Anett Holzheid
Das Medium Postkarte
Eine sprach- und kulturwissenschaftliche Studie
Veröffentlichungsform: Dissertation – Institution: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Institut für deutsche Philologie, Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft, Prof. Dr. Johannes Schwitalla – Abschluss: Mai 2008 – Erscheint: 2010 – Art der Finanzierung: privat – Kontaktadresse: holzheid@medienkulturen.de
Erschienen in: Fotogeschichte 118, 2010
Diese Arbeit füllt wesentliche Lücken der Sprach- und Medienwissenschaft: Erstmalig wird die Postkarte als Kommunikationsmedium zum zentralen Untersuchungsgegenstand erhoben und damit die spezifische Entstehungs- und Nutzungsgeschichte eines für geschäftliche und private Zwecke weitläufig verwendeten Typs von Kurzkommunikation rekonstruiert. In mediengeschichtlichen Darstellungen blieb die Postkarte als Universalkorrespondenzmittel des ausgehenden 19. Jahrhunderts bisher weitgehend ausgespart, da sie einerseits von Kulturkritikern als symptomatisches Produkt für den Verfall der Briefkultur stigmatisiert wurde und andererseits im Umfeld der medientechnischen Neuerungen des Kommunikationszeitalters zum Bagatelle-Fall erklärt worden war. Dieser technikfixierten Unverhältnismäßigkeit ist es geschuldet, dass in einschlägigen Mediengeschichten zum Kommunikationsphänomen Postkarte bestenfalls medien- und kulturkritische Stereotypen tradiert werden, die bis in die Entstehungszeit des Mediums zurückreichen. Ebenso einseitig wurde die Geschichte der Postkarte bisher (populär)wissenschaftlich als Motivgeschichte gezeichnet, in der die Postkarte lediglich als Bildträger einer vergangenen Epoche fungiert, ohne die Frage nach dem tatsächlichen kommunikativen Nutzungsspektrum oder den soziokulturellen und mentalitätsgebundenen Bedingungen gründlich zu beantworten. Mit der vorliegenden medienontologischen Studie wird eine grundsätzlich andere Forschungsperspektive eingenommen: Das Medium wird als eigenständige Kommunikationsform in seiner Genese, in seiner Abgrenzung zu Vorläufer- und Komplementärmedien und in seiner funktionalen Entwicklung porträtiert sowie sein epochaler Stellenwert für die Kommunikationskultur des frühen 20. Jahrhundert ermittelt. Zudem wird die Postkarte in ihrer Vorläuferfunktion für moderne Kurzkommunikation betrachtet.
Da die Besonderheit von Postkartenkommunikation nicht nur in einer eigentümlichen Verbindung aus Privatheit und Öffentlichkeit, aus Konventionalität und Originalität besteht, sondern ebenso in einer potenziellen Offenheit für multikodale Botschaften aus sprachlichen und diversen bildlichen Zeichen liegt, wird in der diachron angelegten Arbeit, die auf den Zeitraum von 1850 bis 1920 fokussiert, ein mehrdisziplinäres Analyseverfahren angewandt. Auf Basis einer korpusgestützten Analyse von ca. 10.000 gelaufenen Karten werden mit linguistischen Methoden die Spezifik von Postkartenstilen im Gegensatz zu Telegramm- und Briefstil herausgearbeitet und unterschiedliche Postkartengenres dargestellt, darüber hinaus aber auch die nicht-sprachlichen Anteile von Postkartenbotschaften ermittelt. Grundlegend wird eine kulturwissenschaftliche Perspektive eingenommen, die das Medium in diskursive, habituelle und mediale Kontexte (Literatur, Briefsteller, Zeitschriften) einbettet. Zu diesen Kontexten gehören nicht zuletzt die instruktiven und propagandistischen Verlautbarungen der Post, die vor dem Hintergrund medienkritischer und medieneuphorischer Kommentaren (Zeitschriften, Literatur) verständlich werden.
Eine derartige kulturgeschichtliche Kontextualisierung ist essentiell, da die Epoche, die hier in den Blick genommen wird, fundamental geprägt ist von einem Modernisierungswandel, für den die Postkarte geradezu symptomatisch steht. An dem Kurzkommunikationsmedium lassen sich die Aspekte von Beschleunigung, Formen der Vergesellschaftung (z.B. Vereine, Vergnügungskultur), Mobilität, Intimitäts- und Fernbeziehungen in neuen (multimedialen) Artikulationsformen ablesen.
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