Zeitschriften auflistet und ihre Einzel- und Gruppenausstellungen sowie ihre in Sammlungen enthaltenen Werke zusammenfasst. Es ist nicht der erste Katalog, der zu Hofers Oeuvre erschienen ist, aber der umfassendste und bestrecherchierte.

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