Birgit Hammers
Man Ray: Tanz zwischen den Medien
Ingried Brugger/Lisa Ortner-Kreil (Hg.): Man Ray, Heidelberg/Berlin: Kehrer, 2018, mit Texten von: Ingried Brugger, Kim Knowles, Hans Kupelwieser, Bruce Nauman, Lisa Ortner-Kreil, Veronika Rudorfer, Katharina Steidl, James Welling, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Bank Austria Kunstforum Wien (14. Februar bis 26. Juni 2018), 20 x 26 cm, 240 Seiten, 76 Farb- und 163 Abb. in S/W., gebunden, 35 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 149, 2018
Man Ray (1890-1976, eigentlich Emmanuel Radnitzky) gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Dadaismus und Surrealismus, über dessen Werk – so scheint es zumindest – bereits erschöpfend geschrieben wurde. Zahlreiche Ausstellungen – in Deutschland zuletzt die beiden großen Retrospektiven 2008 im Martin Gropius Bau in Berlin und 2013 im Max Ernst Museum in Brühl – zeugen von einem enormen Interesse an der Arbeit und an der Person Man Rays. Dieser jedoch erweist sich als ebenso sperrig wie vielschichtig und lässt sich folglich nicht so einfach in Kategorien und Stile einordnen wie es manchem Autor oder Kurator lieb wäre. Und so kommt es, dass anscheinend doch immer wieder Aspekte im Werk dieses umtriebigen Künstlers auftauchen, die Anlass zu einer erneuten Beschäftigung mit dem Thema geben. In diesem Sinne zeigte das Kunstforum Wien vom 14. Februar bis 26. Juni 2018 eine Retrospektive, die sich dezidiert mit allen Facetten des Werks Man Rays beschäftigt. Es werden folglich nicht nur seine berühmten, teilweise zu Ikonen der Moderne avancierten Fotografien gezeigt, sondern auch alle anderen Spielarten seiner vielfältigen Kunst, zum Beispiel seine Objekte, Gemälde, Zeichnungen sowie Schriften und experimentellen Filme, eben Man Ray als Universalkünstler. Hinter all dem steht die Frage nach möglichen medialen Strategien innerhalb seines Werkes sowie der Rolle Man Rays als Inspirationsquelle für die Gegenwartskunst. Dass Man Ray sich mit der Frage nach den geeigneten Medien für seine Kunst durchaus auseinandersetztt, belegt unter anderem folgendes Zitat: „Ich beschloss, dass die beiden Medien, Fotografie und Malerei, nicht miteinander vergleichbar sind. Also male ich all das, was man nicht fotografieren kann, was aus der Fantasie, aus einem Traum oder einem unterbewussten Impuls herrührt. Und fotografiere die Dinge, die ich nicht malen möchte, Dinge die schon existieren.“[1] Dieser Ansatz, dem auch der aus diesem Anlass erschienene, von Ingried Brugger und Lisa Ortner-Kreil herausgegebene Katalog nachgeht, erscheint somit vielversprechend. Einen ersten Beleg dafür bietet gleich zu Beginn der sehr umfangreiche Tafelteil der Publikation mit hervorragend reproduzierten Abbildungen in Farbe und Schwarz-Weiß, die in der Tat das ganze Spektrum seines Schaffens zeigen und auch weniger bekannte Arbeiten umfassen.
Auf den Bildteil folgen vier Beiträge zu verschiedenen Facetten des Werks Man Rays. In Analogie zu dem in Katalog und Ausstellung hergestellten Bezug zur Gegenwartskunst beschäftigt sich die Kuratorin Lisa Ortner–Kreil im ersten und gleichzeitig umfangreichsten Beitrag mit Aspekten des Zeitgenössischen in Man Rays Werk. Zu Recht werden Man Rays Erfindergeist und seine Kreativität im Hinblick auf die künstlerischen Mittel hervorgehoben, die in weiten Teilen seiner engen Zusammenarbeit mit Marcel Duchamp geschuldet sind. So bildet der Katalog erfreulicher Weise auch das einzige gemeinsam signierte Werk der beiden Künstler ab. Élevage de poussière von 1920 zeigt die verstaubte Rückseite eines Gemälde Duchamps von Man Ray fotografiert. Sehr überzeugend arbeitet die Autorin in der Folge die Strategien zur Selbstinszenierung des Künstlers heraus, die schon mit der Umbenennung in den vielsagenden Namen Man Ray 1909 ihren Anfang nahm und sich unter anderem in seinen zahllosen Selbstporträts fortsetzt. Auch in Bezug auf den medienübergreifenden Zugang Man Rays leuchtet der Vergleich zur Gegenwartskunst ein – hier wären allerdings ein paar konkrete Beispiel schön gewesen. Auf einen Abschnitt über Man Ray und das Objekt folgt die Auseinandersetzung mit dem Thema des Körpers und Geschlechterrollen inklusive einer interessanten neuen Perspektive auf die Beziehung Man Rays zu seiner langjährigen Assistentin Lee Miller. Die von der Autorin aufgegriffenen Fragen zum Thema Gender und Geschlechteridentität, gerade im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Duchamp, zeigen spannende Ansätze, bei denen es sich in jedem Fall lohnen würde, diese weiter zu vertiefen. Neben der von der Autorin angeführten Serie über die Verwandlung der Travestie-Künstlerin Barbette von 1926 seien hier zum Beispiel die Selbstporträts Man Rays in Frauenkleidern oder die Porträts von Duchamp in seiner Rolle der Kunstfigur Rrose Sélavy zu berücksichtigen (1921), von denen im Katalog ebenfalls eines abgebildet wurde (Abb. 1). Der letzte Abschnitt des Beitrags verdeutlicht hingegen nochmal die Referenzen späterer Künstler auf das Werk Man Rays. Auch damit schneidet die Autorin ein Thema an, das sicher noch mehr Stoff für die Forschung zu bieten hat.
Im zweiten Beitrag des Katalogs beschäftigt sich Veronika Rudorfer mit der medialen Reinkarnation der frühen Objekte Man Rays. Quasi als Vertiefung der Ausführungen Ortner-Kreils legt die Autorin den Fokus auf den zunächst durch Duchamp inspirierten, dann aber neu interpretierten Umgang Man Rays mit dem Objekt und dessen medialer Umsetzung im Bild. Ein schönes Beispiel dafür bildet Man Rays erste Assemblage mit dem Titel Self Portrait von 1916. Die hiervon entstandene Fotografie (Abb. 2) und die darauf basierende, spätere Kopie aus der Hand des Künstlers verdeutlichen die von der Autorin aufgegriffene Problematik um den Begriff des ‚Originals‘ sehr anschaulich. Anhand verschiedener, ähnlich gelagerter Beispiele belegt die Autorin zudem, dass Man Rays Arbeiten mit Objekten einem medialen Transformationsprozess unterworfen sind, der sich teilweise über Jahrzehnte erstreckt.
Ein weiterer in Ausstellung und Katalog thematisierter Aspekt des Werk Mans Rays ist der experimentelle Film, dem sich Kim Knowles im dritten Beitrag des Katalogs widmet. Bereits 2009 legte die Autorin mit A Cinematic Artist. The Films of Man Ray die grundlegende Publikation zu diesem Thema vor.[2] Und so bietet Knowles’ Beitrag einen äußerst informativen Überblick über die Bedeutung seiner vier Filme und den Einfluss Man Rays auf den Experimentalfilm. Wie bereits in den anderen Beiträgen wird auch hier erneut die Intermedialität seines Werkes herausgestellt, welche sich im Arbeitsprozess Man Rays manifestiert, sowie seine Beziehung zum Objekt erneut in einen zeitgenössischen Kontext verortet. Die Autorin betont mehrfach die Wichtigkeit einer Vermischung der verschiedenen Medien Malerei, Fotografie und Plastik, welche im Film schließlich kulminiert.
Zu guter Letzt folgt ein Beitrag von Katharina Steidl über Man Ray und das Fotogramm oder genauer die Rayografie, ein Aspekt, der wohl unweigerlich in jeder Publikation zu Man Ray auftaucht und vielleicht auch auftauchen muss. Schließlich ist Man Ray neben László Moholy-Nagy einer der Avantgardekünstler, die zu Beginn der 20er Jahre dieses bereits jahrzehntealte Verfahren aufgreifen und völlig neu interpretieren, wie die Autorin in einem kurzen Abriss der Geschichte des Fotogramms fundiert belegt. Beeindruckendes Zeugnis dieser Kunst ist unter anderem die Mappe Champs délicieux, in deren Vorwort Tristan Tzara die Wichtigkeit des Zufalls und des Unbewussten im Hinblick auf diese Methode betont. Der Beitrag schließt mit der Betrachtung einer Auftragsarbeit für die Pariser Elektrizitätswerke. Im Portfolio Électricité vermischen sich folglich künstlerische und kommerzielle Interessen.
Wie jeder gute Katalog umfasst auch dieser eine Biografie des Künstlers. Anstelle einer tabellarischen Auflistung der Lebensdaten des Künstlers – eine Komponente, die man als informierter Leser sonst auch gerne mal überspringt – folgen die Herausgeber seinem bewegten Leben in Form von chronologisch aufgeführten Zitaten aus seiner Autobiografie.[3] Diese Art der Lebensbeschreibung in den eigenen Worten Man Rays hat durchaus ihren Reiz, suggeriert sie doch eine größere Nähe zum wahren Leben des Künstlers oder offenbart zumindest seine Sicht der Dinge. Der immer wieder thematisierte Bezug zur Gegenwartskunst bzw. die Rezeption Man Rays durch nachfolgende Künstlergenerationen wird gegen Ende des Katalogs dann noch einmal aufgegriffen und anhand von drei Künstlerstatements von Bruce Nauman, Hans Kupelwieser und James Welling untermauert. Naumann wird darin wie folgt zitiert: „Durch die Eindrücke der Man Ray-Ausstellung wurde ich da etwas entspannter, weil er sehr zufrieden damit zu sein schien, wie er etwas machte, ob Bild, Film oder Gemälde. Er schaffte es irgendwie, alle diese Sachen zu machen.“ Hier zeigt sich noch einmal die scheinbar mühelose Vermischung der verschiedenen Medien sowie der damit verbundene Anspruch der Ausstellung, Man Ray als Universalkünstler sichtbar werden zu lassen.
Abschließend lässt sich feststellen, dass der sehr informative Katalog den Anspruch ein Gesamtbild des Künstlers zu geben, nicht vollständig erfüllt und im Prinzip auch gar nicht erfüllen kann und muss. Zu vielfältig und widersprüchlich gestaltet sich das Oeuvre Man Rays. Besondere Erwähnung verdient indes die gelungene Gestaltung des Katalogs, die sich auch in kleinen Details wie dem geradezu surrealistisch anmutenden Spiel mit ständig wechselnden Schrifttypen niederschlägt. Insgesamt überzeugt der Katalog mit teilweise neuen, spannenden Ansätzen zur Intermedialität, der Geschlechterdebatte oder der Rezeptionsgeschichte Man Rays, die einen wünschen lassen, man hätte den Autorinnen der recht kurzen Beiträge mehr Raum zugestanden, in die Tiefe zu gehen.
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[1] Man Ray in einem Gespräch zitiert nach: Man Ray: Man Ray. Photograph, München 1982, S. 35.
[2] Kim Knowles: A Cinematic Artist. The Films of Man Ray, Bern 2009.
[3] Man Ray: Selbstporträt. Eine illustrierte Autobiographie, München 1983.
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