Anton Holzer
Fred Stein – ein deutscher Fotograf in Paris und New York
Fred Stein: Paris New – York, Heidelberg, Berlin: Kehrer Verlag, 2013. Mit Texten von Cilly Kugelmann, Gilles Mora, Rosemarie Sullivan und Theresia Ziehe. Katalog zur Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin, 22. November 2013 bis 4. Mai 2014., 197 S., 31 x 24 cm, zahlreiche Abb. in Duotone, gebunden mit Schutzumschlag, 49 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 133, 2014
Fred Stein, geboren in Dresden im Jahr 1909 und gestorben 1967 in New York, ist in Fotokreisen kein ganz Unbekannter. In den 1940er Jahren publizierte er mehrere Fotobücher über New York und eines über Paris. Die Auswahl dieser Bände, so argumentiert Gilles Mora in der vorliegenden Publikation, vermittle freilich kein repräsentatives Bild vom Gesamtwerk Fred Steins. Da die Bücher an ein breites Publikum gerichtet waren oder, wie im Falle des Paris-Buches, das 1944 erschien, die Amerikahilfe für Frankreich publizistisch unterstützen sollten, verwendete Stein überdurchschnittlich viele romantisierende Stadtfotografien. Sein Werk hingegen ist, im gesamten gesehen, vom Erbe der sozialkritischen Fotografie (etwa der Arbeiterbewegung) ebenso geprägt wie von Impulsen der Avantgarde, die er aber nur in wohldosierter Form übernahm.
In den letzten 25 Jahren wurde das fotografische Werk Fred Steins immer wieder (ausschnitthaft) präsentiert, und zwar vor allem in amerikanischen Galerien und Museen. Eine größere Ausstellung fand etwa 1995 im International Center of Photography in New York, statt, wo hauptsächlich seine New Yorker Straßenszenen gezeigt wurden. Wenige Jahre zuvor, 1989, hatte Fred Steins Sohn, Peter Stein, der im Bundesstaat New York lebt und das umfangreiche Fotoarchiv seines Vaters hütet, einen Auswahlband zusammengestellt: World Celebrities in 90 Photographic Portraits versammelte eine Auswahl von Porträtaufnahmen.
In Europa hingegen war das fotografische Werk Steins weit weniger präsent. Zwar war der jüdische Emigrant in den 1960er Jahren mit zwei Fotobänden in die deutsche Öffentlichkeit zurückgekehrt. Insbesondere der 1961 publizierte Band Deutsche Porträts hatte das fotografische Können Steins als souveräner Porträtist unter Beweise gestellt.[1] Inzwischen ist aber viel Zeit vergangen. In den letzten Jahren war Fred Stein im deutschen Sprachraum wieder in den Hintergrund getreten, auch wenn einige seiner Fotos, etwa das Doppelporträt von Robert Capa und Gerda Taro, das 1935 in Paris entstand, oder Aufnahmen von Albert Einstein und Hannah Arendt einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind. 2012 wurden Steins Aufnahmen zusammen mit jenen von Edmund Kesting zum ersten Mal in seiner Geburtsstadt Dresden gezeigt.[2]
Die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin war also angetreten, um erstmals im deutschen Sprachraum das fotografische Gesamtwerk Steins zu zeigen. Und dieses ist tatsächlich eindrucksvoll und überaus facettenreich. Es umfasst Alltags- und Straßenszenen, Architekturaufnahmen und Porträts. Stein, der eigentlich in Dresden Jus studieren wollte, aber nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten als Jude und Sozialist in Bedrängnis kam, flüchtete 1933 mit seiner Frau Liselotte (Lilo) nach Paris und fand dort bald Zugang zu (meist linken) künstlerischen und intellektuellen Kreisen. Da ihm ein Studium in Frankreich unmöglich war, begann er als Fotograf zu arbeiten. Er hatte aus Dresden seine Leica (bei der Hochzeit im August 1933 schenkte das Paar einander gegenseitig eine Leica) mitgebracht und schaffte es als Amateur und Autodidakt innerhalb kürzester Zeit, sich mit der Fotografie ein zunächst schmales Auskommen zu sichern. Er fotografierte zahlreiche Intellektuelle in Paris (Bert Brecht, Alfred Kantorowicz, Le Corbusier, André Malraux u.a.), daneben trieb er sich in den Straßen von Paris herum, auf denen er mit seiner Kamera Schnappschüsse aus dem Alltag der Großstadt festhielt. Der Kriegsbeginn 1939 zwang das Ehepaar Stein erneut zur Flucht. Nach Monaten der Internierung als „Ausländer“ gelang es Lilo und Fred Stein, auf getrennten Wegen nach Marseille zu gelangen, von wo sie am 7. Mai 1941 die Überfahrt nach Amerika antreten konnten. In New York fasste Stein wiederum rals Fotograf Fuß, seine Frau war als Lehrerin tätig. Auch hier fotografierte er Künstler und Prominente (Albert Einstein, Marc Chagall, Hannah Arendt, Josef von Sternberg u.a.) – viele davon Emigranten wie er – aber auch den russischen Staatschef Nikita Chruschtschow, der sich in den USA aufhielt. Wie schon in Paris, flanierte Stein durch die Straßen von New York und eignete er sich mit neugierigem Blick die fremde Stadt von ihren Straßen aus an.
Das Vorhaben, das fotografische Gesamtwerk Steins in Verbindung mit seiner Lebensgeschichte zu präsentieren, ist verdienstvoll. Aber leider ist es im Katalog nicht wirklich geglückt. Das liegt daran, dass die Autorinnen und Autoren des Bandes sich allzu sehr von den Fotos und den anekdotischen Familienberichten haben leiten lassen. Ernsthafte Forschungen zu Fred Stein und seinen Fotografien sind offenbar keine erfolgt. Im einleitenden Text gleitet Gilles Mora von Bild zu Bild und sichert dem Protagonisten verbal einen würdigen Platz innerhalb der Exilfotografie und vergleicht ihn auch mit anderen Vertretern der „street photography“ – freilich ohne auf Biografie und Werk des Fotografen genauer einzugehen und ohne die offenkundigen Unterschiede zwischen den einzelnen Fotografen im Detail herauszuarbeiten. Der biografische Essay von Rosemary Sullivan listet frisch-fröhlich die Lebensstationen des Fotografen auf und kommt praktisch ohne Quellenangaben aus. Woher die Informationen stammen, die meist recht schwammig bleiben, ist unklar. Zitiert wird ein einziger Brief Steins. Dieser äußerst sparsame Bezug zu schriftlichen Quellen das ist angesichts der Materiallage äußerst merkwürdig. Immerhin erfahren wir im abschließenden Beitrag von Theresia Ziehe, dass „ein großer Teil des Nachlasses (...) aus Fred Steins umfangreicher und ausführlicher Korrespondenz“ besteht. Diese Korrespondenz wurde aber offenbar anlässlich dieser Retrospektive keiner Sichtung unterzogen. Im gesamten Buch werden lediglich eine halbe Handvoll Briefe zitiert. Am aufschlussreichsten und informativsten ist der eben genannte Beitrag von Theresia Ziehe, der zumindest einige grundlegende Informationen zum Zustand des Archivs bietet. Neben Negativen und Kontaktabzügen finden sich auch großformatige vintage prints und viele spätere Abzüge in der Sammlung. Auf welchen Vorlagen die Bilder des Katalogs beruhen, wird im Katalog leider nicht mitgeteilt. Auch die Bildbeschriftungen sind äußerst rudimentär.
Ein Manko des Katalogs liegt auch darin, dass das Werk von Fred Stein fast vollständig abseits der zeitgenössischen Verwendungsweise seiner Fotos rekonstruriert wird, ganz so als ob Fred Stein im luftleeren Raum gelebt und gearbeitet hätte. Daher werden die Auftragsverhältnisse ebenso wenig deutlich wie die Hintergründe seiner Publikationen seiner Fotos in Zeitungen und Zeitschriften. Nur nebenbei erfahren wir, dass seine Bilder u.a. in den Zeitschriften und Zeitungen Time, Aufbau, New York Times und Fortune erschienen. Bildbeispiele aus diesen Publikationen oder genaue Quellenangaben werden nicht geliefert. Auch die Buchpublikationen Steins, die problemlos in Bibliotheken zugänglich sind, werden keiner eigenen Sichtung und Analyse unterzogen. In welchem Kontext die Porträtfotos, die 1961 in Deutschland und der Schweiz entstanden (etwa von Hermann Hesse, Otto Dix und Günter Grass, bleibt im Katalog im Dunkeln, ebenso wie die Hintergründe der Porträts, die zur selben Zeit in Mexiko aufgenommen wurden. Ein wunderbares Porträt im Band zeigt den aus der Schweiz stammenden, in Amerika lebenden Fotografen Robert Frank 1954 in New York. Gerne hätten wir gewusst, was die beiden Fotografen verband.
Es bleiben die Fotos – oft merkwürdig kontextlos. Sie sind gut gedruckt und lassen den langen Weg Steins vom Paris der 1930er Jahre bis ins New York der 1960er Jahre anschaulich werden. Wenn auch mit Einschränkungen: denn ein Teil der Fotos, die die politischen Veranstaltungen der französischen Linken zeigen, hatte Stein vor seiner Flucht von Paris aus an ein niederländisches Archiv geschickt. Sie gelten als verloren. Auch seine Zugehörigkeit zur linken New Yorker Photo League schlägt sich in der vorliegenden Auswahl an Stadtbildern kaum nieder. Auch hier wäre es spannend gewesen, über die schriftlichen Quellen genauere Hinweise zur politischen Haltung des Fotografen zu gewinnen. Aber immerhin: Der Fotoband erinnert an einen wichtigen deutsch-französisch-amerikanischen Fotografen, dessen Werk im deutschen Sprachraum allzu lange vergessen worden war.
[1] Fred Stein: Deutsche Porträts. Einführung von Will Grohmann, Stuttgart, Battenberg Verlag, 1961. Der Kunsthistoriker Will Grohmann stammte, so wie Fred Stein, aus Dresden.
[2] Die Ausstellung „Will Grohmann und die Fotografen Edmund Kesting und Fred Stein“ fand zwischen 10. Oktober bis 20. November 2012 in der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden statt.
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