Heft 109 | Jg. 28 | Herbst 2008
Räumliches Sehen
Die Stereoskopie im 19. und 20. Jahrhundert
Aktstudie, Stereoskopie (Ausschnitt), um 1928
ZUM HEFT
Die Stereoskopie ist (fast) so alt wie die Fotografie und ein frühes Beispiel für die Massenproduktion von Bildern: Bereits 1851 wurden auf der Londoner Weltausstellung innerhalb von drei Monaten mehr als 250.000 stereoskopische Ansichten verkauft. Der erste Höhepunkt der Begeisterung für das räumliche Sehen fällt in die 1860er Jahre. Im Jahr 1862 verkaufte die London Stereoscopic Company über eine Million Aufnahmen und kreierte den populären Werbeslogan "Keine Familie ohne Stereoskop!" Die Stereoskopie war aber auch um die Jahrhundertwende beliebt und erlebte – was weniger bekannt ist – auch in der Zeit des Nationalsozialismus eine Renaissance. Die Beiträge beleuchten neue Facetten in der Geschichte der Stereoskopie, einem lange Zeit vernachlässigten Genre der populären Fotografie.
Timm Starl beschäftigt sich einleitend mit den sozialen Effekten des stereoskopischen Schauens. Er diagnostiziert in der apparativen Vereinzelung des stereografischen Sehens eine Tendenz zu passiven und privaten Seherlebnissen. Lars Blunck geht den in den 1850er Jahren einsetzenden Versuchen nach, das räumliche Sehen mit dem bewegten Bild in Verbindung zu bringen. Er kann zeigen, dass die Suche nach dem 3D-Film älter ist als die Geschichte des Films. Sebastian Fitzner hat die kurze Renaissance der Stereoskopie in der Zeit des Nationalsozialismus erforscht. Hitler persönlich, so argumentiert er, hat sich für das Programm des räumlichen Sehens begeistert. Der Autor untersucht, inwieweit die mediale "Raumsehnsucht" in der NS-Zeit auch mit den gesellschaftlichen und politischen Raummetaphern der Eroberung in Verbindung steht.
Die weiteren Beiträge verlassen den Themenschwerpunkt "Stereoskopie". Hans-Jürgen Lechtreck beschäftigt sich mit Roger Fentons Fotografien (1856–1858) von Gorillas im British Museum und beleuchtet die Rolle, die die Bilder in den frühen Debatten um die Evolutionstheorie spielten. Bernhard Kathan schließlich stellt ein Fotoprojekt der schwedischen Künstlerin Hanna Sjöberg vor.
BEITRÄGE
Anton Holzer: Editorial
Timm Starl: Zur Dimension von Stereobildern
Lars Blunck: "Zugleich körperlich und bewegt". Antoine Claudet, Jules Duboscq und die Anfänge der stroboskopischen Stereofotografie
Sebastian Fitzner: "Raumrausch und Raumsehnsucht". Zur Inszenierung der Stereofotografie im Dritten Reich
Hans-Jürgen Lechtreck: Evolution vor der Kamera. Roger Fenton und Richard Owen im British Museum 1856–1858
Bernhard Kathan: Außerhalb des Bildrandes. Hanna Sjöbergs "Großvaterkaleidoskop"
REZENSIONEN
Anton Holzer: Irme Schaber, Richard Whelan, Kristen Lubben (Hg.): Gerda Taro. From the Collection of the International Center of Photography – New York: International Center of Photography, Göttingen: Steidl, 2007. [Zur Rezension]
Timm Starl: Sarah Greenough and Diane Waggoner with Sarah Kennel and Matthew S. Witkovsky: The Art of the American Snapshots 1888 – 1978. From the Collection of Robert E. Jackson – Washington: National Gallery of Art in association with Princeton University Press, 2007. [Zur Rezension]
Benjamin Städter: Jörn Glasenapp: Die deutsche Nachkriegsfotografie. Eine Mentalitätsgeschichte in Bildern – München: Wilhelm Fink Verlag 2008. [Zur Rezension]
Jörn Glasenapp: Anthony W. Lee und Richard Meyer: Weegee and Naked City, Defining Moments in American Photography, Volume 3. Berkeley: University of California Press 2008. [Zur Rezension]
Anton Holzer: Frankierte Fantastereien. Das Spielerische der Fotografie im Medium der Postkarte. Aus den Postkartensammlungen von Gérard Lévy und Peter Weiss, hg. von Clément Chéroux und Ute Eskildsen, mit einem Text von Clément Chéroux – Göttingen: Steidl, 2007. [Zur Rezension]
Ute Wrocklage: Emmanuel Guibert, Didier Lefèvre, Frédéric Lemercier: Der Fotograf; Band 1: In den Bergen Afghanistans; Band 2: Ärzte ohne Grenzen (erscheint Herbst 2008); Band 3: Allein in Pakistan (erscheint Frühjahr 2009) – Aus dem Französischen: Martin Budde – Zürich: Edition Moderne, 2008. [Zur Rezension]
FORSCHUNG
Katrin Engmann: Beobachtungen in Amerika (1969) – Fotografien von Kurt Heinrich Hansen [Zum Bericht]
Miriam Halwani: Marginalien zur Fotografiegeschichtsschreibung. Mythen und Methoden [Zum Bericht]
BÜCHER: KURZ VORGESTELLT
Marion Beckers, Elisabeth Moortgat (für Das Verborgene Museum e.V.): Die Riess. Fotografisches Atelier und Salon in Berlin 1918–1932, Berlin: Das Verborgene Museum, 2008.
Geoffrey Batchen: William Henry Fox Talbot – London, New York: Phaidon, 2008.
Robert Frank: Die Amerikaner. Aus dem Englischen von Hand Wolf. Mit einer Einführung von Jack Kerouac, Göttingen: Steidl, 2008.
Robert Frank: Paris. Mit einem Gespräch zwischen Robert Frank und Ute Eskildsen, Göttingen: Steidl, 2008.
Blicke und Begehren. Der Fotograf Herbert Tobias 1924–1982, hg. von Ulrich Domröse, Göttingen: Steidl, 2008.
Galerie Daniel Blau (Hg.): Gegossenes Licht – Cast Light. Skulptur in der Photographie 1845–1860, München: Galerie Daniel Blau, 2008.
Graue Donau, Schwarzes Meer. Wien, Sulina, Odessa, Jalta, Istanbul, hg. von Christian Reeder und Erich Klein – Wien: Springer Verlag, 2008.
Pigozzi and the Paparazzi: Salomon, Weegee, Galella, Angeli, Secchiaroli, Quinn, Newton – Berlin: Helmut Newton Foundation, 2008.
Christine Brocks: Die bunte Welt des Krieges. Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg 1914–1918, Essen: Klartext Verlag, 2008.
Helen Bömelburg: Der Arzt und sein Modell. Porträtfotografien aus der deutschen Psychiatrie 1880 bis 1933 – Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2007.
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