Babett Forster
Fotografie und Archäologie
Editorial
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 144, 2017
Sie gehören zu den Topoi der Fotografiegeschichte: Dominique François Aragos Lobrede anlässlich der Bekanntgabe des neuen Verfahrens der Daguerreotypie im Jahr 1839 und die darin betonte Zweckdienlichkeit der neuen Bilder für die Archäologie. Schon dort werden die bis heute maßgeblichen Postulate der Objektivität, der Schnelligkeit und der Detailgenauigkeit der neuen Bilder formuliert. Die Fotografie wird so zum adäquaten Bildmedium für die Dokumentation von Altertümern erhoben. Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Archäologie noch nicht als klar umschriebener Begriff, geschweige denn als Universitätsfach, existierte, lässt sich aus dem Beitrag Aragos deutlich die Indienstnahme der Fotografie für Liebhaberei und die Wissenschaft der Archäologie ablesen.
Diese Verknüpfung ist heute selbst zum Forschungsbereich avanciert und die im vorliegenden Heft titelgebenden Begriffe Fotografie und Archäologie haben in der Zusammenschau durchaus Konjunktur: Erst im Sommer 2012 hat sich beim Deutschen Archäologen-Verband die Arbeitsgemeinschaft Archäologie und Photographie mit dem Ziel gegründet, möglichst umfassend die Ein- und Auswirkungen der fotografischen Bilder auf archäologischen Theorie- und Praxisfelder zu untersuchen. Mit beiden Begriffen verbinden sich Universen an Begriffen, Personen und Diskursen, so dass die Reduktion auf die Schlagwörter Fotografie und Archäologie zunächst Alles und Nichts preisgibt. Dennoch ist unter dem Rubrum schon so manche Publikation erschienen, man denke an Archäologie und Photographie des Deutschen Archäologischen Instituts von 1978 und an Archäologie der Photographie, das 2004 von der Photothek der Staatlichen Museen zu Berlin herausgegeben wurde, wobei der Buchinhalt diesem Titel jedoch nicht ganz gerecht wird. Beide Werke konzentrieren sich auf die Aufarbeitung von Fotobeständen und eine exemplarische Darstellung der Anwendungsgeschichten und -gebiete der Fotografie im Bereich der meist klassischen Archäologie. Daneben wird das Thema Archäologie und Fotografie vereinzelt in einigen Katalogen und Sammelwerken angesprochen. So von Vincenz Brinkmann im Tagungsband Posthumanistische Archäologie, wobei er gleich eingangs feststellt, „daß die Beurteilung der Fotografie in unserem Fach [der Klassischen Archäologie, B.F.] nicht von einem Beteiligten, sondern nur von einem ausgewiesenen Kommunikationswissenschaftler selbst betrieben werden kann.“[1] Dieser Aufgabe hat sich der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Frederick N. Bohrer in seinem 2011 erschienenen Buch Photography and Archaeology angenommen. Bohrer geht darin der Aufnahmepraxis und den Gebrauchsweisen von Orts- und Sachfotografien exemplarisch nach und versucht, mit seinem Analyseansatz des „looking both at and through photographs“[2] die fotografische Darstellung und Vermittlung der Gegenstandsbereiche der Archäologie, aber auch die Veränderung der archäologischen Monumente und Objekte durch Formen fotografischer Repräsentation aufzuzeigen.
Ein anderer Gemeinplatz der Fototheorie ist Roland Barthes' Diktum des Es ist so gewesen, das Versprechen der Anwesenheit des Fotografierten. Und genau dieser Umstand scheint sich im Verhältnis von Archäologie und Fotografie ganz besonders zu manifestieren: „In photography and archeology alike matter is made to stand for energy, the dead for the living, the absent for the present.“[3] Wie also bedingen sich die Suche nach dem Was-war-gewesen und die Bestätigung der Fotografie durch ihr implizites Es-ist-so-gewesen? Sogleich ergeben sich bei dieser so evident erscheinenden Konstellation augenscheinliche Schwierigkeiten, denn: „we do not see ‘what was there’, but a narrative.”[4]
Ausprägungen dieser Erzählung, wie sie im Kontext von Archäologie und Fotografie entstehen, werden in den Beiträgen des vorliegenden Themenheftes behandelt. Am Beginn steht der Beitrag von Eva und Klas Winter, die sich anhand früher Aufnahmen aus Athen damit beschäftigen, inwieweit historische Fotografien für heutige wissenschaftliche Fragestellungen der Klassischen Archäologie aussagekräftigen sein können. Wie alle objektwissenschaftlich arbeitenden Wissenschaften benötigt die Archäologie das anschauliche Vermitteln, das neben Beschreibung, Zeichnung, Abdruck auch die Fotografie beinhaltet.
Die Unmittelbarkeit der Fotografie und das damit verbundene Wirklichkeitsversprechen speisen so die gegenseitige Bedingtheit von Fotografie und Archäologie: Die Möglichkeit, fotografische Aufzeichnungen von Orten, Bauten und Artefakten im Vergleich zur gängigen Zeichnung schnell zu schaffen und ebenso rasch zu verbreiten, befeuerte weitere archäologische Unternehmungen und erweiterte sukzessive das Interessenfeld. Im Gegenzug beförderten weitere spektakuläre Entdeckungen den gesteigerten fotografischen Zugriff auf das archäologische Material. Vor diesem Hintergrund stellen Almut Goldhahn und Matthias Gründig in ihrem Beitrag einen italienischen Fotografen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts vor, der mit seinen Aufnahmen die nationalen Bildarchive belieferte und sich damit an der Herausbildung denkmalpflegerischer Verwaltung beteiligte. Thematisch daran anschließend erläutert Stefanie Klamm am Beispiel des griechischen Olympias und der römischen Siedlung im westfälischen Haltern den Einsatz der verschiedenen Medien Fotografie, Karte, Zeichnung bei der Vermittlung des archäologischen Befundes im 19. Jahrhundert.
Mit steigender Zahl von Entdeckungen und den damit verbundenen neuen Motiven wuchs der Bilderberg. Größere Mengen des fotografischen Materials wurden abgelegt, angehäuft, gesammelt, distribuiert. Notwendigerweise entwickelten sich dezidierte Gebrauchsweisen im Umgang mit dem inhaltlich, formal und qualitativ höchst unterschiedlichen Bildmaterial. Der institutionelle Umgang mit Fotomaterial beschäftigt Stefanie Klamm und Petra Wodtke, die sich am Beispiel zweier historischer Fotoarchive mit der Akkumulation von archäologischen Bildern und der sich daraus ergebenden wissenschaftlichen Handhabung beschäftigen.
Doch ist Archäologie nicht nur Wissenschaft, sondern auch gelehrte Unterhaltung und Zerstreuung. So bezeugen die stereoskopischen Bilder der Pyramiden und antiken Tempel archäologische Liebhaberei und gelehrten Zeitvertreib. Nicht zuletzt mit dem Aufkommen farbig bebilderter Reiseführer und populärwissenschaftlicher Hochglanzmagazine übernimmt die Fotografie bis heute eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn es darum geht, archäologische Arbeitsweisen und vor allem Entdeckungen und Funde sowie deren Rekonstruktionen einem breiten Publikum bekannt zu machen. Heute ist die digitale Rekonstruktion archäologischer Monumente technisch realisierbar und erstrebenswert. Am aktuellen Fall des Baaltempels von Palmyra erläutern Nausikaä El-Mecky und Stefanie Samida Konzepte der digitalen Visualisierung im archäologischen Kontext, um daraus allgemeine und didaktische Schlussfolgerungen aus der Verwendung digitaler Rekonstruktionen zu ziehen.
Dass sich die skizzierte Verbindung von Fotografie und Archäologie durchaus auch anders verstehen lässt, zeigt der abschließende Beitrag von Gregor Reimann und Michael Wermke: Anhand von Amateuraufnahmen aus dem Konzentrationslager Mauthausen versuchen sie eine Archäologie der Fotografie umzusetzen. Im Sinne einer Praxis des Ausgrabens lassen sich die Kontextualisierungen eines fotografischen Bildes in Ebenen freilegen. Wie die historischen Schichten, die sich über Orte, Monumente und Artefakt gelegt haben, können die an eine Fotografie angelagerten Erzählungen und Deutungen differenziert und identifiziert werden.
[1] Vincenz Brinkmann: Die Fotografie der Archäologie, in: Stefan Altekamp, Mathias René Hofter, Michael Krumme (Hg.): Posthumanistische Klassische Archäologie. Historizität und Wissenschaftlichkeit von Interessen und Methoden. Kolloquium Berlin 1999, München 2001, 403-411, hier S. 403.
[2] Frederick N. Bohrer: Photography and Archaeology, London 2011, S. 26.
[3] Peter Metelerkamp: Photo essay: Institutional spaces, in: Paul Graves-Brown (Hg.): The Oxford Handbook of Archaeology of the contemporary world, Oxford 2013, S. 522-548, hier S. 525.
[4] Ebenda.
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