Gisela Parak
Zur deutschen Fotoszene der 1970er und 80er Jahre. Editorial
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 137, 2015
Die Fotoszene der Bundesrepublik Deutschland zeichnete sich in den Jahren zwischen 1976 und 1986 durch eine beachtliche Experimentierlust und eine enorme Vitalität aus, die Barbara Engelbach mit Roland Barthes jüngst als „unbeugsam und ungebändigt“ beschrieben hat. Nicht nur die Legitimierung der Fotografie als Kunst auf der Mediendocumenta 1977, sondern auch ihre Institutionalisierung in frisch gegründeten Fotogalerien und -institutionen, sowie die Integration der Fotografie in den Museen der BRD führten zu einer regelrechten Aufbruchsstimmung. Jenseits dieser Fakten stellen die Details der Strömungen und Tendenzen der doch sehr unterschiedlichen fotografischen Herangehensweisen und Methoden dieser Jahre ein Desiderat der Fotoforschung dar.
Zwar existieren mit der so genannten Autorenfotografie und der sich zum Ende dieses Zeitraums formierenden Düsseldorfer Schule zwei prominente Label, die sich jedoch als nur bedingt hilfreich erweisen, um den sich komplexen, sich zugleich überlagernden und auch widersprüchlichen Diskursen, vor allem aber den individuellen Ausrichtungen der Fotografie dieser Jahre gerecht zu werden. Legt Honnefs Terminologie der Autorenfotografie eine kollektive Haltung einer sich nunmehr als autonome Künstler verstehenden jungen Fotografengeneration und ein neues Verständnis fotografischer Konzeptionen des Dokumentarischen nahe, blieben die Frage der praktischen Umsetzungen dieser „Haltung“ und der Eroberung neuer Terrains wie „Fotobuch“ und „Fotozeitschrift“ bislang unausgeführt. Ökonomische Unabhängigkeit und persönliche Autonomie stellten hierbei die wichtigen Stichworte für Ab- und Loslösungsbestrebungen, die einen unvorbelasteten, frischen Umgang mit der Fotografie ermöglichen sollten. Hierbei verschoben die Autorenfotografen die Perspektiven „klassischer“ Dokumentarfotografie als Einsatz für marginalisierte Minderheiten und den kommerziellen Rahmen des journalistischen Fotografenhandwerks in ihren sozialkritischen Reflexion der eigenen Lebenswirklichkeiten und der bundesdeutschen Alltagsgegenwart.
Während die Reportagefotografie das gesellschaftliche und politische „Ereignis“ in den Vordergrund rückte, dienten den Autorenfotografen die Mikrogesten des zwischenmenschlichen Verhaltens als Ausgangspunkt einer fotografischen Metareflexion unsichtbarer Machtverhältnisse und gesellschaftlicher Konventionen. Einen wichtigen Beitrag zu dieser Neufassung des Dokumentarischen stellte auch die Erörterung des Subjektivismus des Dokumentarischen dar, der – von Honnefs Definition der Autorenfotografie angelegt – in Ausstellungsprojekten wie Vorstellung von Wirklichkeit (Köln 1980) bis hin zu Ute Eskildsens Reste des Authentischen (1986) intensiv verhandelt wurde. Würdigte Christof Schaden Klaus Honnef als einen bedeutenden Kurator der Fotografie, so rückte nun Carolin Försters Beitrag die Verdienste Ute Eskildsens in ein angemessenes Licht.
Doch immer noch werfen die Wechselwirkungen zwischen fotografischer Konzeptkunst und den bewusst als „Fotoessays“gesetzten Bildreihen, „Serien“ und „Sequenzen“ als „Abkehr vom fotografischen Einzelbild“ die überaus interessante Frage auf, wie die Fotoszene mit ihrer Ausrichtung am ausdrucksstraken Einzelbild mit den Ereignissen des internationalen Kunstgeschehens interagierte. Dabei bildet die starke Akzentuierung der Mittelformat-Ästhetik innerhalb einer bildorientierten Kunstfotografie den Gegenpol zu Nancy Footes performativen Auffassung der Fotografie, die sie im Aufsatz Anti-Photographers (Artforum 15, 1976) präsentierte. Viele konzeptuell agierende Fotografen verstießen in den 1970er/80er Jahren mit ihren als Antiästhetik angelegten Schnappschussaufnahmen gezielt gegen die Vorstellung des gelungenes Bildes.
Das vorliegende Themenheft möchte eine erste Bestandsaufnahme dieser sich überlagernden Strömungen der Fotoszene der 1970er/80er Jahre vornehmen. Die vier Beiträge des Heftes verdeutlichen die spannungsreiche Geschichte fotografischer Debatten dieser Jahre und sind dazu angelegt, zu einem detaillierteren Bild der Entwicklungen der Fotografie beizutragen.
Die Verfasserin zeigt in diesem Zusammenhang eine starke sozialkritische Ausrichtung der (Autoren-)Fotografen auf und erörtert die Verhandlung individueller Lebenswirklichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland, die sich in der Schnittmenge eines konzeptkünstlerischen Verständnisses der Fotografie, ihrer künstlerischen Autonomie und journalistischer Traditionen etablierte. Joachim Siebert verdeutlicht die Auswirkungen des sogenannten Endes des Goldenden Zeitalters der Pressefotografie in den 1960er Jahren und weist nach, wie eine Reihe innovativer Fotomagazine die Leerstelle der Krise eroberte, in denen nunmehr ein künstlerisches Verständnis der Fotografie transportiert und vermittelt wurde. Thomas Weski und Christin Müller erörtern im Gespräch die Bedeutung und Ausrichtung der von Michael Schmidt geleiteten Werkstatt für Photographie (Berlin-Kreuzberg) in ihren ersten Jahren und verdeutlichen die Bedeutung der Institution als Ausbildungsstätte, aber auch als Vermittlungsstätte zeitgenössischer Fotografie. Carolin Förster schließlich erinnert an eine subjektiv-emotionale Ausrichtung des Dokumentarischen in der künstlerischen Fotografie der späten 1980er Jahre, die sich in Ute Eskildsens Ausstellung Reste des Authentischen 1986 manifestierte.
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