Franziska Schmidt
Erna Lendvai-Dircksen. Leben und Werk
Veröffentlichungsform: Dissertation, Art der Finanzierung: Privat, Kontaktadresse: franziskaschmidt(at)gmx.com
Unser Bild von Erna Lendvai-Dircksen, einer der bislang meistpublizierten deutschen Fotografinnen, ist geprägt von deren Schaffen und Erfolg im Dritten Reich, wobei ihre Lebensgeschichte, von Unschärfen gekennzeichnet, ambivalent und disparat erscheint. Die im Werk und in der Person angelegte Diskontinuität bestimmt auch die Rezeptionsgeschichte ihrer Arbeit, die mehrfach ideologischer aber auch inhaltlicher Umdeutungen und Verwendungen unterlag. Den Zugang zu ihrem Schaffen ermöglichen im Wesentlichen die zahlreichen Publikationen, da das gesamte private Fotografie- und Negativarchiv kurz vor Kriegsende verloren ging und die Arbeit aus über 30 Schaffensjahren bis auf wenige Ausnahmen vernichtet wurde. Erfolg und Haltung der Fotografin, die in wichtigen Punkten mit der Kulturpolitik des Dritten Reiches konform ging, erschwert so bis heute im Allgemeinen den Umgang mit ihrer Person und ihrem fotografischen Werk.
Erna Lendvai-Dircksen, seit 1913 als selbstständige Lichtbildnerin tätig, galt Ende der 1920er Jahre als herausragende Portraitfotografin der Berliner Gesellschaft. Bereits 1916 entdeckte sie im Antlitz einer alten schwäbischen Bäuerin das wahre "Menschengesicht", was zum Grundstein ihrer monumentalen Arbeit Das deutsche Volksgesicht und zum Anfang einer aus heutiger Sicht fragwürdigen fotografischen Karriere wurde. Mit insgesamt 14 monografischen Buchveröffentlichungen zu Das deutsche Volksgesicht und Das germanische Volksgesicht und den beiden Bänden Reichsautobahn. Mensch und Werk oder Arbeit formt das Gesicht avancierte sie zu eine der erfolgreichsten Fotografinnen während der Zeit des Nationalsozialismus. Ihre Bilder wurden als Beispiel für eine völkisch-rassische Fotografie auf Ausstellungen gezeigt, vielfach reproduziert und publiziert.
Warum wechselt eine in ihrem Fach so erfolgreiche Fotografin vom gesellschaftlich-künstlerisch-politischen Portrait zum volkstümlichen Bild einer bäuerlichen Bevölkerung und ihrer Landschaft" Die frühen Aufnahmen neben eines der letzten Porträts aus den späten 1950er Jahren gestellt, ergeben ein erstaunlich ungleiches Bild. Die Bandbreite des in über 40 Jahren entstandenen Werkes überrascht, sowohl in der inhaltlichen, formalen als auch stilistischen Ausrichtung. Und in den wenigen persönlichen Äußerungen inszenierte und verklärte Lendvai-Dircksen die eigene Geschichte zu einem Faszinosum von bildhaftem Symbolcharakter, sich zur Entdeckerin und zugleich zur Bewahrerin einer alten Welt.
Um dem Phänomen Erna Lendvai-Dircksen kritisch nachzugehen, bedarf es der Herausarbeitung verschiedener Aspekte: Wichtig ist zum einen die Bestandserfassung und weitere Recherche zum erhalten gebliebenen fotografischen "uvre, darüber hinaus die Analyse ihres biografischen Werdegangs unter Hinzuziehung der Werk- und Rezeptionsgeschichte sowie eine Einordnung in die gesellschaftspolitischen und fotohistorischen Entwicklungen der Zeit, wobei ein Schwerpunkt auf der medienspezifischen Besonderheit des publizierten Bildes respektive des Fotobuches der 1930er Jahre und die Entwicklung der fotografischen Portraitdarstellungen der Zeit liegen wird.
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