Muriel Willi
Anatomie einer Fotoausstellung
Franziska Brons: Exposition eines Mediums. Internationale Photographische Ausstellung Dresden 1909, Paderborn: Wilhelm Fink, 2015, 496 S., 15,8 x 2,7 x 23,3 cm, 242 Abb. in S/W und 26 Abb. in Farbe, broschiert, 69 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 139, 2016
Franziska Brons’ Publikation zur Internationalen Photographischen Ausstellung in Dresden 1909 (Ipha)ist in mehrerer Hinsicht wegweisend. Der Entschluss, sich im Rahmen einer Dissertation der Aufarbeitung einer einzelnen Fotoausstellung zu widmen, wäre noch vor einem Jahrzehnt kaum denkbar gewesen. Die sogenannten Exhibition Studies können heute zwar schon als eigenständiges Forschungsfeld innerhalb der Kunstgeschichte angesehen werden, da sich die Erforschung von Form und Geschichte der (Kunst-)Ausstellungen, seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, großer Aufmerksamkeit erfreut.
Die Anfänge dieser Beschäftigung mit dem Thema Ausstellungen reicht im deutschen und amerikanischen Raum in die 1980er Jahre zurück, denken wir etwa an die Beiträge von Ulrich Pohlmann (Nicht beziehungslose Kunst, sondern politische Waffe: Fotoausstellungen als Mittel der Ästhetisierung von Politik und Ökonomie im Nationalsozialismus, in: Fotogeschichte, Heft 28, 1988) oder Benjamin Buchloh (From Faktura to Factography, in: October, Nr. 30, Herbst 1984). Seit etwa fünf Jahren hat sich in diesem Bereich die Forschungsarbeit intensiviert. Dabei entstanden maßgebende Publikationen wie der von Jorge Ribalta 2009 herausgegebene Band Public Photographic Spaces. Exhibitions of Propaganda, from Pressa to Family of Man 1928-1955 (siehe Rezension in: Fotogeschichte, Heft 113, 2009), das von Bernd Stiegler zusammengestellte Themenheft „Ausgestellte Fotografien“ der Zeitschrift Fotogeschichte (Heft 112, 2009), in dem Brons bereits einen Artikel zur Ipha beisteuerte, oder die von Alessandra Mauro 2014 herausgegebene Publikation Photoshow. Landmark Exhibitions that defined the History of Photography (siehe Rezension in: Fotogeschichte, Heft 135, 2015). Umfassende Aufarbeitungen einzelner Ausstellungen sind bisher jedoch erst zu The Family of Man (1955) (siehe z.B. Eric Sandeen 1995 oder Jean Back und Viktoria Schmidt-Linsenhoff 2004) unternommen worden. In weit geringerem Umfang auch zur Film und Foto. Internationale Ausstellung des Deutschen Werkbundes 1929 (FiFo) (siehe Ute Eskildsen und Jan-Christopher Horak 1979) oder zur photokina (ab 1950) (siehe Ulrich Pohlmann 1990).
Zur Ipha selber liegen kaum publizierte Untersuchungen vor. Zu erwähnen wäre hier lediglich Vanessa Roccos 2009 erschienener Artikel „Pictorialism and Modernism at the Dresden Internationale Photographische Ausstellung“, in dem sie die Ipha als Schwellenpunkt zwischen der Verhaftung in der piktorialistischen Fotografie und einer Hinwendung zu moderneren/dynamischeren Präsentationskonzepten interpretiert (in: History of Photography, Vol. 33, Nr. 4, 2009). Brons wagt sich also mit ihrer Fallstudie zur Ipha auf ein relativ neues Terrain vor. Dies umso mehr, als sie sich nicht wie sonst im Rahmen der Aufarbeitung der Frühgeschichte der Fotografie üblich, einzelnen Protagonisten, der Abfolge technischer Neuerungen oder dem Einsatz des Mediums zwischen Wissenschaft und Kunst sondern eben einer Ausstellung zuwendet.
Die Auseinandersetzung mit der Ausstellung geschieht über einen sehr elegant gelösten formalen Aufbau des Bandes. Der Leser wird in einem Parcours durch die verschiedenen Sektionen der Ipha geführt. Der Einstieg in eine neue Thematik erfolgt jeweils über die detaillierte Bildbeschreibung eines repräsentativen Bildes. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist, dass die Autorin die Schwierigkeit der Recherche nach Bilddokumenten zur Ausstellung thematisiert. Zudem weist sie auf deren sowohl dokumentarischen wie auch inszenatorischen Charakter hin. Auf den Aspekt der Bildinszenierung wird dann auch vertieft z.B. im Rahmen der Ansichtskartenstaffagefiguren (Kapitel III d) eingegangen. Über die beschriebenen Bilder vermag Brons nicht nur aufzuzeigen, was an den jeweiligen Sektionen charakteristisch war, sondern auch wie diese Bestandteile das Gesicht der gesamten Ausstellung prägten. Etwa indem sie anhand der Fotografie von Hermann Krone vor seinem Historischen Museum für Photographie aufzeigt, wie die Kompilation technischer Bilder in historiographischer Form die konzeptionelle Anlage der Sektion „Geschichte der Photographie“ und der Ipha insgesamt verkörpert. Stimmen aus zeitgenössischen Publikationen ergänzen dabei Brons Beschreibung und Beurteilung der verschiedenen Themenbereiche. Der Umfang und die Vielgestaltigkeit der zusammengetragenen Bild- und Textquellen sind beeindruckend. Dabei beschränken sich diese nicht nur auf die Ausstellung beschreibende Dokumente. Dieser Mannigfaltigkeit der für die Ipha zusammengetragenen Exponate entspreche, so Brons, die Diversität der in ihrem Rahmen produzierten Bilder. Besonders gut ersichtlich wird dies in Kapitel III und den darauf folgenden Farbtafeln. Hier werden Massenbilder, welche physisch losgelöst von der Ausstellung im Gebrauch waren, präsentiert, was Gelegenheit bietet, sowohl touristische und propagandistische Aspekte als auch die zeitgenössische Stellung des Kinos oder die neu erfundene Brieftaubenfotografie aufzuarbeiten.
Die Autorin scheut sich bei der Ausarbeitung der einzelnen Sektionen nicht davor, ihren Blick über die Ausstellung hinaus schweifen zu lassen. So werden auch Aspekte, welche historisch die verschiedenen Ausstellungsformen bedingten, miteinbezogen. Dadurch wird das Verständnis des Mediums Fotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts erweitert.
Im zweiten Kapitel, welches auf eine sogenannte Exposition folgt, widmet sich Brons den verschiedenen Präsentationsmodi. Schwerpunkte setzt sie in der Aufarbeitung der Sektionen „Länder und Völkerkunde“ und „künstlerische Photographie“, des österreichischen Länderpavillons sowie der Präsentation von Waren aus der Fotoindustrie. Über Gestalt und Gehalt der Sektionen hinaus erhält der Leser Informationen zum damaligen Weltgefüge und -verständnis, zu den Unterschieden bezüglich Status und Motivinszenierung zwischen Berufs- und Amateurfotografen oder der engen Bindung zwischen der Dresdener Fotoindustrie und dem Ausstellungswesen. Im reich bebilderten Unterkapitel zum österreichischen Pavillon ist viel über dessen innere und äußere Gestalt zu erfahren, leider wird aber nicht ausgeführt, wieso ausschließlich Österreich die Ehre zuteil wurde ein eigenes Gebäude zu bespielen.
Im vierten Kapitel steht die Präsentation von technischen Anwendungsgebieten der Fotografie im Vordergrund. Hier werden die Sektionen zur Geschichte des Mediums, zu den fotografischen Reproduktionsmöglichkeiten und zum Einsatz als Hilfsmittel zur Rechtspflege, in der Wissenschaft und dem Schulwesen aufgearbeitet. Der Leser erhält hier über die Beschreibung der Sektionen hinaus Erläuterungen bezüglich Definition und Entstehung des Bildatlasses, zur Schule des vergleichenden Sehens und zu den Institutionen, welche die Kriminalistik- und Wissenschaftsabteilung inspiriert und bedingt haben. Vor allem in diesem Kapitel vermag Brons auch ihr Versprechen einzulösen, den Mehrwert der Ipha aufzuzeigen. Etwa indem sie ausführt, dass das angewendete „Press-button Science-Teaching“ Impulse für die Ausstattung von Technikmuseen gab oder die Exponate sogar den Grundstock für ein geplantes Fotografisches Museum bilden sollten. Dies ist einer der leider etwas spärlichen Momente, in denen Brons ihren Blick in die Zukunft richtet. So kann dann die Ipha auch nur im Vergleich mit ihren Vorgängern (Welt- oder Fotografieausstellungen) in eine Ausstellungshistorie eingeschrieben werden. Ein vergleichender Ausblick (mit der Wanderausstellung Fotografie der Gegenwart (1929) geschieht erst in der Coda, wäre aber auch im Bezug zu anderen Fotoausstellungen interessant. In ihrem breitgefächerten Programm, das die historischen, künstlerischen, gewerblichen und wissenschaftlichen Leistungen und Anwendungsgebiete der Fotografie vereinte, könne die Ipha, so meint Ulrich Pohlmann in seiner oben erwähnten Publikation zur photokina, als Vorgängerin der Kipho (1925), der Kamera (1933) und der photokina (ab 1950) betrachtet werden. Ein Bezug zur Weltausstellung der Photographie in Luzern (1952) könnte im Hinblick auf den Anspruch das gesamte Gebiet der Photographie vor Augen zu führen, aufschlussreich sein.
Diese erste umfassende Aufarbeitung der Ipha bietet sowohl eine sehr gute Vorlage für die Herangehensweise an die Aufarbeitung anderer großangelegter Fotoausstellungen sowie für vertiefte Studien der ästhetischen, gesellschaftlichen oder politischen Aspekte dieser Ausstellung.
Angeführte Literatur:
Jean Back, Victoria Schmidt-Linsenhoff, Viktoria (Hg.): The Family of Man 1955–2001. Humanismus und Postmoderne: eine Revision von Edward Steichens Fotoausstellung, Marburg 2004.
Benjamin Buchloh: From Faktura to Factography, in: October, Nr. 30, Herbst 1984, S. 82-119.
Ute Eskildsen, Jan-Christopher Horak (Hg.): Film und Foto der Zwanziger Jahre: Eine Betrachtung der Internationalen Werkbundausstellung„Film und Foto“ 1929, Stuttgart 1979.
Alessandra Mauro (Hg.): Photoshow. Landmark Exhibitions that defined the History of Photography, London 2014.
Ulrich Pohlmann: Kultur, Technik und Kommerz: Die photokina-Bilderschauen 1950–1980, Ausstellungskatalog, Historisches Archiv der Stadt Köln, Köln 1990.
Ulrich Pohlmann: „Nicht beziehungslose Kunst, sondern politische Waffe“. Fotoausstellungen als Mittel der Ästhetisierung von Politik und Ökonomie im Nationalsozialismus“, in: Fotogeschichte, Heft 28, 1988, S. 17-32.
Jorge Ribalta (Hg.): Public Photographic Spaces. Exhibitions of Propaganda, from Pressa to Family of Man 1928–1955, Barcelona 2009.
Vanessa Rocco: Pictorialism and Modernism at the Dresden Internationale Photographische Ausstellung, in: History of Photography, Vol. 33, Nr. 4, 2009, S. 383-402.
Eric J. Sandeen: Picturing an Exhibition: The Family of Man and 1950s America, Albuquerque 1995.
Bernd Stiegler (Hg.): Ausgestellte Fotografien , Themenheft Fotogeschichte, Heft 112, 2009.
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