Timm Starl
"Ich sammle alles ..."
Hanna Höch. Album, hrsg. von Gunda Luyken, Berlinische Galerie, [deutsch/englisch/französisch], Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2004, 32,8 : 24,8 cm, 66 Bl., 65 Abb., davon 58 in Farbe, gebunden, – 58,-, SFR. 96,-
Erschienen in: Fotogeschichte 92, 2004
"Ich sammle alles, was mir von Wert erscheint [...]" Mit diesem Zitat eines Satzes von Hannah Höch beginnt der Kommentar zu einer Bildsammlung, die von der Künstlerin in den Jahren um 1930 angelegt worden ist. Zwei Ausgaben der Zeitschrift Die Dame von 1925 und 1926 haben die Unterlage gebildet, auf der Höch über 400 gedruckte Wiedergaben von Fotografien aus diversen Publikationen geklebt hat. Die Herkunft der Bilder ist meist nicht erkennbar; ebenso wurden die Bildunterschriften nur gelegentlich mit ausgeschnitten, desgleichen der Name des Bildautors oder der -autorin. Das so entstandene Album befindet sich in der Berlinischen Galerie, die es mit Hilfe des Fördervereins und anderen Spendern hat restaurieren lassen.
Hannah Höch hat von 1926 bis 1929 in Holland gelebt, anschließend zahlreiche Reisen unternommen und ist schließlich nach Berlin gezogen. Hat sie bereits in Holland mit dem Ausschneiden begonnen" Dann könnte man vermuten, dass sie gewissermaßen von außen auf ihre Heimat geblickt hat, zugleich neugierig und Erinnerungen nachhängend. Dagegen spricht allerdings die Auswahl: Eisberge, Tanzposen, stillende Mütter in Europa und Afrika, ein toter Ludwig II., schneebedeckte Äste, Josephine Baker,, Stadtansichten, alle möglichen und viele Tiere u.a.m. Oder hat sie mehrere Jahre lang Material gesammelt, bevor die Idee eines Bilderalbums aufgekommen ist" Dafür spricht die Zusammenstellung nach Motiven: Doppelseiten mit Aktstudien, Luftbildaufnahmen, Nahsichten von Pflanzen, afrikanische Frauen, Skifahrer ... Doch es sind auch Brüche festzustellen: Zwischen Hundeporträts posiert ein "Maler auf dem Seinekai"; neben Schrägsichten auf Passanten ist der Ausschnitt einer Blumenvase platziert.
"Ich sammle alles, was mir von Wert erscheint oder eventuell gebraucht wird [...]" Höch hat zeitlebens Collagen gemacht, auch nach ihrer Zeit als Dadaistin. Wozu brauchte sie diese Sammlung" Sieht man ihre Arbeiten durch, so verwendete sie ab Mitte der 1920er Jahre immer weniger Fotografien für ihre Werke, in denen die gemalten oder gezeichneten Partien sowie solche mit zerschnittenen Stoffen oder anderen Materialien stark überwiegen. Es findet sich keine Aufnahme – ausgenommen jene mehrerer Affen ", von der eine Verbindung auf eine ihrer Collagen jener Jahre oder später herzustellen wäre. Hat Höch bloß eine Art Notizbuch angelegt, doch dieses später nicht fortgeführt, weil sie auf andere Weise zu ihren Bildschöpfungen gefunden hat" Im einleitenden Text stellt die Herausgeberin Vergleiche an und bedient sich ähnlich arrangierter Zusammenstellungen. Der Fotograf Karl Bloßfeldt hat seine Kontaktabzüge nach Themen geordnet und der Maler und Grafiker George Grosz von 1941 bis 1958 ein Musterbuch mit Zeitungsausschnitten angelegt. Aber die formalen Entsprechungen der Präsentation führen zu keinen weiteren Erkenntnissen.
Welchen Stellenwert hat also diese Kollektion mit Aufnahmen unbekannter und prominenter Fotografen und Fotografinnen im Leben und Schaffen der Künstlerin" Was verbindet die Kiki vom Montparnasse aus der Kamera von Man Ray mit dem Storch, den der Ethnologe Hugo Adolf Bernatzik aufgenommen hat" Was die Modeaufnahme von d"Ora in Paris mit den regennassen Stühlen und Tischen, die Annelise Kretschmer auf dem Markusplatz in Venedig entdeckt hat"
"Ich sammle alles, was mir von Wert erscheint oder eventuell gebraucht wird, tut das nicht Jeder"" Wenn man einen weiten Begriff ansetzt, ist der Frage zuzustimmen. Man behält doch alles Mögliche im Laufe eines Lebens, ohne in jedem Fall einen unmittelbaren oder auch späteren Nutzen daraus ziehen zu wollen. Wer hat nicht schon Dinge aufgehoben, denen er nach geraumer Zeit mit Verwunderung wieder begegnet ist – der eine hat sie weggeworfen, der andere weiter aufbewahrt. Höch hat Bilder gesammelt, und mehr erzählt dieses Buch nicht. Es ist vergnüglich, beim Durchblättern diese und jene bekannte Fotografie zu entdecken, sich über Bildkombinationen zu wundern, manch eine abgebildete Person zu erkennen (eine ganz junge Katharine Hepburn beispielsweise). Ist das nicht genug"
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