Patrick Rössler
Hybride im Licht
Zur Geschichte der Filmfotografie
Walter Moser (Hg.): Film-Stills. Fotografien zwischen Werbung, Kunst und Kino. Photographs between Advertising, Art, and Cinema (dt./engl.), Heidelberg, Berlin: Kehrer Verlag, 2016, Ausstellungskatalog Wiener Albertina, 22 x 27 cm, 242 Seiten und 7 Transparentfolien mit 174 Farb- und S/W-Abbildungen, Broschur mit Schutzumschlag, 49,90 Euro.
Roland Fischer-Briand: Farbiges Leuchten. Transparente Filmstandfotos der 1920er und 1930er Jahre, Colorful Lucency. Transparent Stills of the 1920s and 1930s (dt./engl.). Salzburg: Fotohof edition Vol. 237, 2016, Ausstellungskatalog Photoinstitut Bonartes, Wien (Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich, Bd. 14), 21 x 21 cm, 120 Seiten und 4 Transparentfolien mit rd. 80 Farb- und S/W-Abbildungen, Klappenbroschur mit Schutzumschlag, 12,50 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 144, 2017
Standfotos von Filmsets markieren, trotz ihres massenhaften Auftretens seit über hundert Jahren, noch immer ein wenig beachtetes Gebiet der Fotogeschichtsschreibung. Zwar ist inzwischen weitgehend bekannt, dass es sich bei diesen „Stills“ eben nicht um bloße Vergrößerungen einzelner Kader aus der Filmkopie handelt, sondern um sorgfältig re-inszenierte und ausgeleuchtete Aufnahmen spezialisierter Studiofotografen. Trotzdem wird – zurecht – angemerkt, dass es sich dabei primär um ein Sondersujet der Werbefotografie handelt, bei der ein bestimmtes Produkt (nämlich der betreffende Film) möglichst vorteilhaft präsentiert werden soll; die künstlerische Freiheit wird dabei durch die enge Verknüpfung mit der Filmhandlung weiter eingeschränkt.
Der doppelten Zwitterstellung von „Film Stills“, die zugleich auch Hybride der Transformation eines dynamischen in ein statisches Medium verkörpern, widmeten sich im Winter 2016/17 gleich zwei aufeinander bezogene Ausstellungen in Wien, deren materialreiche Kataloge einen rundum gelungenen Einstieg in das Gebiet ermöglichen. Bislang orientierte sich der interessierte Leser, wollte er nicht auf ältere Kompilationen zurückgreifen[1], an zwei Standardwerken: Zuvorderst Winfried Pauleits 2000 an der Berliner Universität der Künste eingereichte Dissertation über Filmstandbilder als "Passagen zwischen Kunst und Kino"[2], die nach wie vor maßgebliche Quelle für die kulturwissenschaftliche Verortung des Phänomens gelten muss; und zuletzt Helmut Prinzlers Bildgeschichte des Weimarer Films [3], für die der ehemalige Direktor der Deutschen Kinemathek in Berlin deren Bestände auswertete - auch wenn das Standfoto hier primär als visueller Rohstoff verarbeitet wird.[4]
Nun also die Filmfotos aus dem Österreichischen Filmmuseum[5], vorgestellt in Kooperation mit der Wiener Albertina in einem materialreichen Band. Schon dessen Untertitel verweist auf den Zusammenhang von „Werbung, Kunst und Kino“, wie er sich in den Standbildern kristallisiert – und belegt gleichzeitig, dass hier ein multiperspektivischer Blick gewagt wird, der über die filmhistorische Zeitzeugenschaft hinausgeht und eine ideengeschichtliche Kontextualisierung vorschlägt. Die behandelte Zeitspanne reicht von den kinematographischen Experimenten eines Georges Méliès an der vorvorigen Jahrhundertwende bis in die Gegenwart, wo sich beispielsweise Pauleit in einem bemerkenswerten Essay mit Cindy Shermans berühmte Serie der Untitled Film Stills (1977–1980) aus Sicht der Standfotografie auseinandersetzt.
Dieser epochenübergreifende Zugang schließt eine enzyklopädische, auf Vollständigkeit angelegte Darstellung von vornherein aus. Die schwierige Aufgabe der Selektion aus dem scheinbar unerschöpflichen Fundus an Stills haben die Kuratoren mit Bravour erledigt: Ihnen ist eine souveräne Auswahl gelungen, die sicher zwischen den erwartbaren Klassikern des Genres (angefangen mit dem Maschinenmensch aus Metropolis auf dem Cover) und faszinierenden, mitunter durchaus eigenwilligen Neuentdeckungen changiert. Ihr Material organisieren Buch wie Ausstellung in sechs Abteilungen, die sich unterschiedlichen visuellen Prototypen widmen: vom Werbe- über das Kunst- und Autoren- bis hin zum Zwischen-, Meta- oder Schlüsselbild. Diese Konzeptionen werden von Herausgeber Walter Moser in seinem einleitenden Aufsatz medientheoretisch begründet; aus ihrem Wechselspiel resultiert denn auch der intellektuelle Mehrwert des Bandes gegenüber allen seinen Vorgängern. Über kleinere Ungenauigkeiten wie etwa die fälschliche Zuordnung eines Wiederaufführungsfotos aus der Nosferatu-Neufassung Die zwölfte Stunde zum Originalwerk (S. 75) lässt es sich da hinwegsehen.
Hervorgehoben sei ferner der Beitrag von Roland Fischer-Briand, Leiter der Fotosammlung des Österreichischen Filmmuseums, zu „Form und Vertrieb der Filmauswertungsfotografie“. Der widmet sich eher dem Still als Materialobjekt, seinen Entstehungsbedingungen und seinen Verbreitungswegen dicht an den Mechanismen der Kinobranche und ihrem kommunikativen Umfeld. Aushangfotos und die sie begleitenden Paratexte werden als Appetithappen für den potenziellen Kinogänger von den Pressefotos unterschieden, die sich an die Redaktionen von Illlustrierten, Filmmagazinen und Programmserien richteten, bis hin zur Verwertung als Starporträts in Büchern, auf Postkarten und Zigarettenbildern. Ein spezieller Hinweis gilt hier den „transluziden Kinoaushangfolien“, die als großformatige Diapositive handkoloriert und mittels Hinterleuchtung in den Foyers der Lichtspieltheater eine verblüffende Wirkung erzielten. Der Abdruck von sieben dieser raren Motive aus dem Fritz-Lang-Klassiker Metropolis auf Klarsichtfolie sind nicht nur die große Entdeckung dieses Bandes, sondern belegen auch dessen liebevolle Ausstattung.
Sie schlagen außerdem die Brücke zu einer zweiten, kleineren Ausstellung speziell dieser Folien, die das Wiener Photoinstitut Bonartes parallel zur Albertina-Präsentation einrichtete und für die Fischer-Briand als Kurator einen zweiten, ähnlich ausgestatteten Katalog erarbeitet hat. Es ist sein Verdienst, die „elektrischen Licht-Bilder“ erstmals in den Fokus der Aufmerksamkeit von Film- und Fotohistorikern gerückt zu haben. Seine Broschüre zeigt eine Auswahl aus den 122 Motiven, die sich im Österreichischen Filmmuseum zu 19 Filmen erhalten haben, und die begleitende Recherche belegt die enorme Seltenheit dieses Materials, von dem in den einschlägigen deutschen Einrichtungen gerade einmal eine dreistellige Zahl von Abzügen nachgewiesen ist. Aber nicht nur deswegen empfiehlt es sich dringend, auch die Dokumentation „Farbiges Leuchten“ in die eigene Handbibliothek zu übernehmen: Schließlich überraschen die kolorierten Fassungen scheinbar altbekannter Schlüsselbilder aus der Filmgeschichte den Betrachter immer wieder und sorgen für ein nachhaltiges ästhetisches Vergnügen.
[1] Annemarie Hürlimann, Alois Martin Müller (Hg.): Film Stills. Emotions made in Hollywood, Ostfildern: Cantz, 1993. – Ruth C. Häuber, Helmut W. Banz (Hrsg.): Aus der Traumfabrik. Die Kunst der Filmfotogafie.Köln: Museum Ludwig, 1990. – John Kobal (Hrsg.): Great Film Stills of the German Silent Era. New York: Dover 1981.
[2] Winfried Pauleit: Filmstandbilder. Passagen zwischen Kunst und Kino. Frankfurt a. M./Basel: Stroemfeld, 2004.
[3] Hans Helmut Prinzler: Licht und Schatten. Die großen Stumm- und Tonfilme der Weimarer Republik. 335 Filmbilder von "Mutter Krause" bis "Dr. Mabuse". München: Schirmer/Mosel, 2012
[4] Eine ähnliche Vorgehensweise übte zuvor das Museum of Modern Art, das begleitend zu einer Reihe von Filmvorführungen des Weimarer Kinos eine Ausstellung und eine Publikation erarbeitete, die im Wesentlichen die Stills aus den eigenen Beständen zur Illustration der Filme verwendete. Laurence Kardish (Hrsg.): Weimar Cinema, 1919 – 1933: Daydreams and Nightmares. New York: Museum of Modern Art, 2010.
[5] Einzelne Stills wurden den Kollektionen der Partnerinstitute in Berlin, Paris und London entliehen, ergänzt um Beiträge aus Privatsammlungen.
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