Ulrike Matzer
Eine frühe professionelle Fotografin
Jochen Voigt: A German Lady. Bertha Wehnert-Beckmann. Leben & Werk einer Fotografiepionierin, Chemnitz: Edition Mobilis, 2014, 22,6 x 30,3 cm, 400 S., 345 Farbabb., gebunden, 49,90 Euro.
Volker Rodekamp, im Auftrag der Stadt Leipzig (Hg.): Die Fotografin. Bertha Wehnert-Beckmann 1815–1901, Begleitbuch zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, 25. Januar bis 26. April 2015), Leipzig: Passage-Verlag, 2015, 24,5 x 30,6 cm, 240 S., zahlreiche Farbabb., gebunden, 25 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 137, 2015
Fraglos kann Bertha Wehnert-Beckmann als überragende Vertreterin der frühen Fotografie gesehen werden, sind Arbeiten dieser Zeit und solcher Qualität nur selten überliefert. Das Schaffen der wohl ersten Berufsfotografin in Europa umfasst zumal vier Jahrzehnte der Entwicklung bildtechnischer Verfahren – von Daguerreotypien über Kalotypien, Stereoaufnahmen, großformatigen Nasskollodiumbildern bis hin zu cartes-de-visite. Neben einigen Stadtansichten und raren erotischen Aktaufnahmen sind über 4.000 Bildnisse aus ihrem Studio überliefert, ein wertvolles lokalhistorisches Archiv der damaligen gesellschaftlichen Elite.
Aus Anlass zweier Jubiläen, der 175-Jahr-Feier der Fotografie 2014 und des 200. Geburtstags Wehnert-Beckmanns im Jahre darauf, widmen sich gleich zwei Publikationen der deutschen Fotopionierin: eine materialreiche Monografie von Jochen Voigt und ein Katalogbuch zur Schau im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig. Größere Konvolute ihres Werks wurden zwar bereits in zwei Ausstellungen des Agfa-Fotohistorama in Köln präsentiert, und ein gutes Jahrzehnt später hatten sich für das von Voigt initiierte Buchprojekt Der gefrorene Augenblick (2004) vier sächsische Museen zusammengetan, um einen gemeinsamen Bestandskatalog ihrer Daguerreotypien zu etablieren. Über neunzig Aufnahmen des Ehepaars Eduard Wehnert und Bertha Wehnert-Beckmann ließen sich dadurch im Vergleich betrachten.[1] Dem Chemnitzer Restaurator, Fotografica-Sammler, Fotohistoriker und Verleger Jochen Voigt ließ dies indessen keine Ruhe. Erneut hat er jahrelang enorme Arbeit investiert, um bislang noch ungeklärte Aspekte von Wehnert-Beckmanns Werdegang und Karriere zu erhellen. Der damals erst entdeckte, mittlerweile gänzlich digitalisierte Negativbestand auf Glasplatten im Leipziger Stadtgeschichtlichen Museum – ein Korpus aus fast 3.700 Datensätzen – kam ihm dabei sehr zupass. Und einen Glücksfall sondergleichen stellte ein spektakulärer Fund im Deutschen Museum München dar: 2012 förderte man dort auf seinen Hinweis 110 nicht hinter Glas gefasste, in einem speziellen Kasten aufbewahrte Daguerreotypien von Wehnert-Beckmann zutage – den weltweit umfangreichsten Bestand in einer öffentlichen Sammlung.
Der mit einer Fülle sorgsam komponierter Bilder bestückte Band besticht nicht nur durch seine exzellente Repro-Qualität. Über die Wiedergabe historischer Stiche von Stadtansichten wird zudem ein sehr atmosphärischer Eindruck der Zeit vermittelt. Nicht von ungefähr wurde die Publikation für den Deutschen Fotobuchpreis 2015 nominiert. Die Kapiteleinteilung ist im wesentlichen an fotografischen Verfahren orientiert, wobei es dem Autor durch seine kundige Analyse der Materialitäten nicht allein der Aufnahmen, sondern auch der Etiketten, Passepartouts und Etuis gelingt, das Schaffen Wehnert-Beckmanns differenziert und detailreich zu betrachten – und insgesamt eine Kulturgeschichte des neuen Mediums zu liefern. Über den minutiösen Vergleich von Atelierrequisiten wie Vorhangstoffen, Tischen und Stühlen vermag er bisherige Zuschreibungen und Datierungen zu korrigieren. Demnach können selbst jene Visitbilder, die rückseitig einer 1860 ausgewiesenen Wiener Filiale zugeordnet sind, nur im Leipziger Atelier entstanden sein. Neben einer Präzisierung von Wehnert-Beckmanns fachlichen Beziehungen (zu Anton Martin, Peter Wilhelm Friedrich Voigtländer oder den Gebrüdern Langenheim) und der Identifizierung zahlreicher bekannter Porträtierter gelang Voigt auch eine genauere Rekonstruktion ihres zweijährigen Aufenthalts in New York, wo sie sich 1849–1851 als einzige Frau mit Atelier am Broadway ausschließlich der Herstellung von Kalotypien widmete – eine Novität in den USA. Renommierte Kollegen titulierten sie mit Hochachtung als »German Lady«.
An seine Grenzen gerät der Autor jedoch dort, wo es um geschlechtsanalytische Fragen geht. Nicht nur, dass er kaum je eine Meta-Position gegenüber frühen Fotografiehistoriografien und normativen Ratgebern der Zeit einnimmt. Innerhalb der wenig gendersensiblen Sprache (»die Mittelsmännin«) fällt vor allem die oftmalige Nennung »Berthas« mit ihrem Vornamen unangenehm auf – bei den männlichen Fotopionieren käme ihm das nicht in den Sinn. So hoch Voigt seine akribischen Recherchen zum Schaffen Wehnert-Beckmanns anzurechnen sind: Sein Versuch, ein allgemeines Kapitel über frühe fotografierende Frauen zu integrieren, geht über eine Auflistung mit rudimentären Informationen zu den Genannten kaum hinaus; chronologisch angeordnet finden sich verschiedenste Verfahren, Motivationen, geografische und familiäre Kontexte bunt gemischt. Wiewohl dort und da strukturell aufschlussreiche Hinweise enthalten sind (etwa zu Franchise-Nehmerinnen von Richard Beard) benennt er die Ähnlichkeiten und Unterschiede der Arbeitsumstände und Leistungen dieser Lichtbildnerinnen leider nicht.
Demgegenüber nimmt sich, wie ich finde, der Beitrag von Susanne Schötz im Katalogbuch zu Wehnert-Beckmann höchst erhellend aus. Als Wirtschafts- und Sozialhistorikerin, deren Forschungen der Geschichte von Geschlecht und Arbeit gewidmet sind, betrachtet sie den Lebensweg der Fotopionierin im Kontext selbstständiger Geschäftsfrauen der Zeit. Entgegen dem damaligen biologistisch begründeten Geschlechter- und Familienideal war weibliche Erwerbsarbeit in den mittleren Gesellschaftsschichten nämlich durchaus weit verbreitet, aus Notwendigkeit angesichts der ökonomischen Realität. Im Bereich der Mode und Accessoires scheinen Handelsfrauen vom Diskurs der Geschlechterdifferenz nachgerade Profit gezogen zu haben, nicht zuletzt aufgrund der Herausbildung einschlägiger Metiers. Wehnert-Beckmanns vorwiegende Tätigkeit als stilsichere Porträtistin lässt sich in solchen Zusammenhängen sehen. Ursprünglich ausgebildet im Anfertigen von Schmuckobjekten aus menschlichem Haar versuchte sie sich bald in der Bildnisfotografie als neuer Form von emotional aufgeladener Erinnerungskultur. Berufssoziologisch betrachtet erscheint ihre Laufbahn insofern nicht gar so außergewöhnlich.
Dass erwähnter Aufsatz jedoch einmal mehr einen feministischen Quotentext darstellt, ist bedauerlich. Denn auch in dieser Publikation herrscht ansonsten eine Tendenz zu male as norm, was zu kuriosen Formulierungen wie diesen führt: »war es offenbar ihre besondere Stärke, einen entspannten Dialog zwischen Fotograf und Fotografiertem herzustellen«. Dabei hatte doch Wehnert-Beckmann stets selbst hinter der Kamera gestanden und kein männlicher Operateur. Wie die linguistische gender-Forschung aufgezeigt hat, ist Sprache in allen durch Texte vermittelten Bereichen von doppelter Wirkmächtigkeit: als Widerspiegelung historischer Denkweisen wie auch als produktives Medium zur Vermittlung neuer Perspektiven.[2] Bezogen auf Bertha Wehnert-Beckmann hatte Claudia Gabriele Philipp bereits vor 25 Jahren jene geschlechtsanalytischen Fragen gestellt, auf die sich nach heutigem Wissensstand Antworten finden lassen müssten.[3] Über die Methoden(reflexion) feministischer Geschichtswissenschaft suchte sie sich damals der Fotografin adäquat zu nähern. Anstatt aber für seinen rezeptionsgeschichtlichen Exkurs im vorliegenden Katalog darauf aufzubauen und die Historizität diverser Fotografiehistoriografien herauszustellen, mokiert sich Eberhard Patzig bloß etwas kleinkrämerisch über die Wiederholung der »üblichen Fehler« in der Bewertung von Wehnert-Beckmanns Schaffen – wie die lange Zeit herrschende Annahme, sie hätte Eduard Wehnert bloß als Gehilfin gedient. Sicher, die weiteren Beiträge im Band über ihren mutigen Schritt in die USA und über ihr groß angelegtes Projekt, ein repräsentatives Stadtpalais mit Studio in bester Leipziger Lage zu errichten, zeugen per se von der Geschäftstüchtigkeit und Emanzipation der Fotografin. Aber alles in allem läuft es doch eher darauf hinaus, die »resolute Frau« (wie es immer wieder hieß und heißt) auf recht konventionelle Weise in einen historischen Kontext zu setzen. Wiederholt berufen die AutorInnen sich auf Jochen Voigts Monografie, und auch von der visuellen Anlage her ähneln die Publikationen einander. Ein genaues Schauen, wie Voigt es eigen ist, vermissen wir jedoch an mancher Stelle – wie sonst käme es dazu, dass Dorothea Peters angesichts einer kolorierten Kalotypie bemerkt, die Hände des auf S. 137 abgebildeten Klavierspielers sähen aus »wie hölzerne Prothesen«? Auch wenn der Vergleich mit anderen Papierbildern deutlich macht, dass das Zeichnen nicht zu Wehnert-Beckmanns Stärken zählte, handelt es sich bei fraglichem Motiv vielmehr um ein spätbiedermeierliches Handschuhmodell – was an einem Pianisten so ungewöhnlich nicht ist.
Wer einen ersten Überblick über Wehnert-Beckmanns Schaffen sucht, ist mit dem Katalogbuch gut bedient; zur wesentlich umfangreicheren und doppelt so teuren Monografie dagegen sei all jenen geraten, denen an ausführlicher und weiterführender Information zum Thema gelegen ist.
[1]Eduard Wehnert und Bertha Wehnert-Beckmann. Daguerreotypistenkarrieren in Leipzig, in: Jochen Voigt, Christoph Kaufmann, Eberhard Patzig, Roland Schwarz, Frank Weiß: Der gefrorene Augenblick. Daguerreotypie in Sachsen 1839–1860. Inkunabeln der Photographie in sächsischen Sammlungen. (Gemeinsamer Bestandskatalog »Daguerreotypie« Vogtlandmuseum Plauen, Technische Sammlungen der Stadt Dresden, Museum für Kunsthandwerk / Grassimuseum Leipzig, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig), Chemnitz 2004, S. 98-127. Vgl. dazu die Rezension in Fotogeschichte, Heft 108, 2008.
[2] Vgl. Hadumod Bußmann: Haben Sprachen ein Geschlecht? – Genus/gender in der Sprachwissenschaft, in: Ders., Renate Hof (Hg.): Genus. Geschlechterforschung / Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Ein Handbuch, Stuttgart 2005, S. 482-518.
[3]Claudia Gabriele Philipp: Bertha Wehnert-Beckmann – eine Frau der ersten Stunde. Mit Fragen und Anmerkungen zur Photographiegeschichtsschreibung, in: Bodo von Dewitz, Reinhard Matz (Hg.): Silber und Salz. Zur Frühzeit der Photographie im deutschen Sprachraum 1839–1860, Ausstellungskat. Agfa Foto-Historama, Köln, Heidelberg 1989, S. 214-235.
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