Anton Holzer
Eine wiederentdeckte Fotografin
Yudit Caplan (Hg.): Eine Frau mit Kamera. Liselotte Grschebina, Deutschland 1908 – Israel 1994 – Jerusalem: The Israel Museum, 2008, Deutsch, Englisch, Hebräisch – Mit Beiträgen von Yudit Caplan, James S. Snyder und Christoph Stölzl – Katalog zur Ausstellung des Israel Museums im Ticho Hause in Jerusalem, Herbst 2008 und im Martin-Gropius-Bau, Berlin von 5. April bis 28. Juni 2009 – 26 x 19 cm, 155 S., 100 Abbildungen in S/W, Broschur – 12 Euro plus Porto, ISBN 978 965 278 365 – Bestellungen: www.gropiusbau.de oder über das Israel Museum, Jerusalem: www.english.imjnet.org.il
Erschienen in: Fotogeschichte 113, 2009
Liselotte Grschebina starb im Jahr 1994 im Alter von 86 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Name in Fotografiekreisen kein Begriff (mehr). Als ihr Sohn nach dem Tod seiner Mutter die Wohnung in der Bialik-Straße 18 in Tel Aviv räumte, kamen an die 1800 Fotografien zum Vorschein, die auch er noch nicht gekannt hatte. Im Jahr 2000 wurde der Bestand an das Israel Museum in Jerusalem verkauft, das mit der Aufarbeitung begann. Im Herbst 2008 fand in Jerusalem eine erste Ausstellung statt, 2009 war diese unter dem Titel „Eine Frau mit Kamera. Liselotte Grschebina, Deutschland 1908 – Israel 1994“ im Martin Gropius Bau in Berlin zu sehen. Mit diesen beiden Präsentationen und dem gleichnamigen Katalog kehrt eine Unbekannte der europäischen Fotogeschichte in die Öffentlichkeit zurück.
Liselotte Grschebina, 1908 in Karlsruhe als Liselotte Billigheimer geboren, war jüdischer Herkunft und lebte bis 1933 in Deutschland. Kurz vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten verließ sie Deutschland und zog nach Danzig, wo sie den Arzt Jacob Grschebina heiratete. 1934 wanderten die beiden nach Palästina aus. Die Lebensgeschichte Liselotte Grschebinas zerfällt – wie jene vieler anderer Juden Deutschlands – in zwei Hälften: in die Zeit vor 1933 und die Zeit danach. Und diese Zäsur als Folge der nationalsozialistischen Verfolgung ist es auch, die ihr fotografisches Werk (zumindest im deutschsprachigen Raum) in Vergessenheit geraten ließ.
Als Liselotte Grschebina Ende 1932 ihre Heimat verließ, war sie gerade 24 Jahre alt. Dennoch hatte sie schon einige Erfahrung als innovative Fotografin und Werbespezialistin gesammelt. Nach der Ausbildung zur Gebrauchsgrafikerin an der Badischen Landeskunstschule Karlsruhe und an der Württembergischen Staatlichen Kunstgewerbeschule in Stuttgart, an der sie Werbefotografie studierte, wollte sie selbst eine Schule für Werbefotografie gründen. Sie erhielt keine Genehmigung und beschloss daher 1932, unter dem Namen „Bilfoto“ein eigenes Studio für Kinder- und Werbefotografie zu gründen. Sie nahm in ihren Arbeiten die avantgardistischen Anregungen der Weimarer Republik, Neue Sachlichkeit und Neues Sehen, begierig auf, hatte aber nur wenige Monate Zeit, als selbständige Werbefotografin zu arbeiten. Die wenigen erhaltenen Bilder aus den frühen 1930er Jahren verraten eine souveräne, experimentierfreudige Fotografin, die in ihren Porträts ebenso die Zeichen der neuen Zeit aufnahm wie in Tanz- und Sachfotografien.
Die 1930er Jahre in Palästina bedeuteten für Liselotte Grschebina einen Neuanfang in jeder Hinsicht. Als Fotografin in Tel Aviv stand sie in harter Konkurrenz zu zahlreichen anderen Fotografen, die ebenfalls aus Deutschland geflüchtet waren. Sie tat sich mit einer ehemaligen Freundin aus Kralsruhe, Ellen Rosenberg, der späteren Ellen Auerbach (1906–2004) zusammen. Diese hatte vor ihrer Flucht aus Deutschland in Berlin ebenfalls als Werbefotografin gearbeitet und zusammen mit Grete Stern das bekannte Atelier „ringl + pit“ geführt. Grschebina und Auerbach gründeten in der Allenby-Straße in Tel Aviv unter dem Namen „Ishon“ (das heißt „Pupille“, „Augapfel“, aber auch „kleiner Kerl“) ein Atelier für Kleinkinderfotografie, in dem auch Auerbachs Mann, Walter Auerbach, mitarbeitete. Als die beiden Partner1936 Palästina verließen, wurde das Atelier geschlossen. Von nun an arbeitete Grschebina allein von ihrer Wohnung aus, in der sie die Dunkelkammer einrichtete. Sie bot ihre Bilder auch Zeitungen an, arbeitete für Unternehmen wie die palästinensische Eisenbahngesellschaft, eine Molkerei und diverse Frauenorganisationen. Sie behielt in ihrer neuen Heimat zwar den modernistischen Stil der späten 1920er und frühen 1930er Jahre bei. Dennoch aber unterscheiden sich ihre Fotos aus Palästina von jenen in Deutschland. Die Zeit der Experimente und der spielerischen Suche nach fotografischen Lösungen war 1934 mit einem Schlag zu Ende. Grschebinas Menschenbild ist von ihrer neuen politischen Umgebung geprägt: dem Fortschrittsoptimismus der jungen Einwanderungsgesellschaft und dem Willen zum Aufbau eines künftigen Staates. Sie beteiligte sich in Reportagen und Porträts an der Identitätsfindung der jüdischen Gesellschaft in Palästina, fotografierte jüdische Immigranten, die Stützen des erhofften Staates, Arbeiter, Männer und Frauen, die voller Optimismus an der Zukunft bauen. Und sie dokumentierte die Verwandlung Tel Avivs zur modernen Stadt.
Als Liselotte Grschebina Ende der 1950er Jahre mit dem Fotografieren aufhörte, gerieten ihre Arbeiten in Vergessenheit.
Grschebina hat keinerlei Aufzeichnungen zu ihren Bildern hinterlassen. Aus diesem Grund war die Recherche zu ihrem Werk nicht immer einfach. Dennoch gelingt es Yudit Caplan in ihrem einleitenden Essay ein facettenreiches Bild der Fotografin zu zeichnen. Dürftig ist leider der anschließende Beitrag von Christoph Stölzl, der unter dem hochtrabenden Titel „Fotografinnen der Weimarer Republik“ den fotografischen Aufbruch der Frauen im Deutschland der 1920er Jahre skizziert. Der Autor kommt leider über eine Liste von teilweise altbekannten Kurzbiografien nicht hinaus. In diesem Bereich ist die Forschung bereits viel weiter. Es wäre spannend gewesen, die Arbeit anderer junger Fotografinnen der späten Weimarer Jahre mit jener Liselotte Grschebinas anhand ihrer Lebensgeschichte, aber auc h ihrer Arbeiten in Verbindung zu bringen. Dieses Vorhaben ist wohl einer weiteren Publikation vorbehalten.
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