Anton Holzer
Der „Universalfotograf“
Neue Forschungsergebnisse zu Sasha Stone
Birgit Hammers: ‚Sasha Stone sieht noch mehr’. Ein Fotograf zwischen Kunst und Kommerz, Petersberg: Michael Imhof Verlag, 2014, 223 S., 30 x 22 cm, 275 Abb. in Farbe und S/W, gebunden, 39,95 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 136, 2015
Wer kennt in der deutschsprachigen Fotoszene kennt nicht den Fotografen Sasha Stone? Alle. Wer aber kennt ihn wirklich? Niemand! Sasha Stone (1895–1940) gehört inzwischen zweifellos zu jenen Lichtbildnern der Zwischenkriegszeit, die im Umkreis der modernen Fotografie um 1930 am häufigsten genannt werden. Aber bis auf einige Werkgruppen und einige wenige biografische Details ist bis heute wenig über ihn bekannt. Dem will nun die Publikation von Birgit Hammers abhelfen, die aus ihrer an der Rheinisch-Westfälischen Hochschule Aachen eingereichten Dissertation hervorgegangenen ist. Und, das gleich vorweg, der Autorin ist ein großer Wurf gelungen. Ihre Studie zu Sascha Stone hat das Zeug zum Standardwerk, an dem in den kommenden Jahren niemand mehr vorbeikommt, der sich für den Fotografen (und Cami Stone, dessen oft im Schatten stehende Frau) interessiert. Die Arbeit ist überaus sorgfältig recherchiert und kann mit zahlreichenden, teils überraschenden Details aufwarten. Die Autorin stellt nicht nur einzelne Ausschnitte der Biografie und des Werks von Sasha Stone vor, sondern liefert den bei weitem besten Überblick über das Gesamtwerk, der bisher erschienen ist.
Um 1930 gehörte Sasha Stone zu den bekanntesten in Deutschland tätigen Fotografen. Allein auf der 1929 in Stuttgart gezeigten Ausstellung „Film und Foto“ war er mit 67 Fotos überaus prominent vertreten. Seine Lebensgefährtin Cami Stone (1892–1975) stellte in Stuttgart 6 Fotos aus. In den späten 1920er Jahren war das von beiden gemeinsam betriebene Atelier Stone überaus erfolgreich. Aber insgesamt war die Zeitspanne, in der Stone als Fotograf tätig war, nur kurz. Sein Werk entstand in nur 15 Jahren, der Großteil seiner Aufnahmen, so rechnet Hammers vor, stammt aus den Jahren 1927 bis 1930. Um 1931 zogen Sasha und Cami Stone nach Brüssel, wo sie zwar ihre Fotokarriere fortsetzten, aber aus der deutschsprachigen Öffentlichkeit waren sie seither weitgehend verschwunden. Nach 1931 wurden nur mehr wenige Bilder in Deutschland veröffentlicht, nach 1933 keine mehr.
1938 oder 1939 trennten sich Sasha und Cami Stone. Dann ging es Schlag auf Schlag: Am 14. Mai 1940 standen die deutschen Truppen vor Brüssel, Sasha Stone floh mit seinem Sohn und seiner neuen Frau nach Paris und weiter an die französisch-spanische Grenze, wo er am 6. August 1940 in der Nähe von Perpignan (vermutlich an den Folgen von Lungenkrebs) starb. Er war zu diesem Zeitpunkt erst 44 Jahre alt.
Sein fotografisches Werk geriet nach dem Krieg jahrzehntelang in Vergessenheit. Erst 1990 tauchte es infolge einer von Eckehardt Köhn zusammengestellten ersten Retrospektive am Folkwang Museum in Essen wieder prominent in der Öffentlichkeit auf.[1] Allerdings sollte diese Schau bis heute die erste und bislang einzige umfassende Präsentation seines Werkes bleiben. Köhn, der in den 1980er Jahren den in Amsterdam lebenden Sohn von Sasha Stone, Serge Stone, ausfindig gemacht hatte, konnte zahlreiche neue biografische Details ermitteln. Weitere Aspekte von Stones Lebensgeschichte (insbesondere der Jahre vor seinem Tod) wurden von Diethart Kerbs und Peter Maaswinkel recherchiert und 1990 in einem Aufsatz in der Zeitschrift Fotogeschichte vorgestellt.[2] In den folgenden Jahren wurde es, abgesehen von etlichen verstreuten Beiträgen, die wenig ganz Neues zutage förderten, wieder ruhig um Sasha Stone. Erst als 2009 Paul Schammelhout, ein Neffe von Cami Stone, insgesamt an die 800 bisher unbekannte Fotos sowie zahlreiche schriftliche Unterlagen aus dem gemeinsamen Atelier von Sasha und Cami Stone öffentlich vorstellte und als in der Folge dieser Nachlass über den Kunsthandel vorwiegend an private Sammler verkauft wurde, wurde in Fotokreisen wieder mehr über Sasha und Cami Stone diskutiert. Anhand dieser (leider nur teilweise öffentlich zugänglichen) und anderer Unterlagen aus dem Atelier Stone lässt sich erstmals Genaueres zur Zusammenarbeit der beiden Fotografen und zu den bislang kaum geklärten Zuschreibungen sagen. Eines der großen Verdienste der Arbeit von Birgit Hammers ist, dass sie sich diesem Thema ausführlich widmet und in einer ganzen Reihe von Fällen neue bzw. präzisere Zuschreibungen liefern kann. Demnach war Cami Stone, die stets weit weniger bekannt als Sasha Stone war, nicht nur eine ausgezeichnete Fotografin, die teils allein, teils gemeinsam mit ihre Lebensgefährten arbeitete und von der weit mehr Fotos stammen als bisher angenommen. Sie war es auch, die das gemeinsame Archiv führte. Erst ab der Brüsseler Zeit, so weist Hammers nach, trat sie stärker in den Vordergrund und profilierte sich auch in der Öffentlichkeit als renommierte Fotografin. Indem die Autorin der Zusammenarbeit von Sasha und Cami Stone breiten Raum gibt, erhellt sie auch die künstlerische Zusammenarbeit eines Paares, über das bisher nur wenig bekannt war.
Wer also war Sasha Stone? Im biografischen Teil ihrer Arbeit trägt Hammers all das zusammen, was bisher über ihn bekannt war und ergänzt es um eigene Recherchen. Dennoch bleibt vieles im Leben dieses Künstlers nach wie vor im Dunkeln. Nicht einmal, ob Alexander Sergejewitsch Steinsapir, so hieß Stone ursprünglich, jüdischer Herkunft war, lässt sich eindeutig klären, auch wenn, wie die Autorin ausführt, viele Indizien dafür sprechen. Geboren 1895 in St. Petersburg in Russland, ging er, vermutlich noch vor dem Ersten Weltkrieg, nach New York, wo er die amerikanische Staatsbürgerschaft und den neuen Namen Alexander (später Sasha) Stone annahm. In New York lernte er auch die aus Belgien stammende Camille Schammelhout kennen, die später den Namen Cami Stone annahm. 1917, mit 21 Jahren, trat Stone in die amerikanische Armee ein und diente bis 1919 in der Luftwaffe. Bald danach kehrte er nach Europa zurück, zunächst ging er nach Paris, wo er sich der Malerei und der Bildhauerei zuwandte, spätestens seit 1921 lebte er in Berlin, wo er rasch Anschluss an die führenden Künstlerkreise fand. Vermutlich 1924 eröffnete er zusammen mit Cami Stone in der Kurfürstenstraße 13 ein Fotoatelier. Nun begann eine jahrelange intensive Zusammenarbeit der beiden.
In welcher künstlerischen Tradition stand Sasha Stone? Vielleicht schon während seiner New Yorker Zeit, endgültig aber in seinen Pariser Jahren nach dem Krieg und auch noch in Berlin begeisterte er sich für die Kunst der Avantgarde, insbesondere für konstruktivistische Strömungen. Einige überlieferte Zeichnungen und Aquarelle aus den frühen 1920er Jahren (sie stammen dem Amsterdamer Nachlass von Sasha Stone) sind im Buch abgebildet. Dennoch sollte man, so argumentiert Hammers schlüssig, daraus nicht schließen, dass Stones fotografisches Werk nahtlos an die Errungenschaften der Avantgarde anschließt, wie das Eckehardt Köhn 1990 in seiner Publikation angedeutet hatte. Der Großteil der Fotos, die Sasha und Cami Stone aufnahmen, waren Auftragsarbeiten. Und als Auftragnehmer waren die beiden auch in ästhetischen Fragen höchst flexibel. Im Werk der beiden finden sich sehr wohl Beispiele, die in der Tradition des Neuen Sehens stehen (etwa eine Aufnahme, die um 1928 den senkrecht nach unten gerichteten Blick vom Berliner Funkturm festhält) oder die Ideen der Neuen Sachlichkeit aufgreifen. Diese allein rechtfertigen aber nicht, so die Autorin, Stone als Vertreter einer konstruktivistischen Avantgarde einzuordnen. Und auch seine intensive Zusammenarbeit mit Walter Benjamin, dokumentiert etwa in der bekannten und oft abgebildeten Fotomontage für den Schutzumschlag für den Band „Einbahnstraße“ (1928), liefert nur eine Fährte des ästhetischen Programms von Sasha Stone. Sein umfangreiches Werk ist thematisch breit gestreut: Er hat Porträts, Tanz- und Aktaufnahmen gemacht, er hat im Bereich der Kunst, des Theaters und im Zirkus fotografiert. Er hat Dokumentationen zu den Themen Stadt, Industrie und Technik zusammengestellt. Dieses Werk ist in fotoästhetischer Hinsicht nicht auf einen einzigen Nenner zu bringen. Am ehesten, so die Autorin, können man Sasha Stone als „Universalfotografen“ bezeichnen.
Neben experimentellen Arbeiten (etwa im Bereich der Fotomontage, bei der Buchgestaltung, aber auch in der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Erwin Piscator) lieferte Sasha Stone auch viele konventionelle Bildlösungen. Das betrifft etwa die zahlreichen bisher wenig untersuchte Stadtaufnahmen, denen die Autorin besondere Aufmerksamkeit schenkt. Aus seiner Brüsseler Zeit haben sich schließlich bisher praktisch unbekannte Fotografien erhalten – etwa die beeindruckende Sozialstudie Stones, die er 1933 im verarmten belgischen Bergbaugebiet der Borinage gamacht hat.[3] Eine Arbeit, die in ihrer Ästhetik eher an die engagierte Arbeiterfotografie als an die Avantgarde anknüpft.
Die vorliegende Studie bringt endlich (mehr) Licht in das Werk eines lange Zeit vergessenen großen Fotografen. Der genauen, akribischen Arbeitsweise der Autorin ist es zu verdanken, dass wir nun nicht nur deutlich mehr über Sasha und Cami Stone und ihre Werk wissen (das Konvolut der weit verstreuten, aber erhaltene Arbeiten ist – auch dank der Recherchen der Autorin – auf das Doppelte angewachsen), sondern, dass dieses erstmals und umfassend im Kontext ihrer Zeit verortet wird. Wertvoll ist auch der Anhang des Buches. Es enthält ein Publikationsverzeichnis des Atelier Stone zwischen 1925 und 1940 (das gewiss noch hie und da ergänzt werden wird), eine Auflistung der Ausstellungen, an denen Sasha und Cami Stone zwischen 1925 und 1940 beteiligt waren, eine Aufstellung der öffentlichen Sammlungen, die Werke der beiden Fotografen besitzen (mit 25 Einträgen), ein Literatur- und Abbildungsverzeichnis (mit genauen Hinweisen auf die Herkunft der Bilder) sowie einen sehr hilfreichen Index. Birgit Hammers materialreiche Arbeit verdient eine große Leserschaft.
[1] Eckehardt Köhn: Sasha Stone. Fotografien 1925–1939, Ausstellungskatalog Folkwang Museum Essen, 1990.
[2] Diethart Kerbs, Peter Maaswinkel: Randbemerkungen zum Lebensweg und zum Lebensende eines staatenlosen Fotografen, in: Fotogeschichte, Heft 37, 1990.
[3] Birgit Hammers hat dieses Konvolut in der Zeitschrift Fotogeschichte vorgestellt: dies.: Der vergessene Fotograf. Sasha Stone und die Borinage, in: Fotogeschichte, Heft 123, 2012.
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