Anton Holzer
Zugänge zu einer Monumentalgeschichte der Fotografie
Maren Gröning, Ulrike Matzer (Hg.): Josef Maria Eder: Photographie als Wissenschaft. Positionen um 1900; Reihe Photogramme, hg. von Bernd Stiegler, München: Wilhelm Fink Verlag, 2013, 311 S., 23,5 x 16,5 cm, Abb. in Farbe und S/W, 48 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte 130, 2013
Über 1.000 Seiten umfasste Josef Maria Eders Geschichte der Photographie in ihrer letzten Auflage, die 1932 in zwei Teilbänden erschien. Dieses Werk, dessen Vorgeschichte in das Jahr 1881 zurückreicht und das 1945 auch in einer amerikanischen Übersetzung (aus der Feder von Edward Epstean) erschien, begründet den internationalen Ruf Eders als Fotohistoriker. Freilich wird das monumentale Werk heute kaum noch gelesen. Während vereinzelte andere Werke Eders in Nachdrucken wieder aufgelegt wurden, ist die deutschsprachige Ausgabe seines Hauptwerks schon seit Jahrzehnten nicht mehr im Handel erhältlich. Die englische Ausgabe wurde zwar 1978 nachgedruckt, ist inzwischen aber neuerlich vergriffen. Im antiquarischen Buchmarkt ist sie freilich noch problemlos erhältlich.
Vor diesem Hintergrund ist es ein verdienstvolles Unterfangen, das weit verzweigte Werk Eders in kommentierten Auszügen vorzustellen. Dass die Auswahl aus dem ausufernden Fundus des Ederschen Werks nicht leicht war, gestehen die Herausgeberinnen Maren Gröning und Ulrike Matzer in ihrer Einleitung ganz offen ein: „Angesichts dieser reichen wie sperrigen, unüberschaubaren wie hoch speziellen Materiallage fällt es nicht leicht, das bedeutende Werk Eders auf relativ knappem Raum angemessen zu präsentieren.“ Die trockene, enzyklopädische Anordnung der Texte Eders erschwert die „Auskoppelung“ geschlossener Texteinheiten, die eine auch heute nachvollziehbare Dramaturgie aufweisen. Eder, der mit Zettelkasten und Schere ausgerüstet, sein umfangreiches Werk Stück für Stück erweitert und ausgebaut hat, hatte offenbar nicht so sehr die Bedürfnisse der Leser im Blick, die überschaubare, klar umrissene Einheiten vorziehen. Statt dessen war ihm an einer wie immer gearteten Vollständigkeit gelegen, ein letztlich unerreichbares Ziel, das ihn zu immer neuen Ergänzungen und Erweiterungen anspornte.
Die Herausgeberinnen haben sich dafür entschieden, unterschiedliche thematische Bereiche jeweils mit einem Text Eders einzuleiten und diesen durch andere zeitgenössische Beiträge zum Thema zu „kommentieren“. Das ist ein guter Zugang. Zum einen wird auf diese Weise Eders Werk in einem internationalen Diskurs verortet. Es werden aber auch Konfliktlinien, Bruchstellen in den zeitgenössischen Debatten aufgezeigt und Hinweise zur Rezeption gegeben. Ein umfangreiches Verzeichnis der in den Texten vorkommenden und genannten Personen und Institutionen erleichtert die Einordnung der Protagonisten in den zeitgenössischen Fotodiskurs. Sehr brauchbar für weitere Recherchen ist auch ein umfangreiches Literaturverzeichnis (mit einer Auswahlbibliografie des Ederschen Werkes) und ein Register. In die jeweiligen Kapitel integriert ist auch eine Auswahl an Bildbeispielen, die sowohl das Umfeld der Ederschen Forschungen (etwa die Tätigkeiten an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien, aber auch Arbeitsproben seines eigenen fotografischen Werks) zeigen.
Drei größere Themen werden an Hand von Textauszügen genauer vorgestellt: Erstens: Eders Engagement im Vorfeld der 1888 gegründeten „K.k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproductionsverfahren“, die 1897 in „K.k. Graphische Lehr- und Versuchsanstalt“ umbenannt wurde und die heute noch existiert. Zweitens: Eders Positionierung in der Debatte zwischen technischer und künstlerischer Fundierung der Fotografie, die um die Jahrhundertwende im Umfeld des Piktorialismus geführt wurde. Drittens: die Entstehungsgeschichte und Rezeption des Ederschen Hauptwerks Geschichte der Photographie. An Hand der Vorwörter, die den unterschiedlichen Auflagen vorangestellt sind (1881, 1891, 1905, 1932) wird versucht, die thematischen und wissenschaftshistorischen Verschiebungen in der Publikationsgeschichte anschaulich zu machen. Das gelingt nur zum Teil, denn Eder erweist sich auch in seinen Einleitungen als Meister der additiven Anordnung, des „ständigen Umbaus“. Er übernimmt vom vorherigen Text so viel als möglich und ergänzt es, in der Hoffnung, die Vollständigkeit und Aktualität wieder hergestellt zu haben. Erst in der Einleitung zum letzten, 1932 erschienen Teil seiner Geschichte der Photographie, geht Eder auf einige Details der Entstehungsgeschichte, aber auch auf die Rolle der Bilder ein.
Grönigs Fazit in Bezug auch die Edersche Sammelwut: „Angesichts des enormen Umfangs des Werkes, vor allem in seiner Endfassung, verliert man nicht nur bei eingehender Lektüre bald den Überblick. Auch das Inhaltsverzeichnis spiegelt eine äußerst flache Struktur, der es an zusammenfassenden Überschriften fehlt, oder auch an der Möglichkeit, zwischen den Kapiteln Beziehungen herzustellen, bestimmte Themen wieder aufzugreifen und so ihre Ausprägungen zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt effektiv zu vergleichen.“
Von besonderem Interesse für die zeitgenössische Rezeption Eders sind die teils publizierten, teils unveröffentlichten Dokumente, die das Umfeld Eders ausleuchten. Insbesondere die Reaktionen zur Ausgabe der Geschichte der Photographie im Jahr 1932 waren geteilt. Da ist etwa in der amerikanischen Rezeption in einer höflichen Variante von einem „work of reference“ (George Edward Brown) die Rede, das kaum jemand zur Gänze lesen wird. Manche deutschsprachigen Weggefährten und Freunde Eders halten sich mit einer öffentlich geäußerten Kritik eher zurück. Subtile Kritik äußert Rudolf Junk, Eders Nachfolger an der Graphischen, in seiner Rezension in der Photographischen Korrespondenz, wenn er schreibt: „Die einzelnen Kapitel lesen sich (...) wie eine durch zahllose Hinweise und Anmerkungen stetig wieder ergänzte, immerhin aber knapp zusammengedrängte Aneinanderreihungen von Materien, die dem Verfasser aus schier unbegrenzten Vorräten die wichtigsten erschienen.“
Heftige öffentliche Kritik an Eders Geschichte der Photographie übt hingegen der Hamburger Historiker Kurt Loewenfeld in einer Rezension, die er im September 1932 Erich Stenger in Berlin zur Information schickt. Dieser stimmt ihm in seinem Antwortschreiben zu. „Ich will gleich meinen persönlichen Standpunkt umreissen. Eder hat in seinem langen Leben und aufgrund der reichen, ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte und Hilfsmittel ausserordentlich viel in meinem Arbeitsgebiete geleitstet, er ist heute 76 Jahre alt und es ist unmöglich für mich als Fachkollegen, und ich möchte es auch nicht, irgendwie Stellung gegen ihn zu nehmen, trotzdem ich seine persönlichen Schwächen und diejenigen seiner ‚literarischen’ Arbeiten genau kenne, und das natürlich schon seit vielen Jahren.“ Natürlich wäre es spannend gewesen, die Rezeptionsgeschichte des Ederschen Hauptwerks in weiteren Stimmen und über einen längeren Zeitraum hinweg zu verfolgen. Das freilich hätte das Konzept des vorliegenden Bandes gesprengt und ist einer anderen Untersuchung vorbehalten.
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