
Katharina Steidl
Geschlechtertheoretische Ansätze in der Fotografie
Editorial
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 155, 2020
Mit einem ernüchternden Blick widmete sich Abigail Solomon-Godeau bereits 1997 in einem Artikel der Zeitschrift Fotogeschichte der Frage, inwiefern eine feministische Fotografietheorie überhaupt „Einzug in die Historiografie oder Kritik der Fotografie“ gehalten habe?[1] Ihre damalige Antwort lautete, dass die erkenntnistheoretischen Konsequenzen der feministischen Theorie sich nur in geringem Maße auf die Fotografietheorie ausgewirkt hätten.
Eine Einsichtnahme in rezente Überblicksstudien zur Geschlechterforschung liefert erstaunlich wenige Ergebnisse im Bereich der feministischen Fotografiegeschichte.[2] Zum einen lässt sich die fehlende Historisierung damit erklären, dass Fotografie nach wie vor keine eindeutige disziplinäre Heimat hat. So findet eine Beschäftigung beispielsweise im Rahmen der Kunstgeschichte, der Medien- oder jüngst auch der Bildwissenschaft statt. Zum anderen handelt es sich um ein noch junges Forschungsgebiet, das sich beständig an der Ausarbeitung eigener Methoden, Theorien und Forschungspraxen, aber auch an der Adaptierung von Analyseinstrumentarien und Fragestellungen aus fachfremden Kontexten interessiert zeigt.[3]
Mit Linda Nochlins bahnbrechendem Essay „Why have there been no great female artists?” setzte in den 1970er Jahren eine Befragung nach den Ursachen der historisch belegbaren Marginalisierung von Künstlerinnen ein, die auch innerhalb der Fototheorie verhandelt wurde. Wo zuvor der Grund für eine mangelhafte Vertretung von Fotografinnen innerhalb der Fotogeschichte tautologisch erklärt wurde, begann nun eine Befragung nach den strukturellen Ausschlussmechanismen. So findet sich die Basis geschlechtsspezifisch konnotierter Erzählungen im 19. Jahrhundert: Fotogeschichten dieser Zeit orientierten sich generell an Werken einer männlich dominierten Technik- und Heldengeschichte.[4] Große Erfinder und ihre außerordentlichen Leistungen wurden darin gemäß einem teleologischen und oftmals nationalistisch geprägten Fortschrittsoptimismus aneinandergereiht. In derlei Geschichtsfassungen spielten Frauen, wenn überhaupt, gemäß ihrer gesellschaftlich attestierten Funktion lediglich eine assistierende oder gar keine Rolle.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückte das fotografische Bild ins Zentrum der Analyse, das nun als ein künstlerisches Medium entdeckt wurde. Ausschlaggebend hierfür ist Beaumont Newhalls 1937 am MoMA kuratierte Schau, die Fotografie erstmals einer ästhetischen Betrachtungsweise zuführte. Daran anschließend setzte eine Analyseweise von Fotografie ein, die sich kunsthistorischer Kategorien bediente und damit einen Kanon an fotografischen „Meisterwerken“ herausragender, fast durchwegs männlicher Fotografen-Künstler schuf. Seit dem Urvater der Kunstgeschichte, Giorgio Vasari, stand ein geniales, männliches Künstlergenie an zentraler Stelle: Frauen wurden in dieser Konzeption gemäß ihrer Natur reproduzierende Qualitäten an die Seite gestellt, die sie von einem männlich kodierten „Meister“ abgrenzten. Ausnahmen, so könnte man sagen, bestätigen auch hier die Regel: immer wieder wurden Fotografinnen wie Anna Atkins, Julia Margaret Cameron und andere einer kursorisch erzählten Geschichte „weiblicher Fotografie“ vorangestellt.[5]
Eine feministisch orientierte Fotografietheorie vermag jedoch nicht nur nach den „vergessenen Fotografinnen“ wie Vivian Maier (Abb. 1) zu suchen und diese einer bestehenden Geschichte der Fotografie hinzuzufügen, sondern an den Grundfesten der Geschichtsschreibung von Fotografie, ihren Grundsätzen, Verabsolutierungen und Auslassungen zu rütteln und so zu neuen Forschungserkenntnissen zu führen. Hier besteht ein noch uneingelöstes Potenzial für zukünftige Studien, die mit den Methoden der Geschlechtergeschichte und feministischen Wissenschafts- und Technikkritik Fotografiegeschichte neu beleuchten.
Mehr als 20 Jahre nach Solomon-Godeaus Artikel wird mit dem Themenheft „Wozu Gender? Geschlechtertheoretische Ansätze in der Fotografie“ abermals danach gefragt, welche Erkenntnismöglichkeiten eine (queer-)feministische Fotografiegeschichte in sich birgt. Inwiefern zeigt sich das „Andere“ in einer an Technikgeschichte orientierten Fotohistoriografie konstituierend für eine Erzählung der Fotografie in Reinform? Durch welche Ein- und Ausschlüsse ist die Fotografiegeschichtsschreibung nach wie vor gekennzeichnet? Welche Vergeschlechtlichungen von Techniken und Materialien, biologistische Metaphern („Vater“, „Geburt“ der Fotografie) und Hierarchisierungen aus der Disziplin der Kunst- und/oder Technikgeschichte lassen sich im Feld des Fotografischen ausmachen? Welche sprachlichen Determinationen finden sich in Schriften zur Fotografie, die eine Ausklammerung weiblicher Protagonistinnen ganz selbstverständlich prolongieren? Was bedeutet es etwa, wenn von einem „weiblichen“, „männlichen“ oder „queeren“ Blick in der Fotografie gesprochen wird? Wie reflektieren zeitgenössische Fotografinnen feministische Fragestellungen in ihren Arbeiten? Wie kann ein queer-feministischer Ansatz dazu verhelfen heteronormative Strukturen aufzudecken?
Die Beiträge dieses Heftes versuchen Einblicke in aktuelle Arbeitsgebiete, methodische Ansätze und noch offene Fragestellungen, vor allem in Zeiten des Antigenderismus, zu geben. Damit soll die Relevanz einer feministisch orientierten Fotografietheorie sowie Methoden der Gender Studies für das Feld des Fotografischen aufgezeigt werden.
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[1] Abigail Solomon-Godeau: Fotografie und Feminismus, oder: Noch einmal wird der Gans der Hals umgedreht, in: Fotogeschichte, Heft 63, 1997, S. 45-50.
[2] Siehe dazu bspw.: Hadumod Bußmann/Renate Hof (Hg.): Genus. Geschlechterforschung/Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Stuttgart 2005.
[3] Gil Pasternak (Hg.): The Handbook of Photography Studies, London (im Erscheinen).
[4] Siehe dazu u.a.: Anne McCauley: Writing Photography’s History before Newhall, in: History of Photography, Jg. 21, Heft 2, London 1997, S. 87-101; Steffen Siegel: Fotogeschichte aus dem Geist des Fotobuchs, Göttingen 2019.
[5] Vgl. dazu: Naomi Rosenblum: A History of Women Photographers, New York 2010.
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