Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Anton Holzer

München, Paris, New York – und retour

Ulrich Pohlmann, Andreas Landshoff (Hg.): Hermann Landshoff. Porträt, Mode, Architektur 1930–1970, München: Schirmer & Mosel, 2013. Mit Texten von Martin Elste, Ivo Kranzfelder, Esther Ruelfs, Ulrich Pohlmann und Andreas Landshoff. 277 S., 30,5 x 26 cm, zahlreiche Abb. in Farbe und Duotone, gebunden mit Schutzumschlag, 58 Euro.

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 134, 2014

In der zweiten Hälfte des vorliegenden Katalogs finden sich jene Fotos, für die Ulrich Pohlmann in seinem einleitenden Überblick zu Leben und Werk des deutsch-amerikanischen Fotografen Hermann Landshoff (1905–1986) den Begriff „einzigartig“ verwendet. Es sind über 70 Porträts von wichtigen Fotografen, die Landshoff zwischen 1942 und 1961 aufgenommen hat. Und tatsächlich finden sich in diesem Zyklus bisher praktisch unbekannte, überaus ausdrucksstarke, oft auch witzige Porträtaufnahmen von Fotografinnen und Fotografen wie Berenice Abbott, Lisette Model, Walker Evans, Alfred Stieglitz, Edward Steichen, Gordon Parks, Wegee, Robert Frank, Martin Munkácsi, Erwin Blumenfeld und vielen anderen. Die meisten dieser Fotos entstanden in oder um New York, jener Stadt also, in der der aus Deutschland stammende Fotograf Hermann Landshoff beruflich großen Erfolg hatte. In dieser wunderbaren Porträtreihe begegnen wir vielen der Stars der amerikanischen Fotografie (nicht wenige von ihnen waren europäischer Herkunft oder hatten eine Zeit lang in Europa gelebt), teilweise noch bevor sie international bekannt wurden. Landshoff hat nicht wenige von ihnen persönlich gekannt, teilweise sogar mit ihnen gearbeitet. Und so ist diese Galerie der Fotografen zugleich auch ein künstlerisches „Familientreffen“, das in seiner Gesamtheit ein interessantes Licht auf das soziale Netzwerk des Fotografen wirft. Eine ausgezeichnete biografische Übersicht der fotografierten Personen im Anhang bietet wichtige Hintergrundinformationen über die gesellschaftlichen Kreise im Umfeld des Fotografen. Es wurde von Julia Gewitz, Mary Glaser, Margarete Gröner und Lisa Springer zusammengestellt. Überhaupt: die fotografische Arbeit Landshoffs ist ohne diese weit verzweigten verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen kaum verständlich. Als Emigrant knüpfte der Fotograf immer wieder an jene Kreise an, die er aus früheren Lebensphasen kannte. Eine Serie der Fotografenporträts, die im Katalog auf einer Doppelseite vorgestellt werden, zeigt den jungen, fast ein wenig schüchtern anmutenden Richard Avedon, aufgenommen im Jahr 1948. Avedon war zu dieser Zeit Assistent in Landshoffs New Yorker Atelier und gestand später: „I owe everything to Landshoff.“

Warum ist der Name Hermann Landshoff in der Geschichte der Fotografie bisher so wenig bekannt? Warum gehört er zu den „letzten großen Unbekannten der Photographiegeschichte des 20. Jahrhunderts“ (Ulrich Pohlmann). Und wieso wurde erst 25 Jahre nach seinem Tod (1986) die erste große Retrospektive mit begleitendem Katalog zusammengestellt, noch dazu in Deutschland und nicht in den USA, wo der Fotograf jahrzehntelang erfolgreich gearbeitet hatte? Die Antwort ist nicht ganz so einfach und hat gewiss auch damit zu tun, dass Landshoff, so behauptete er zumindest selbst von sich, kein Meister der Selbstvermarktung war. Dazu kam, und das scheint gewichtiger als Erklärung, dass der fotografische Nachlass eine merkwürdige Odyssee zurückgelegt hat – Ulrich Pohlmann informiert darüber im Vorwort des Katalogs –, bevor er 2012 als Schenkung Eingang in die Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums fand.

Landshoff wünschte sich zu Lebzeiten ein großes, renommiertes amerikanisches Museum als Aufbewahrungsort für sein fotografisches Archiv, etwa das Metropolitan Museum, das Museum of Modern Art, das George Eastman House in Rochester oder das Smithsonian American Art Museum in Washington D.C.. All diesen Institutionen hat er in den 1970er Jahren, als er sich langsam aus seinem Beruf zurückzog, das Archiv (im Grund eine Fotoauswahl von mehreren Tausend Abzügen, die Dubletten, Dias und Negative hatte er vernichtet) als Schenkung angeboten. Alle lehnten ab bzw. wollten nur ausgewählte Einzelstücke in ihre Sammlungen aufnehmen. Das wirft ein bezeichnendes Licht sowohl auf die Sammlungspolitik dieser Museen vor der Ära des großen Fotobooms, aber auch auf den Stellenwert, den der Fotograf damals hatte. Als Zeitschriftenfotograf war er, so scheint es, zu wenig künstlerisch geadelt, um in den Olymp der hochoffiziellen amerikanischen Fotokultur aufgenommen werden. 1975 ging das Landshoff-Archiv dennoch an ein Museum, nämlich an das 45 Minuten Zugfahrt von New York entfernt liegende Neuberger Museum of Art, in dem es, wie Pohlmann feststellt, „völlig fehl am Platz“ war. Die Folge: Fast ein Jahrzehnt lange wurden die Transportkisten nicht einmal ausgeräumt. Zwanzig Jahre später gelangte das Fotokonvolut in das New Yorker Fashion Institute of Technology, ein Modecollege, das auch ein Museum betreibt. Dort wurde 2002 eine kleine 80 Abzüge umfassende Ausstellung gezeigt. Aber heimisch wurde der Fotonachlass Landshoffs auch hier nicht. Dass die rund 3.600 Abzüge umfassende Fotosammlung schließlich vor wenigen Jahren noch einmal auf Wanderschaft ging und nach München, in die Heimatstadt des Fotografen, zurückkehrte, ist gewiss dem beharrlichen Einsatz Andreas Landhoffs (dem Cousin des Fotografen) zu verdanken, aber auch der anhaltenden Unterstützung von Dr. Nobles Lowe, dem Testamentsvollstrecker Landshoffs. Es ist nämlich keine Kleinigkeit, ein Museum davon zu überzeugen, einen bereits in die Sammlung integrierten Nachlass wieder „freizugeben“ und ein umfangreiches Konvolut an Bildern an ein ausländisches Museum weiterzugeben.

Der Leiter der Fotosammlung im Münchner Stadtmuseum, Ulrich Pohlmann, hätte es sich einfach machen können: Er hätte die Abzüge ausstellen und dazu einen gefälligen Katalog mit vielen Bildern und einer kurzen Einleitung produzieren können. Statt dessen wurden umfangreiche Recherchen angestellt, um das Werk des Fotografen in all seinen Facetten auszuleuchten. Das Ergebnis ist ein überaus sorgfältig gemachter, wunderbar gedruckter Band, der Leben und Werk des Fotografen auf spannende und anspruchsvolle Weise miteinander verzahnt. Vorgestellt werden nicht nur seine Modefotografien – zunächst in Paris für Vogue und femina, später, in New York, für Harper`s Bazaar und Mademoiselle –, seine Porträts der europäischen Exilkultur, seine Gruppenporträts der Surrealisten im Umfeld von Peggy Guggenheim, aber auch seine eindrucksvollen Stadt- und Straßenszenen New Yorks. Schade ist lediglich, dass seine Reportagen, die v.a. in den 1940er und in den 1950er Jahren in Kuba oder Spanien entstanden und die den Band beschließen, ohne rechte Kontextualisierung bleiben. Es wäre lohnend gewesen, diesem Aspekt in seinem Werk einen weiteren Essay zu widmen.

Landshoff hat Zeit seines Lebens für Zeitungen, Zeitschriften und Verlage gearbeitet, zunächst, ab Ende der 1920er Jahre als Gebrauchsgrafiker für das Münchner Medienunternehmen Knorr & Hirth, um 1930 als Zeichner und Karikaturist für die Süddeutsche Sonntagspost, aber auch für die von Stefan Lorant geleitete Münchner Illustrierte Presse. 1930 sattelte er, in Ermangelung genügender Aufträge vom Zeichner zum Fotografie um. Im Juli 1933 floh er, da er jüdischer Herkunft war, nach Paris, wo er sich als Fotograf eher schlecht als recht über Wasser halten konnte. Er „wurschtelt sich“, so seine Eltern in einem Brief, „mit Kleinarbeit so durch“, machte immer wieder Modeaufnahmen und Porträts. Der Krieg und die Not verschlugen ihn in die USA, nicht der Wunsch, dort zu leben und zu arbeiten. Ende Mai 1941 kam er in New York an. In der neuen Welt konnte er beruflich schneller Fuß fassen als in Paris, bereits 1942 arbeitete er für die Mode- und Gesellschaftszeitschrift Harper`s Bazaar, später, ab 1947, für Mademoiselle. Landshoff war in New York v.a. als Modefotograf für die großen Magazine überaus erfolgreich, gefragt war er aber auch als Porträtist – in den 1960er Jahren machte er zahlreiche Farbporträts von wichtigen US-Wirtschaftsvertretern –, sowie als Sach- und Werbefotograf.

Die Münchner Retrospektive, die erstmals in Europa in etwa 250 Bildern einen Querschnitt durch das Werk Landshoffs zeigt, leitet die Wiederentdeckung eines großen Fotografen ein. Es ist eine historische Fügung und eine Art später symbolischer „Wiedergutmachung“, dass der Nachlass Landhoffs gerade München gelandet ist, in jener Stadt, aus der der Fotograf 1933 vertrieben wurde und in die er nie mehr einen Fuß gesetzt hat. Er mied die Stadt wohl auch deshalb, weil in den 1950er Jahren sein Antrag auf Wiedergutmachung als rassisch Verfolgter abgelehnt worden war. „Hermann Landshoff hätte dem Transfer seines Archivs an ein Museum in seiner Heimatstadt München vermutlich nicht zugestimmt“, schreibt Ulrich Pohlmann im Vorwort des Katalogs. Dass das fotografische Werk nun doch in München ist und von hier aus neuerlich ausstrahlt, zeigt, dass diese letzte Destination dennoch die richtige ist. Es ist geplant, die Ausstellung an weiteren Orten zu zeigen (hoffentlich auch in den USA) und künftig einen Hermann Landshoff-Preis für zeitgenössische Fotografie auszuschreiben.

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