Hanna Koch
Dr. Paul Wolff & Tritschler
Ein umfangreiches Standardwerk
Hans-Michael Koetzle (Hg.): Dr. Paul Wolff & Tritschler. Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950, Heidelberg, Berlin: Kehrer 2019, 464 S., 29,5 x 24 cm, 967 Farbabbildungen, Halbleineneinband, 78 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 155, 2020
Dr. Paul Wolff (1887–1951) und Alfred Tritschler (1905–1970) zählten in den späten 1920er und den 1930er Jahren zu den bekanntesten deutschen Fotografen. Der promovierte Mediziner Dr. Paul Wolff, der seinen akademischen Titel bei der Nennung seines Unternehmens stets führte, war fotografisch Autodidakt. Er gilt nicht zuletzt durch seine zahlreichen Ratgeber-Publikationen, die sich insbesondere an Amateure richteten, als „Pionier der Leica-Fotografie“. Mit seiner Veröffentlichung Meine Erfahrungen mit der Leica aus dem Jahr 1934 und weiteren Büchern zu verschiedenen fotografischen Fragestellungen etablierte er sich als ein führender Verfechter der Kleinbild-Fotografie. Der gelernte Fotograf Alfred Tritschler trat 1927 als Wolffs Mitarbeiter in den in Frankfurt situierten Betrieb ein, im Jahr 1934 wurde er Teilhaber.
Unter Zeitgenossen erreichten Wolff und Tritschler durch zahlreiche Buchprojekte, Werbe- und Illustrationsfotografien sowie Fotoreportagen im In- und Ausland einen hohen Bekanntheitsgrad und etablierten sich als wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen. Inhaltlich wie gestalterisch deckten sie ein breites fotografisches Spektrum ab. Ihr Portfolie umfasste Architektur-, Sport-, Reise- und Freizeitmotive sowie Themen aus der Arbeitswelt und Industrie. Gestalterisch bewegten sie sich gekonnt zwischen Neuer Sachlichkeit, Heimatstil und Neuem Sehen, ohne je zur künstlerischen Avantgarde zu gehören.
Die historische Forschung zu Dr. Paul Wolff & Tritschler setzte in den späten 1970er Jahren ein, blieb jedoch auf einzelne Aspekte beschränkt. Sie begann mit der Kontroverse um Paul Wolffs Rolle im Nationalsozialismus, die bis heute andauert.[1] Eine Monografie zu Wolffs Frankfurt-Fotografien erschien 1991,[2] das Aachener Suermondt-Ludwig-Museum widmete ihm im Jahr 2003 eine Ausstellung mit Arbeiten aus seiner Hauptschaffenszeit.[3] Verschiedene Autoren berücksichtigten in Fachartikeln oder im Rahmen breiter angelegter Studien einzelne Aspekten des Werkes, wie etwa Wolffs Beitrag zur Leica-Fotografie[4] oder seine Architekturfotografien aus der Zeit der Weimarer Republik,[5] um zwei aktuelle Beispiele zu nennen. In den letzten Jahren rückte das Fotobuch zunehmend in das Blickfeld der fotohistorischen Forschung, wodurch auch das Interesse an Dr. Paul Wolff & Tritschler neu erwachte. Hervorzuheben ist insbesondere die großangelegte Publikation Autopsie. Deutschsprachige Fotobücher 1918 bis 1945,[6] in der die Frankfurter Fotografen eingehend berücksichtigt wurden. Nichtsdestotrotz bleibt die Beschäftigung mit dem Werk von Wolff und Tritschler auch in den jüngsten Untersuchungen zum Fotobuch meist marginal.[7]
Vor diesem Hintergrund darf die nun vorliegende erste und umfassende Monografie zu Dr. Paul Wolff & Tritschler, die anlässlich einer Retrospektive im Ernst Leitz Museum in Wetzlar erscheint, als überfällig bezeichnet werden. Die Publikation verfolgt Leben und Wirken der beiden Fotografen während ihrer gesamten Schaffenszeit. Sie gewährt damit einen nicht nur aus fotohistorischer, sondern auch aus kulturgeschichtlicher Perspektive interessanten Einblick in ein von der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit wirtschaftlich erfolgreich agierendes Unternehmen. Neben einer allgemeinen Einführung zu Dr. Paul Wolff & Tritschler von Hans-Michael Koetzle vertieft die Publikation einzelne Aspekte ihrer Tätigkeit, wie Wolffs Frankfurter Architekturfotografien, Wolffs und Tritschlers Arbeit mit der Leica-Kamera und ihre Rolle für die Kleinbildfotografie, ihre Firmenschriften sowie ihre Tätigkeit als Pressefotografen. Paul Wolffs Rolle im Nationalsozialismus ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Autoren bemühen sich durchweg um eine Annäherung an die kontroverse und bisweilen schwer zu fassende Persönlichkeit Paul Wolffs. Zugleich erfährt mit dieser Publikation Alfred Tritschler erstmals eine eingehende Würdigung in der fotogeschichtlichen Forschung, wenn auch aufgrund der begrenzten Quellenlage – im März 1944 wurde Wolffs Frankfurter Villa mit einem Großteil seines Archives bei einem Luftangriff zerstört – die Abgrenzung zwischen den beiden Fotografen wie auch den übrigen Mitarbeitern des Betriebes nicht vollständig aufzuklären ist.
Ein besonderes Verdienst der Publikation ist es, dass neben bekannten Aspekten, die durch ein umfangreiches Quellenstudium in erfreulicher Breite und Tiefe dargestellt sind, bislang wenig beachtete Facetten des Lebens und Schaffens der Fotografen Berücksichtigung finden. Dazu zählen die umfangreiche Schilderung von Wolffs Frühwerk, seine Tätigkeit als Filmemacher sowie die ausführliche Darstellung seiner Frankfurt-Fotografien, wobei nicht nur seine Sicht auf das „Alte Frankfurt“, sondern auch seine Aufnahmen des „Neuen Frankfurt“ ausführlich besprochen werden. Besonders hervorzuheben ist der Beitrag von Tobias Picard zu Wolffs später Schaffenszeit von 1941 bis 1951, der eine Lücke in der bisherigen Forschung schließt. Der Aufsatz wirft Fragen zu Kontinuitäten und Brüchen von der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit auf, die nicht nur im Falle Paul Wolffs, sondern auch im breiteren Kontext Beachtung in der fotohistorischen Forschung verdienen.
Shun Uchibayashis Beitrag zu Paul Wolff und der Genese einer modernen Fotografie in Japan fügt dem Bild Paul Wolffs einen weiteren interessanten Aspekt hinzu und weist meiner Ansicht nach auf künftige mögliche Forschungsfelder hin. Uchibayashi untersucht Wolffs Bedeutung für die Etablierung einer fotografischen Moderne in Japan und den dortigen Wandel in der Wolff-Rezeption. Dr. Paul Wolff & Tritschlers Rolle als Vermittler der Kleinbild-Fotografie und der Arbeit mit der Leica-Kamera, die hier anhand ihrer Publikationen und Ausstellungen für Japan nachgezeichnet wird, fordert meines Erachtens weiterhin eine vertiefende Auseinandersetzung. Die Rezeptionsgeschichte ihres fotografischen Werkes im In- und Ausland ist bislang wenig untersucht und durch die früheren Veröffentlichungen wie auch die vorliegende Publikation nur teilweise abgedeckt worden. Auch die Bezüge zur Heimatfotografie werden in den Beiträgen dieses Buches nur am Rande gestreift. Hier sehe ich Bedarf für weitere Untersuchungen. Die umfassende Bibliografie sowie die Aufstellung der Veröffentlichungen von und über Dr. Paul Wolff & Tritschler in der Fachpresse im Anhang stellt für künftige Projekte sicherlich eine wertvolle Hilfestellung dar.
Das Interesse an Dr. Paul Wolff & Tritschler dürfte durch diese umfangreiche und fundierte Publikation, die Leben und Werk des Fotografen-Duos erstmals ausführlich vorstellt, und die zugehörige Ausstellung sicher noch zunehmen. Nicht zuletzt ist Dr. Paul Wolff & Tritschler. Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950 dank seiner hochwertigen Ausstattung und der Fülle an oft großformatigen Abbildungen nicht nur für Historiker, sondern auch für Fotografie-Liebhaber eine anregende Lektüre. Man darf gespannt auf weitere fotohistorische Forschungen zu Dr. Paul Wolff sein. Ende 2019 ist im Göttinger Steidl Verlag die Publikation Dr. Paul Wolff & Alfred Tritschler. Publications 1906–2019 von Manfred Heiting und Kristina Lemke erschienen.
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[1] Vgl. Rolf Sachsse: Dr. Paul Wolff im Zwielicht?, in: Professional Camera, Heft 2, 1980, S. 50, 58-59 und S. 90.
[2] Wolfgang Klötzer (Hg.): Frankfurt am Main in Fotografien von Paul Wolff 1927–1943, München 1991.
[3] Sylvia Böhmer (Hg.): Paul Wolff. Fotografien der 20er und 30er Jahre, Aachen 2003.
[4] Thomas Wiegand: „Es war notwendig, zu warnen, zu unterrichten und zu lehren“. Bildbände, Broschüren und Ratgeber zu den neuen Möglichkeiten der Leica Fotografie, in: Hans-Michael Koetzle (Hg.): Augen auf! 100 Jahre Leica, Heidelberg, Berlin 2014, S. 36-51.
[5] Iris Metje: Der moderne Kirchenbau im Blick der Kamera. Architekturfotografie in der Weimarer Republik, Berlin 2018, bes. S. 191-199.
[6] Manfred Heiting, Roland Jaeger (Hg.): Autopsie. Deutschsprachige Fotobücher 1918 bis 1945, 2 Bände, Göttingen 2012 und 2014.
[7] Mareike Stoll: ABC der Photographie. Photobücher der Weimarer Republik als Schule des Sehens, Köln 2018.
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