ZUM HEFT
Um etwa 1927/28 begann – vor allem in der Pressemetropole Berlin – eine nie da gewesene Blütezeit für den deutschen Fotojournalismus. Sie dauerte freilich nur kurz. Der Machtantritt der Nazis Anfang 1933 läutete das Ende der liberalen und linken Bildpresse ein.
Herbert Molderings blickt in seinem Beitrag hinter die Kulissen der wohl innovativsten Fotoagentur dieser Jahre, der Ende 1928 von Simon Guttmann gegründeten "Dephot" (später Degephot), die u.a. Otto Umbehr (UMBO), Felix H. Man (und für kurze Zeit auch Endre Friedman alias Robert Capa) unter Vertrag hatte. Er rekonstruiert anhand von nicht oder kaum bekanntem Material (u.a. auch Interviewauszügen ehemaligen Mitarbeitern der Agentur, die er vor Jahren geführt hat), ihre Gründungsgeschichte. Er beschreibt sehr plastisch ihre Arbeitsweise und revidiert nebenbei eine Reihe von falschen Annahmen, die über "Dephot" zirkulierten. Randy Kaufman ergänzt diesen Beitrag mit einer Bibliografie aller Dephot-Beiträge in der Berliner Illustrirten Zeitung zwischen 1929 und 1934. Ulrich Keller zeigt, welche konkreten inhaltlichen und ästhetischen Folgen das Jahr 1933 in der deutschen Bildpresse hatte. Er kommt zum Schluss, dass in der Bildsprache der Illustrierten keineswegs, wie oft angenommen, ein abrupter Bruch erfolgte. In einer genauen Lektüre der parteieigenen Presse (Illustrierter Beobachter) und der (ehemals) liberalen Bildpresse kann er nachweisen, dass der Weg von der freien zur angepassten und unterdrückten Berichterstattung weit komplexer und widersprüchlicher ist als bisher angenommen. Auch Adelheid Rasche konstatiert in ihrem Beitrag zur Modefotografie in der illustrierten Presse der 1930er Jahre die enorme ästhetische und inhaltliche Bandbreite der Bildberichte. Vertreibung und Gewalt gingen, so argumentiert sie, mit einem Mode- und Freizeitdiskurs einher, der durchaus Anleihen der Moderne aufgriff, umformte und integrierte.
BEITRÄGE
Herbert Molderings: Eine Schule der modernen Fotoreportage. Die Fotoagentur Dephot (Deutscher Photodienst) 1928 bis 1933
Randy Kaufman: Fünf Jahre Dephot (Deutscher Photodienst). Die Fotoagentur Dephot/Degephot in der Berliner Illustrirten Zeitung (BIZ) 1929 bis 1934. Eine Bibliografie.
Ulrich Keller: Die umgedrehte Swastika. Propaganda und Widerspruch in Fotoreportagen der Machtergreifung
Adelheid Rasche: Elegante Welt. Mode, Presse, Fotografie – Berlin in den 1930er Jahren
Anton Holzer: Nachrichten und Sensationen. Pressefotografie in Deutschland und Österreich 1890 bis 1933. Ein Literaturüberblick
REZENSIONEN
Anton Holzer: Eugène Atget. Retrospektive, hg. von den Berliner Festspielen und der Bibliothèque Nationale de France, Berlin: Nicolai Verlag, 2007. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung der Bibliothèque Nationale de France in Paris, Site Richelieu, 27. März bis 1. Juli 2007, im Martin Gropius-Bau Berlin, 28. September 2007 bis 14. Januar 2008 und im Fotomuseum Winterthur, 1. März bis 25. Mail 2008. [Zur Rezension]
Timm Starl: Hier ist es schön. Grazer Ansichtskarten. Aus den Sammlungen des stadtmuseumgraz, hg. von Margareth Otti und Otto Hochreiter, mit Beiträgen von Anton Holzer und Eva Tropper, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Stadtmuseum Graz, 5. Oktober 2007 bis 6. April 2008, Salzburg: Fotohof edition, 2007. [Zur Rezension]
Ulrike Matzer: John Hannavy (Hg.): Encyclopedia of Nineteenth-Century Photography, New York : Routledge, 2007. [Zur Rezension]
Matthias Christen: Bruce Davidson: Circus, Göttingen: Steidl Verlag, 2007. [Zur Rezension]
Lars Blunck: Fritz Franz Vogel: The Cindy Shermans: inszenierte Identitäten. Fotogeschichten von 1840 bis 2005 – Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2006. [Zur Rezension]
FORSCHUNG
Margaret Iversen, Diarmuid Costello, Wolfgang Brückle, Dawn Phillips: Aesthetics After Photography, University of Essex und University of Warwick (UK); Internet: http://www2.essex.ac.uk/arthistory/ahrc/
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