
Dennis Jelonnek
Sofort Bild. Techniken der Evidenz des Polaroid
Dissertation an der Freien Universität zu Berlin, Kunsthistorisches Institut, Prof. Dr. Peter Geimer, Beginn: voraussichtlich Oktober 2012, Finanzierung: Wissenschaftliche Mitarbeiterstelle an der DFG Kolleg-Forschergruppe (FOR 1627) „BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik“, Kontakt: jelonnek(at)zedat.fu-berlin.de
Erschienen in: Fotogeschichte 126, 2012
Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft des Jahres 1948 bot das Bostoner Kaufhaus Jordan Marsh erstmals Kameras und Rollfilme der Firma Polaroid an, die ihre Käufer mit der Möglichkeit lockten „instant images“ zu erzeugen. Bereits in diesem Begriff des „Sofortbildes“ ist das Versprechen visueller Evidenz enthalten, indem die Unmittelbarkeit des „Sofort“ mit der Sichtbarkeit des Bildes konsekutiv verbunden ist.
In den folgenden Jahrzehnten wurde die Technik durch Polaroid kontinuierlich weiterentwickelt. Die anfänglich sepiafarbenen Trennbilder mit Abziehnegativ wurden 1952 durch Filme in neutralem Schwarzweiß abgelöst; 1963 kam das farbige „Polacolor“-System hinzu, um 1972 auf der Basis einer neuartigen Chemie eine letzte grundlegende Veränderung zu erfahren: mit farbigen Integralbildern ohne Abziehnegativ firmierte die Technik von nun an unter der Bezeichnung „SX-70“.
Letzteres Integralbild-Verfahren erzeugt ein direktes Positivbild, welches sich unmittelbar in der belichteten Emulsion konstituiert. Solche Sofortbilder sind somit nicht nur Unikate, sondern auch in ihrer physikalischen und chemischen Entstehungsweise einzigartig. Sie weisen häufig spezifische Artefakte, etwa Unschärfen und Farbstiche auf, die meist als Fehler einer unausgereiften Technik galten. Jedoch sind diese Phänomene Teil der verwendten Technik und tragen zu einer singulären Sofortbild-Ästhetik bei. Zugleich sind sie sichtbarer Ausweis eines visuellen Authentizitätsversprechens, das sich aus der Unaufhaltsamkeit des einmal ausgelösten Prozesses und der Unmöglichkeit nachträglicher Bildretusche speist. Das Sofortbildverfahren spitzt somit Evidenz im Sinne eines gegen Manipulationen resistenten sichtbaren Beweises zu und fand so Eingang in den Alltag ebenso wie in die wissenschaftliche und künstlerische Praxis.
Neben der Konzentration auf das Medium Sofortbild, seine Hervorbringung und Nutzung soll die Dissertation mit der Untersuchung der Außendarstellung des Produktes durch die Polaroid Corporation auf eine zweite, gewissermaßen rhetorische Form der Evidenzerzeugung fokussieren. In Publikationen der Polaroid Corporation konnten bislang unbeachtete visuelle und textuelle Rückbezüge des Unternehmens auf Kunstgeschichte und Frühzeit der Fotografie nachgewiesen werden. Hierzu zählen exemplarisch die Rückbindung des ersten publizierten Sofortbildes und eines Gründungsmythos an Vorbilder und Topoi bei William Henry Fox Talbot, oder die Inszenierung der Technik als wissenschaftlich präzise Form der Reproduktion von Kunstwerken und ihrer musealen Vermittlung.
Solche kalkulierten Rückbezüge stellen sich als Teil einer Legitimationsstrategie dar, mit deren Hilfe das Unternehmen das neuartige Verfahren in die Geschichte der Fotografie und ihrer Paradigmen von mechanischer Objektivität und eines teleologischen Technikfortschritts einzugliedern suchte. Als bislang unausgewertete Quellen bildet ein Korpus von Publikationen der Polaroid Corporation ein zentrales Desiderat der Forschung zum Sofortbild, welches der Dissertation als Analysegrundlage von Bildproduktion und Vermarktungsstrategien des Unternehmens dienen soll. Hierzu zählen neben den Polaroid-Jahresberichten für Anleger der Aktiengesellschaft etwa die firmeneigene Sammlung von Künstler-Sofortbildern, ein fotografiehistorisch anspielungsreicher, von den Eames realisierter Werbefilm, sowie die bereits erwähnten Reproduktionskampagnen von Kunstwerken.
Mit all diesen Initiativen und Publikationen reklamierte das Unternehmen zusätzlich zum Patent auf das Sofortbildverfahren auch die Deutungshoheit über dieses stets für sich; kritische Auseinandersetzungen mit dem Thema sind daher bis heute rar, insbesondere populärwissenschaftliche Publikationen fußen noch immer auf von dem Unternehmen lancierten Fakten und Mythen. Das Dissertationsvorhaben nimmt sich mit dem Polaroid Sofortbild somit einem wissenschaftlich bislang wenig bearbeiteten Gegenstand an, dessen Untersuchung aus der doppelten visuellen Evidenz seines unhintergehbaren Beweischarakters und seiner auf bildgeschichtlichen Rückgriffen basierenden Etablierung entwickelt werden soll.
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