Anton Holzer
Ein neuer Blick auf Umbo
Umbo. Fotograf, hg. von Inka Schube im Auftrag des Sprengel Museums Hannover, der Berlinischen Galerie und des Bauhaus Dessau, Köln: Snoeck Verlagsgesellschaft, 2019, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Sprengel Museum Hannover, 9. Februar bis 12. Mai 2019 und in der Berlinischen Galerie, 21. Februar bis 25. Mai 2020, mit Beiträgen von Inka Schube, Stella Jaeger, Annelie Lütgens, Christoph Wagner, Angela Lammert, Georg Wiesing-Brandes, Anthea Kennedy, Ian Wiblin, Bernd Stiegler, Patrick Rössler, Sabrina Mandanici, Michael Glasmeier, Kristina Blaschke-Walther, Ute El Nahawi und Maria Bortfeldt, 336 S., 27, x 23,5 cm, zahlreiche Abb. in S/W, gebunden mit Schutzumschlag, 58 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 153, 2019
Manchmal ist es sinnvoll, eine Buchbesprechung mit einem Blick zurück und hinter die Kulissen zu beginnen. Um die hier vorgestellte Publikation verstehen und einordnen zu können, ist ein solcher Rückblick dringend angeraten. Beginnen wir unsere Recherche mit einer schlichten Zahl: 2010_040. Diese Nummer trägt die Akte „Der Nachlass Umbo“ bei der Kulturstiftung des Bundes (KSB). Die Zahl verrät, dass bereits im fernen Jahr 2010 ein – wie sich herausstellen würde – schwieriger und langwieriger Verhandlungsmarathon um den Nachlass des Fotografen Umbo begann. Bestritten wurde er von drei Anbietern, drei Museen und zahlreichen Fördergebern. Eine Reihe von Direktorenwechsel, die große Anzahl der involvierten Personen und wohl auch divergierende Interessen und unterschiedliche finanzielle Vorstellungen verkomplizierten das Projekt zusätzlich. „Selten“, so ist Anfang 2019 auf der Webseite der KSB zu lesen, „war die Aufgabe für die Kulturstiftung der Länder so komplex. Jetzt wird ein großer Teil des Nachlasses von Otto Maximilian Umbehr (1902–1980), genannt UMBO, dem Erfinder der fotografischen Reportage, erstmalig im Sprengel Museum in Hannover zu sehen sein. Die komplizierte Erwerbung wurde von der KSL moderiert und mit 500.000 Euro anteilig gefördert – nach fast zehn Jahren schließt sich bei der KSL die Akte 2010_040.“ 2016 kam es zur Übergabe des angekauften Umbo-Nachlasses an die drei bedachten Institutionen: das Sprengel Museum Hannover, die Berlinische Galerie und die Stiftung Bauhaus Dessau, wo die Bestände seither aufgearbeitet und erforscht wurden. Zum Abschluss des Projekts wurde eine Ausstellung realisiert, die 2019 in Hannover und anschließend 2020 in Berlin gezeigt wird.
Angestoßen wurde diese aufwändige Transaktion seinerzeit von den Berliner Galeristen Rudolf (verstorben 2014) und Annette Kicken, die ihre Umbo-Sammlung veräußern wollten. 1978, kurz vor dem Tod Umbos hatte dieser Kicken das Alleinvertretungsrecht für all seine Fotos aus der Zeit vor 1945 eingeräumt. Dieser Grundstock der Sammlung Umbos wurde vom Galeristen im Lauf der Jahre durch beständige Recherche und weitere Zukäufe erweitert. In den Verkauf eingeschlossen wurden aber auch weitere Teile des Nachlasses, die sich im Besitz Phyllis Umbehr, der Tochter Umbos, und deren Mann, Manfred Feith-Umbehr, sowie des Sammlers Thomas Walther (Thomas-Walther-Collection Holding AG, Vaduz) befanden. Letzterer hatte im Jahr 2000 einen Teilnachlass Umbos erworben.
Finanziert wurde der Ankauf mit Hilfe von insgesamt 14 Fördergebern. In Summe, so ist dem Protokoll des Kulturausschusses der Stadt Hannover (vom 9.9.2015) zu entnehmen, wurde das „Gesamtkonvolut (...) zu einem Kaufpreis von 3.380.226 € angeboten. Der Ankauf und die Finanzierung erfolgt durch die Stiftung Bauhaus Dessau, die Berlinische Galerie und das Sprengel Museum Hannover zu jeweils ca. einem Drittel. Die drei Häuser haben dazu gemeinsame Förderanträge über insgesamt 1.500.000 € bei der Siemensstiftung, der Kulturstiftung der Länder und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gestellt. Der verbleibende Finanzierungsanteil des Sprengel Museum Hannover in Höhe von 627.521€ setzt sich ebenfalls zu einem überwiegenden Teil aus Drittmitteln zusammen (...)“.[1] 3,3 Millionen Euro: ein stolzer Preis für rund 600 Fotos sowie weiteres Archivmaterial. Zu Erinnerung, in Klammern: 2017 hatte die Galerie Kicken bereits einen Bestand von 3.039 Fotos an den Düsseldorfer Kunstpalast verkauft, Kostenpunkt: 8 Millionen Euro. Im Umbo-Katalog schlägt sich die Großzügigkeit der Förderer daher auch gut sichtbar nieder. Insgesamt fünf Grußbotschaften sind, quer über den Katalog verteilt, zu lesen.
Den Löwenanteil der Forschung leistete unter kundiger Leitung von Inka Schube die Fotoabteilung des Sprengel Museums Hannover: 26 Archivboxen mit zahlreichen Werken Umbos, darunter vielen Arbeitsprints wurden gesichtet, dazu acht Kartons mit Archivmaterialien mit weiteren Fotos, Kontaktabzügen, Briefen, Belegexemplaren usw.. Insgesamt 91Vintage Prints sowie 20 Modern Prints aus der Zeit vor 1940 gingen an die Berlinische Galerie, 39 Fotos an die Stiftung Bauhaus Dessau. Ergänzt wurde die Untersuchung dieses Materials durch weitere Recherchen im In- und Ausland. 2019 war es dann soweit: Der neue Blick auf Umbo konnte in einer umfassenden Ausstellung vorgestellt werden. Dass die Schau zuerst in Hannover gezeigt wurde, hat nicht nur damit zu tun, dass der Fotograf nach dem Krieg in Hannover gelebt hat und hier 1979 erstmals eine – vergleichsweise kleine – Retrospektive stattgefunden hatte. Die Spectrum Galerie im Kunstmuseum Hannover (heute Sprengel Museum) hatte damals eine erste Werkübersicht der Jahre 1926 bis 1933 gezeigt. Der Startpunkt Hannover hat auch mit der Initiativkraft der Foto- und Kunsthistorikerin Inka Schube zu tun, die die wichtigsten Fäden bei der Ausstellung und der Konzeption der Publikation zog. Ihr, die den Katalog betreut und herausgegeben hat, gebührt zweifellos das Hauptverdienst am erfolgreichen Abschluss dieses Ausstellungs- und Publikationsprojekts. Mit diesem kehrt Umbo noch einmal neu in der Öffentlichkeit zurück und das das bisher bekannte Werk des Fotografen kann durch den neu erschlossenen Nachlass deutlich erweitert werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Umbos fotografisches Werk lange Zeit weitgehend in Vergessenheit geraten, bevor es ab Mitte der 1970er Jahre allmählich wiederentdeckt wurde, aufgegriffen und vermittelt durch eine damals jüngere bzw. junge Generation von Sammlern und Galeristen (Rudolf Kicken), Fotografen und Fotolehrer (Heinrich Riebesehl) und Fotohistorikerinnen und -historiker (Ute Eskildsen und später Herbert Molderings). Der Fotograf konnte das neu entfachte Interesse in den letzten Lebensjahren noch genießen, er starb 1980. Endgültig ins Licht der Öffentlichkeit zurückgekehrt ist Umbo aber erst Mitte der 1990er Jahre, und zwar dank der jahrelangen Recherchearbeit von Herbert Molderings. Im Jahr 1995 stellte dieser im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf eine erste große Umbo-Ausstellung zusammen und steuerte dazu einen 160 Seiten umfassenden Katalog bei.[2] Im Jahr 1996 wurde die Schau auch in Paris (im Centre National de la Photographie) gezeigt. Noch weit folgenreicher als diese beiden Ausstellungen war ein umfangreicher, knapp 400 Seiten umfassender Band Molderings mit dem schlichten Titel UMBO. Otto Umbehr (1902–1980), der 1996 im Düsseldorfer Richter Verlag erschien.[3] Es handelte sich um die publizierte Habilitationsschrift des Autors, die ganz und gar nicht im trockenen Duktus eines spröden Wissenschaftsbuch gehalten, sondern gut lesbar, ausgiebig bebildert und vorzüglich gestaltet und gedruckt war. Dieser Band eröffnete eine ganz neue Ära in der Wiederentdeckung und Erforschung des Fotografen. Die überaus fundierte Studie wurde in der Folge zum Referenzpunkt aller weiteren Beschäftigung mit dem Fotografen. Sie ordnete ihn kenntnisreich v.a. in die Kunst- und Kulturszene der 1920er und frühen 30er Jahre ein, brachte sehr viel neue biografische Zusammenhänge ans Licht und etikettierte den Fotografen nicht zuletzt als Leitfigur eines avancierten deutschen Fotojournalismus. Dieser habe, der so der Autor, in enger Zusammenarbeit mit seinem Fotoagenten Simon Guttmann die moderne Fotoreportage um 1930 erfunden. Dieses Etikett wurde bis heute weitergetragen, im oben zitierten Ankaufdokument ist ausdrücklich vom „Erfinder der fotografischen Reportage“ die Rede, auch wenn, nach neuesten Forschungen, diese These, wonach einem einzelnen Fotografen das Verdienst gebührt, ein neues Medienformat in die Welt des Fotojournalismus eingeführt zu haben, mittlerweile zu hinterfragen ist. Eine solche monokausale Zuschreibung ist gewiss nicht mehr nicht haltbar. Die Herausbildung der Fotoreportage um 1930 ist stattdessen als ein höchst komplexes mediales, wirtschaftliches und ästhetisches Unterfangen zu beschreiben, in das zahlreiche Interessen und Inputs einflossen.
Dennoch: Der Hinweis auf die Vorarbeiten Molderings ist im Kontext der Erforschung Umbos extrem wichtig, nicht nur, weil dessen Recherchen den unumstrittenen Referenzpunkt der Forschung bilden, sondern auch, weil die vorliegende Publikation Umbo. Fotograf in expliziter und impliziter Auseinandersetzung mit dem großen Vorgängerbuch entwickelt wurde. Und so wundert es nicht, dass der Name Herbert Molderings im aktuellen Katalog von Beginn an mitschwingt, immerhin war dessen monumentale Studie (obwohl seit längerem vergriffen) die Messlatte war, an der sich die neue Publikation würde ausrichten müssen. Als Autor taucht er freilich nicht auf, was vermutlich auch damit zu tun hat, dass Molderings zusammen mit Elisabeth Moortgat im Ankaufsprozess für die sachkundige Bewertung des Nachlasses verantwortlich war.
Nach diesem langen Vorspann lautet nun die Frage: Gelingt es diesem Band, das differenzierte Umbo-Bild, das Molderings vor fast 25 Jahren entworfen hatte, ausgehend von den neu erforschten foto- und Archivbeständen entscheidend zu erweitern oder gar zu korrigieren? Gleich vorweg: die neue 335 Seiten umfassende Darstellung ist überaus sorgfältig recherchiert, ausgezeichnet gestaltet (von Hans Werner Holzwarth, Berlin) und gedruckt und fügt dem bisher bekannten Bild tatsächlich einige sehr wichtige neue Facetten hinzu. Das Werk von Herbert Molderings kann sie als Referenzwerk für Umbo freilich nicht ersetzen. Wer sich ein umfassendes Bild vom fotografischen Werk, insbesondere der Zeit vor 1933, machen will, wird in Zukunft beide Bände benötigen. Viel Bildmaterial, das bei Molderings präsentiert wird, fehlt im neuen Band, dem es zu Recht darum ging, vor allem die angekauften Werke im breiten Kontext zu zeigen.
Molderings hatte den Fokus seiner Untersuchung auf die Zeit vor 1933 gelegt und Umbos Werk in den Folgejahren auf einigen wenigen Seiten gewürdigt. Nach 1933 habe der Fotograf, bedingt durch die Fesseln des diktatorischen Regimes und die veränderte Pressesituation kaum mehr herausragende fotografische Leistungen gezeigt. Auch die Fotoarbeiten, die nach 1945 entstanden, werden eher kursorisch abgehandelt. Der neue Katalog folgt in vielen Einschätzungen den Arbeiten Molderings, der immer wieder ausführlich zitiert wird. In der sehr guten Einleitung Schubes, die Fotograf und Werk aus der Perspektive der neu erschlossenen Bestände noch einmal Revue passieren lässt, wird bereits angedeutet, dass der Fokus Molderings auf die Jahre bis 1933 viel zu kurz greift, um das Gesamtwerk verstehen und einordnen zu können.
Umbo hat nach 1933 ohne große Brüche weiterfotografiert und war mit seinen journalistischen Beiträgen in der NS-gelenkten Presse gut verankert. Seine Bilder und Reportagen (im Katalog vorgestellt von Patrick Rössler) sind keine verschämten Nischenarbeiten, sondern positionieren sich im propagandistischen Mainstream. Kein Wunder, war Umbo doch ab 1938 über Fürsprache des leitenden Redakteurs der Berliner Illustrirten Zeitung (BIZ), Harald Lechenperg, beim Deutschen Verlag, dem Nachfolgeunternehmen des Ullstein Verlags, ein stattliches Garantiehonorar von monatlich 500 Reichsmark gewährt worden. Neben seinen Zirkus-, Artisten- und Alltagsreportagen übernahm er nun auch dezidierte Propagandaaufträge (inkl. einer Reise ins Hinterland des Krieges in Libyen) und belieferte alle wichtigen Illustrierten der Zeit mit Fotos: von der BIZ über Erika, Neue Jugend, die neue linie, Koralle, Der Stern bis hin zur Zeitschrift für Auslandspropaganda Signal. Umbo hatte sich nach 1933 also höchst erfolgreich und aktiv als Fotojournalist betätigt und war ab 1938 für einige Jahren sogar finanziell viel besser abgesichert als je zuvor und danach, als er über weite Strecken ein finanziell überaus prekäres Leben führte.
Die Diagnose Molderings, dass sich Umbo nach 1933 „in die Nischen der Unterhaltungsbranche“ zurückzog und „unverfängliche Bildberichte aus der Welt des Films, der Literatur und des Varietés“ lieferte, ist aus heutiger Sicht nicht haltbar. Genau hier hätte eine noch intensivere Recherche einsetzen können, um neben dem bekannten Umbo auch den weit weniger bekannten Umbo der Jahre nach 1933 zu zeigen. Zwar werden auf biografischer Ebene einige bisher wenig oder kaum bekannte Aspekte ausgeleuchtet (etwa seine Beziehungen zu Freunden und seinen Assistentinnen, etwa Erika Koch). In diesem Zusammenhang taucht auch neues interessantes Bildmaterial auf. Aber insgesamt muss Schube konstatieren: „Umbo in den Jahren 1933 bis 1943 – wir wissen wenig über ihn, über den Umfang und die Hintergründe seines Tuns.“ Die Aufgabe, diese Zeitspanne kritisch auszuleuchten, ist also trotz einiger vielversprechender Ansätze noch zu leisten. Ohne den Gang in Spezialarchive, ohne die Mithilfe von Spezialisten für die Archivalien der NS-Zeit wird einen solches Projekt wohl nicht zu realisieren sein.
Gewiss, der Faden der archivalischen Überlieferung für die Zeit von 1933 bis 1945 dünner als vorher und nachher. Nicht zuletzt hat das auch mit der Zerstörung praktisch des gesamten Fotoarchivs Umbos im Sommer 1943 zu tun. Über 60.000 Fotos habe dieses Archiv, das in seiner Berliner Wohnung untergebracht war, laut Molderings umfasst, eine Zahl, die auch im vorliegenden Katalog wieder auftaucht. Anhand neu eingesehener Dokumente aus Umbos Entschädigungsantrag, die ebenfalls im Buch zitiert werden, gingen am 23. August 1943 in seinem Berliner Atelier allerdings deutlich weniger Bilder verloren: 10.500 Platten und Planfilme, 12.000 Vergrößerungen, 500 gerahmte Farbdias und 2000 ungerahmte. Ein Bruchteil davon ist erhalten, von 450 Bildern sprach Molderings 1996. Durch die neu angekaufte Teile des Nachlasses konnte dieser Bestand nun deutlich erweitert werden. Aber immer noch ist das Werk Umbos nur in kleinen Ausschnitten über Originalbilder bekannt.
Weit besser ist die Überlieferungssituation für die Zeit nach 1945. Ein Fokus der neuen Publikation liegt daher auf diesen Jahren. So lässt sich etwa anhand einiger bisher erstmals abgedruckter Briefe (sie wurden vom Sprengel Museum bereits 2009 erworben) mit seinem ehemaligen Fotoagenten Simon Guttmann, der inzwischen in London lebte und für die Picture Post arbeitete, sowohl die biografische Situation als auch das berufliche Netzwerk des Fotografen recht anschaulich rekonstruieren. „Hast Du inzwischen eine ordentliche Leica?“, fragte Guttmann Umbo in einem Brief vom 12. Mai 1950. Die Frage war berechtigt, denn die beruflichen Anfänge Umbos nach 1945 waren mehr als holprig. Am 11. Dezember 1949 hatte Umbo in einem Schreiben an Guttmann über die Verluste seiner Vorkriegsleicas und seinen schwierigen fotografischen Neuanfang nach dem Krieg geklagt: „Hochzeiten, Kindtaufen, Beerdigungen und Kleinkram“ habe er ab Herbst 1946 zunächst fotografiert. Und 1952 resümiert er in einem Brief an seinen langjährigen Freund Paul Citroen über seinen mäßig erfolgreichen beruflichen Weg: „Es geht so auf und ab und ich habe nicht viel Anständiges gemacht.“ Einige vielversprechende Aufträge und Angebote, u.a. mehrere Deutschland-Reportagen für die Picture Post, vermittelt über Guttmann, aber auch eine von der amerikanischen Regierung geförderte mehrmonatige Fotoreise in die USA 1952, sicherten Umbo keine längerfristige Absicherung. Trotz etlicher Versuche, das weit gespannte Vorkriegsnetzwerk für sein berufliches Fortkommen zu reaktivieren, gelang Umbo nach dem Krieg die feste Rückkehr ins fotojournalistische Geschäft nicht mehr wirklich. Private Rückschläge und ein offenbar schwieriger (und streitlustiger) Charakter trugen ebenfalls nicht dazu bei, die randständige Existenz zu verlassen. Immer wieder stand sich Umbo auch selbst im Wege. Als ihm Klaus Honnef 1976 anbot, seine Bilder im Folgejahr 1977 auf der Documenta 6 auszustellen, verlief das Vorhaben im Sand.
Wer vom vorliegenden Umbo-Katalog eine gänzlich neu gearbeitete Lebens- und Werkgeschichte des Fotografen erwartet hatte, wird enttäuscht sein. Die Autorinnen und Autoren liefern wichtige Korrekturen und Ergänzungen, im Kern schreiben sie aber die Berufs- und Lebensgeschichte des großen Fotografen nicht neu. Wenn es etwas gibt, das diese Publikation besonders auszeichnet, dann ist es wohl dies: der differenzierte Blick. In der Annäherung an den Fotografen wurde bewusst kein einheitlicher Zugang, sondern eine produktive Vielstimmigkeit gewählt. Das ermöglicht es, den Kontext, in dem der Fotograf tätig war, stärker zu beleuchten als das bisher geschah (etwa im informativen Beitrag von Georg Wiesing-Brandes über den Mentor und Förderer Simon Guttmann). Das verhindert es aber auch, Umbo zu heroisieren, und eröffnet Raum für Zwischentöne. Die Frage, wer dieser Fotograf wirklich gewesen ist, bleibt nach der Lektüre dieser Annäherung weiterhin unbeantwortet. Sabrina Mandanici bringt die Ambivalenz auf den Punkt, wenn sie betont, dass sich Umbos Biografie „zwischen Grauzonen und Widersprüchen“ bewege. „Sie offenbart Pragmatismus, schwer zu präzisierende, jedoch offensichtlich vorhandene politische Überzeugungen – und eine zuweilen romantisierte Sehnsucht nach einem ungebundenen Leben.“
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[1] Informationsdrucksache Nr. 1978/2015: Erwerb des Nachlasses von Otto Umbehr (UMBO), e-governement Hannover, 2015, bit.ly/2XCN6tS
[2] Umbo. Vom Bauhaus zum Bildjournalismus, hg. von Herbert Molderings, Katalog zur Ausstellung im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf 1995.
[3] Herbert Molderings: UMBO. Otto Umbehr (1902–1980), Düsseldorf 1996.
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