Nora Mathys
Berlin – Paris. Das fotografische Werk von Marianne Breslauer
Marianne Feilchenfeldt Breslauer: Bilder meines Lebens. Erinnerungen, Wädenswil: Nimbus 2009, 231 Seiten, 39 Abb. In S/W, gebunden, 26 Euro, 42 CHF.
Erschienen in: Fotogeschichte 118, 2010
Kathrin Beer und Christina Feilchenfeldt (Hg.): Marianne Breslauer. Fotografien, Wädenswil: Nimbus 2010, Mit Beiträgen von Janos Frecot, Marion Beckers, Elisabeth Moortgat, Florian Ebner und Dorothea Strauss sowie einem Editorial von Martin Gasser und einem Vorwort von Kathrin Beer und Christina Feilchenfeldt, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz, Winterthur, 27. Februar bis 30. Mai 2010 und in der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin 11. Juni bis 6. September 2010, 215 Seiten, 179 Abb. In S/W, gebunden, 54 Euro, 88 CHF.
„Das private Bild, das Einfangen eines intimen Augenblicks war es, was sie an der Fotografie interessierte.“ So charakterisieren Kathrin Beer und Christina Feilchenfeldt Marianne Breslauers Werk im Vorwort des anlässlich des 100. Geburtstages der Fotografin und Kunsthändlerin Marianne Feilchenfeldt Breslauer entstandenen Katalogs Marianne Breslauer: Fotografien und der gleichnamigen Ausstellung der Fotostiftung Schweiz. Privat meint dabei nicht ausschließlich Bilder vom persönlichen Umfeld, sondern viel mehr den privaten, persönlichen Blick – das Interesse Breslauers an den Menschen. Dieses Interesse fürs Persönliche zeigt sich ebenso in ihren mit Hilfe des Literaturwissenschaftlers und Publizisten Bernhard Echte verfassten Lebenserinnerungen, die ihre beiden Söhne zum gleichen Anlass herausgegeben und mit Familienbildern und einigen ihrer Fotografien, über die sie im Text spricht, ergänzt haben.
Marianne Feilchenfeldt Breslauer (1909-2001) war Teil eines kleinen privilegierten, künstlerischen und kunstinteressierten Kreises im Berlin der 1920er und 1930er Jahre, der der Avantgarde gegenüber aufgeschlossenen war. Dem „alten Westen“ Berlins, wo Breslauers ihre Kindheitszeit verbrachte, empfindet Janos Frecot in seinem Katalogbeitrag nach und versucht so ein Stimmungsbild Berlins dieser Jahre zu geben. Auf ihr Leben rückblickend kommt Marianne Breslauer zum Schluss: „Zahllose schreckliche Dinge sind geschehen, doch ich bin auf wundersame Weise verschont geblieben. Ja, ich darf sogar sagen, dass ich – im Unterschied zu so vielen anderen – über weite Strecken meines Lebens sehr glücklich war.“ (5) Ihr Glück bestand in ihrer Partnerschaft, Familie, der Freiheit zu reisen und tun zu können, was sie wollte, und nicht zuletzt im Freundeskreis, der aus interessanten und ihre Liebe zur Kunst teilenden Menschen bestand. Diese Momente des Glücks waren getrübt von der Emigration, insbesondere dem Verlust der Heimat und den Tod ihres Mannes. Wer in ihren Memoiren nach der Bedeutung von Fotografie für sie, nach ihren Ansichten über ihre Zeit sucht, der wird enttäuscht sein. Marianne Feilchenfeldt Breslauer zeichnet ihr privates, ganz auf sich selbst konzentriertes Leben nach. Die die beiden Weltkriege etwa erscheinen mehr als verschwommener Hintergrund und kaum als alles dominierende zeitgeschichtliche Ereignisse. Sie philosophiert nicht über die Fotografie und ihren Beruf als Fotografin, vielmehr erscheint die Fotografie als ihre Tätigkeit, der sie mit Freude und Ehrgeiz so lange nachging, wie es sie interessierte. Die Lektüre lohnt sich, denn es sind Erinnerungen einer Erzählerin, die das Leben geliebt hat und die trotz herber Verluste vom Leben geliebt wurde, deren zentraler Lebenssinn die Gemeinschaft und die gemeinsame Freude an der Kunst war. Gerade in dieser Beschreibung und Erfahrung sind ihre manchmal etwas naiven Erzählungen Dokumente jener Zeit und jenes Milieus.
In Marianne Breslauers Erinnerungen finden sich einige Hinweise darüber, wie sie zur Fotografie kam und wie sie diese betrieb – auf diese Stellen beziehen sich auch die Autoren des Katalogs. Die Fotografie war für Breslauer eine gehbare Alternative zum Künstlerdasein, wie sie es sich gewünscht, aber selbst nicht zugetraut hatte. Atelierfotografin war zudem damals, wie Breslauer meint, ein geachteter Frauenberuf. Ihre fotografische Schaffenszeit war kurz – von 1927 bis 1938 – und fiel in eine Epoche, in der die Fotografie ein wichtiges Leitmedium wurde. Unter dem Schlagwort „Neues Sehen“ entstand in dieser Zeit eine neue Sichtweise und Experimentierlust. Die Ausbildung als Porträtfotografin absolvierte Brselauer zwischen 1927 und 1929 im Berliner Lette-Verein. Zahlreiche der Fotografien, die während der Ausbildungszeit entstanden sind, zeigen ihren Freundeskreis, der sich ihr als Modell zur Verfügung stellte. Die Aufnahmen sind von einer „heiteren Spielfreude“ (Katalog, 24), wie sie in den späteren Fotos nicht mehr zu finden ist. In ihren Kommentaren zum Entstehen der Bilder wird deutlich, dass die Aufnahmen im Zusammenspiel der Freunde entstanden sind. Das „Gehilfenstück“ dieser ersten Lehrzeit, die Mappe „Das Portrait“, steht im Zentrum des Textes von Marion Beckers und Elisabeth Moorgat. Die Autorinnen konzentrieren sich dabei stark auf die Beschreibung und Interpretation der Bilder und lassen Breslauer mit ausführlichen Zitaten aus ihren Erinnerungen sprechen. Leider wurden die späteren Porträtaufnahmen nicht mit in die Betrachtungen einbezogen, so dass sie im Katalog zwar zahlreich abgebildet sind, aber unkommentiert bleiben. Dabei ist Breslauer eine ausgebildete und ausgezeichnete Porträtfotografin, die in ihren Porträts die Lebendigkeit, die Eigenart der abgebildeten Person und ihre Sympathie für die Porträtierten zum Ausdruck bringen wollte. Das Persönliche und die eigne Beziehung zur Person sind die Dreh- und Angelpunkte ihrer Porträts. Sie fotografierte vor allem ihre Freunde.
Der sechsmonatige Aufenthalt Breslauers in Paris 1929 wird im Katalog als ihre zweite fotografische Ausbildung bezeichnet, zwar kam die geplante Lehrzeit bei Man Ray nicht zustande, da sie, so meinte er, „schon alles könne“, doch der Paris Aufenthalt steht am Anfang von etwas Neuem – ihrer Strassen- und Reportagefotografie. Florian Ebner stellt die Paris Bilder in engen Zusammenhang mit der aufkommenden Reportagefotografie und der illustrierten Presse. Marianne Breslauer konnte noch während ihres Aufenthalts einige ihrer Aufnahmen in der Frankfurter Zeitung publizieren. Informativ ist auch der von Ebner unternommene Vergleich ihrer Clochardaufnahmen. Breslauer hat ihre Fotografierweise, wie Ebner zeigt, während ihren beiden Paris Aufenthalten verändert: „Aus der fotografierenden Flaneurin ist eine Regisseurin des Bildes geworden.“ (Katalog, 62) Marianne Breslauer selbst beschreibt ihr Fotos als „vorausbedachte Schnappschüsse“ und distanziert sich vehement von der „Neuen Sachlichkeit“, die in den 1920er Jahren prägend waren.
Der Bildregisseurin nimmt sich Dorothea Strauss in ihrem Beitrag anhand der Fotosequenz „Freizeit eines arbeitenden Mädchens“ von 1933 an, in der die „Synthetisierung eines dokumentarischen und eines inszenierenden Blicks“ deutlich wird. Mit Freundinnen inszenierte Breslauer Fotografien zu bestimmten Alltagsthemen für die Zeitschriften; die so entstandenen Bildreportagen, entsprechen Filmsequenzen, wie Strauss nahe legt. Im Katalog sind Breslauers Zeit bei Ullstein und ihre Reisen in den 1930er Jahren nur am Rande erwähnt, aber mit zahlreichen Aufnahmen gut dokumentiert. In Breslauers Erinnerungen hingegen nimmt die Zeit bei Ullstein eine wichtige Stelle für ihr fotografisches Schaffen ein, so bezeichnet sie selbst diese Zeit als „zweite Lehre“ (106).
Die Katalogtexte stellen Breslauers Lehr- und Anfangszeiten als Fotografin in den Mittelpunkt. Im Gegensatz dazu erzählt Breslauer in ihren Erinnerungen nicht nur von ihrer Zeit als Fotografin, sondern ebenso von der Emigration und ihr Leben in der Schweiz, wo sie mit ihrem Mann zusammen und nach dessen Tod alleine erfolgreich im Kunsthandel tätig war. Einige ihrer Fotografien sind zum ersten Mal in der Ausstellung und im Katalog für ein breites Publikum zugänglich gemacht. Insgesamt bietet der Katalog einen guten Überblick über das fotografische Werk einer fein beobachtenden Fotografin. Die Beiträge des Katalogs hätte man sich allerdings informativer gewünscht. Der Katalog und Breslauers Erinnerungen ergeben zusammen aber ein schönes Stimmungsbild einer Fotografin, die mit Freude und Offenheit auf ihr Umfeld geblickt hat und dieses mit dem Sinn für den Moment festgehalten hat.
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