Regula Portillo
Fotografie und Literatur
Zu ihrem Verhältnis anhand politischer Foto-Texte: Friedrichs Krieg dem Kriege, Tucholsky/Heartfields Deutschland, Deutschland über alles und Brechts Kriegsfibel
Veröffentlichungsform: Dissertation – Institution: Universität Freiburg/Schweiz, Departement für Germanistik, Prof. Dr. Harald Fricke – Beginn: August 2009 – Art der Finanzierung: bislang privat – Kontaktadresse: regula.portillo(at)hotmail.com
Erschienen in: Fotogeschichte 118, 2010
Die Beziehungen zwischen Fotografie und Literatur sind vielfältig und vielschichtig. Der erste Teil der Forschungsarbeit beschäftigt sich mit den Fragen, wie und wo die beiden Medien aufeinandertreffen und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Das Interesse liegt ausdrücklich auf literarischen und nicht auf allgemein schriftlichen Erzeugnissen, bilden doch letztere schon den Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Literarische Texte hingegen, in denen die reproduzierte Fotografie als integraler Bestandteil eines Gesamtwerks verstanden wird, sind bisher weder in der Fotografie- noch in der Literaturwissenschaft auf große Beachtung gestossen.
Ein wichtiges Kategorisierungsmerkmal des intermedialen Produkts von Fotografie und Literatur ist das Kriterium der medialen Dominanzbildung. Dabei tritt die Frage nach dem Primärobjekt in den Hintergrund, wichtig ist die Unterscheidung von ‚Texten zu Fotografien‘, ‚Fotografien zu Texten‘ und dem ‚gleichberechtigten Miteinander von Texten und Fotografien‘. Die letztgenannte Beziehungsform ist insofern interessant, als die Vereinigung zweier autonomer Elemente etwas Neues, etwas Drittes entstehen lässt. So geschehen bei den neunundsechzig Bild-Text-Kombinationen, den sogenannten Fotogrammen, in Bertolt Brechts Kriegsfibel, welche zusammen mit Kurt Tucholskys Deutschland, Deutschland über alles (mit John Heartfield) und Ernst Friedrichs Krieg dem Kriege Gegenstand des zweiten Teils dieser Forschungsarbeit bildet.
Während der Jahre im Exil hat Brecht kontinuierlich Fotos aus der vorwiegend bürgerlichen Presse gesammelt und eine Reihe davon mit Vierzeilern versehen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Fotografie, der originalen Bildlegende (soweit vorhanden) und Brechts Begleit-Versen ist charakteristisch für die Kriegsfibel. Im weiteren Sinn treten Fotografie und Vierzeiler mit der Vermischung von Text- und Bildsprache bei allen Fotogrammen in einen Dialog: Stets beeinflusst die Leseweise des Bildes diejenige des Gedichts und umgekehrt.
Kurt Tucholsky hält sich in Deutschland, Deutschland über alles an kein festes Bild-Text-Schema, sondern wählt verschiedene Kombinationsformen von Fotografien und Gedichten, Kommentaren und Aufsätzen. Auf dem Bild der Bild-Text-Kombination mit dem Titel ‚Die Feuerwehr‘ sind beispielsweise drei Offiziere bei einer militärischen Aktion zu sehen. Die Diskrepanz von Bild und Titel gewinnt beim Lesen des Textes an großer Bedeutung, erzählt Tucholsky doch die Geschichte einer freiwilligen Feuerwehrtruppe, die wegen mangelnder Arbeit und Existenzängsten selber Brände zu legen beginnt. Ohne das Bild beschränkte sich der Text auf ein anekdotenhaftes Ereignis, welchem keine besondere Beachtung zustünde. In Kombination mit der Fotografie vermittelt der Text eine ganz andere Botschaft: Kriege können genauso wie Brände ‚gelegt‘ und Einsätze dadurch willkürlich legitimiert werden.
Ernst Friedrichs Krieg dem Kriege verneint jegliche Legitimation für Kriege. Bereits der Titel und die ironische Widmung „Den Schlachtendenkern, den Schlachtenlenkern, den Kriegsbegeisterten aller Länder ist dies Buch freundlichst gewidmet“ geben der pazifistischen Haltung und Forderung des Werks Ausdruck. Die rund hundertachtzig Fotografien aus hauptsächlich militärischen und medizinischen Archiven Deutschlands sollen Kriegsbefürworter zum Umdenken zwingen – Hinsehen wird zur Herausforderung. Im Vergleich mit der Kriegsfibel und Deutschland, Deutschland über alles sind hier die dazugehörigen Texte von literarisch geringerem Gehalt. Während Friedrich die Fotografien und Texte größtenteils konzeptlos zusammenwürfelt, sucht Tucholsky – indem er verschiedene literarische Textformen verwendet – nach der aussagekräftigsten Form. Brecht hingegen hat die Suche abgeschlossen. Einem leitenden Bild-Text-Schema folgend, präsentiert er mit der Kriegsfibel das in sich stimmigste Werk.
Das Forschungsprojekt macht es sich neben dem in die Thematik einführenden Theorieteil zur Aufgabe, das Bild-Text-Programm der drei für das Projekt ausgewählten Werke zu analysieren und – wo immer möglich und sinnvoll – miteinander zu vergleichen. Dabei wird das Augenmerk auf das sich dem Rezipienten präsentierende Endprodukt gelegt, welches aus der Vereinigung von literarischem Text und Fotografie entsteht.
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