Helena Holzberger
Zentralasien im fotografischen Modernitätsdiskurs
Bilderwelten von Usbekistan unter russischer und sowjetischer Herrschaft mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung usbekischer Fotografie (1867–1941)
Dissertation im Rahmen der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien, LMU München, Betreuer: Prof. Dr. Andreas Renner, Prof. Dr. Burcu Dogramaci, Beginn: Dezember 2014, K
ontakt: h.holzberger(at)lmu.deErschienen in: Fotogeschichte, Heft 136, 2015
Die Etablierung der Fotografie im russischen Zarenreich erfolgte fast zeitgleich mit der Eroberung der zentralasiatischen Gebiete, wo dieses neue Medium unmittelbar zum Einsatz kam. Der neue Teil des Reiches konnte nun auch „wahrhaftig“ abgebildet und in eine visuelle Ordnung integriert werden. Schon lange bevor Fotografie zum Medium der sowjetischen Moderne wurde, existierte ein visueller Diskurs des russischen Orients, der in Illustrierten, in Ausstellungen und in Alben deutlich wurde. Aber auch in der Kolonie Turkestan fand die Fotografie schnell Anklang und bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten einheimischen Fotostudios. Doch auch in der visuellen Ordnung der Sowjetunion spielten Bilder aus Zentralasien eine bedeutende Rolle, da Usbekistan das Musterland der sowjetischen Modernisierung werden und dies weit über die Grenzen des sowjetischen Imperiums bekannt werden sollte.
In der Forschungsarbeit wird die Rolle der Fotografie in der Schaffung von Ordnungen und Visualisierung von Macht, aber auch in der Modernisierung der usbekischen Gesellschaft untersucht. Für die Zeit des Zarenreiches dienen illustrierte Zeitungen, Kataloge von Fotoausstellungen, Expeditionsfotos sowie die Nachlässe der ersten usbekischen Fotografen als Quelle, während für die Sowjetzeit illustrierte Massenmedien, Fotobücher und die Zeitschrift „Sovetskoe Foto“ zugrunde liegen.
Der erste Analyseteil wird zeigen, welches Bild von Turkestan in der russischen Öffentlichkeit präsent war. Sowohl der Wahrhaftigkeitsanspruch des Mediums als auch seine Widersprüchlichkeit zu anderen visuellen Formen sind dabei entscheidend, um die Idee des besonderen russischen Orientalismus zu erweitern. Besonders die Wahrnehmung „inoffizieller“ Expeditionsfotografen aber auch die Rezeption durch den russischen Betrachter in Petersburg sind von Interesse, da auch der gesellschaftliche Umgang mit „Reisefotos“ aus der neuen Kolonie in den Fokus genommen werden soll.
Dieses Bild wird im zweiten Teil der fotografischen Selbstdarstellung der indigenen Bevölkerung gegenüber gestellt. Anhand einer Untersuchung des Werkes der ersten zwei usbekischen Fotografen und ihrer Studios wird die Etablierung der Fotografie in Usbekistan erläutert. Neben Fragen des Stils, der „Bildwürdigkeit“ sowie der sozialen Handhabung sind es auch Fragen nach dem Zusammentreffen des Islams mit dem neuen Medium und der neuen Akzeptanz, die von Interesse sind und die Wechselwirkungen der Fotografie mit der Kolonisierung zeigen werden.
Der Hauptfokus des dritten Teiles liegt in einer Analyse des visuellen Diskurses über Usbekistan in den illustrierten sowjetischen Massenmedien und in den ersten Fotobüchern. Ausgehend von der Betrachtung der Sowjetunion als Imperium und Usbekistans als sein Musterland der Modernisierung, stellt sich die Frage nach der Visualisierung von Herrschaft. So wird dieser Diskurs dem vorrevolutionären Bild Turkestans gegenübergestellt und auf Kontinuitäten und Brüche untersucht. Ein weiterer Vergleich mit Bildern usbekischer Fotografen aus der bedeutendsten Fotozeitschrift Sovetskoe Foto, in welcher die künstlerischen Aspekte vorrangig waren, soll die verschiedenen Rollen der Fotografie zu jener Zeit verdeutlichen und das politische Bild Usbekistans dem künstlerischen gegenüber stellen.
Das Ziel des Forschungsprojektes ist es nicht nur zu zeigen, welche Rolle die Fotografie in der frühen Kolonialgeschichte Russlands spielte, sondern auch wie sich das Medium in einer Kolonie entwickelte. Diese Stränge verliefen nur anfangs parallel – bereits um 1900 kreuzten sie sich, als Russen sich in usbekischen Studios ablichten ließen oder usbekische Fotografen in Petersburg Fotografie studierten. Spätestens in der frühen Sowjetzeit trafen sie jedoch endgültig zusammen, als Fotografen aus Usbekistan den visuellen Diskurs mit ihren vor Ort entstandenen Bildern bestimmten. Mit einer um visuelle Quellen erweiterte Diskursanalyse, sowie mit Hilfe von Ansätzen der post-colonial und visual studies und soziologischer Modernitätstheorien sollen diese Entwicklungen aufgezeigt und in ihrer zeitgenössischen Bedeutung dargestellt werden.
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