Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Monika Melters

Julius Shulman (1910–2009): ein Mythos und seine Publikationen

Jürgen Nogai, Thomas Schirmböck (Hg.): Julius Shulman. The Last Decade, Heidelberg: Kehrer 2010, 30,5 x 23,5 cm, 143 S., 93 Farbabbildungen, 48,00 Euro

Alfried Wieczorek, Thomas Schirmböck (Hg.), Julius Shulman. Cool and hot, Mannheim 2010, 21,5  x 16,5 cm, 240 S., zahlreiche Abbildungen, 19,90 Euro.

Erschienen in: Fotogeschichte 121, 2011

Die Architekturfotografie wurde lange Zeit durch das objektbezogene Interesse an der Architektur selbst bestimmt. Durch die Musealisierung von Fotografien, die methodischen Ansätze aus den Cultural Studies und den Medienwissenschaften sowie nicht zuletzt durch die Institutionalisierung von Architekturmuseen hat sie in den vergangenen zwanzig Jahren dabei eine Wendung hin zum interpretativen Medium der Architektur erfahren. Neben der interpretativ-dokumentarischen steht die künstlerische Architekturfotografie im Zentrum historischer Auseinandersetzung. Hierzu zählt in erster Linie etwa die der Avantgarde und des Neuen Bauens (Autorenfotografie) sowie Bernd und Hilla Bechers bzw. ihrer Schule. Nicht nur im populären, sondern auch im wissenschaftlichen Verständnis ist die Architekturfotografie auf diesem Weg zur ›Gattung‹ avanciert. Unklar ist dabei jedoch nach wie vor, in welchem Sinne sie eine solche darstellen soll und ob der Gattungsbegriff hier überhaupt hilfreich sein kann. Die wissenschaftliche Präsentation und Aufbereitung innerhalb von Ausstellungen operiert daneben hauptsächlich mit den historistischen Klassifizierungsmustern von Chronologie, Thema und formaler Gestaltung.

Spätestens die opulenten Publikationen des 1980 gegründeten Taschen-Verlages in diesem Bereich haben sowohl die thematische Verengung als auch die traditionell systematisierende Herangehensweise an die Architekturfotografie der methodologischen Revisionsbedürftigkeit überführt. Auch wenn man über den Wert des Tea-Table-Books geteilter Meinung sein kann, so haben Taschens Publikationen hier doch zumindest den Horizont für die Bedeutung der Werbefotografie eröffnet, die innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses über Architekturfotografie bislang kaum eine Rolle spielt. Der amerikanische Architekturfotograf Julius Shulman (1910–2009) steht dabei im Zentrum des Interesses. Shulman fotografierte, meist im Mittel- und Großformat, für Architekten wie Richard Neutra, Frank Lloyd Wright, Pierre König und Frank O. Ghery. Die luzide bildkompositorische Dichte seiner Arbeiten lässt vor allem die Stahl-Glas-Architektur der Westküste wie die verwirklichte Utopie des modernen Amerika erscheinen. Der konzeptuelle Ansatz seiner Fotografie diente dabei ausschließlich der Öffentlichkeitsarbeit der Architekten und machte ihn zu einem der begehrtesten Werbefotografen Amerikas der 1940er bis 60er Jahre. Gekoppelt an das architektonische Werk seines wichtigsten Kunden Richard Neutra publizierte Shulman seit 1962 mehrere Überlegungen zu den interpretativen Aufgaben des modernen Architekturfotografen, in denen auch die Bedeutung der Printmedien zur Sprache kommt.[1] Dem fotografiegeschichtlichen Diskurs haben diese allerdings keine weiteren Anstöße verliehen.

Mit dem verlegerischen Konzept von Benedikt Taschen (geb. 1961) hat sich das geändert. Taschen kreierte aus der zunächst in klassischen Bild-Text-Konfigurationen der Magazine wie Life oder House and Garden  erschienenen PR-Fotografie Shulmans ein neues Produkt der deutschen Architekturpresse, den populären Architekturbildband. Den Auftakt machte die 1998 von Peter Gössel herausgegebene Publikation Julius Shulman, Architektur und Fotografie. Hier wurde eine breite Auswahl von Shulmans Fotografien in herausragender Druckqualität erstmals in einem Buch versammelt. Der einleitende Text stammt von Shulman selbst und enthält hauptsächlich eine Reihe von Anekdoten aus dem Berufsleben des damals 87jährigen Fotografen. Im Jahr 2000 folgte ein posthumes Werkverzeichnis Richard Neutras im Folio-Format, dessen Bauten nahezu ausschließlich von Shulman fotografiert worden waren, die Complete Works. Der Text von Barbara Mac Lamprecht, eine Zusammenfassung der Literatur von und über Neutra, konzentriert sich ganz auf Neutras Architektur. Shulman selbst steuerte ein kurzes Nachwort bei, in dem er die fotografische Bildkomposition dezent, aber selbstbewusst neben der künstlerischen Leistung des 1970 verstorbenen Architekten platzierte. 2007 erschien folgerichtig Shulmans eigenes Werkverzeichnis Modernism Rediscovered, dessen drei chronologisch konzipierte Foliobände auch für die 2005 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt gebotene Shulman-Ausstellung „A Lifetime for Architecture. The Photographer Julius Shulman“ die Herausgabe eines umfangreicheren Kataloges offenbar schon vorab überflüssig erscheinen ließ. 2009 erfuhr die Mammutpublikation eine verkürzte, preiswerte Neuauflage, der erstmals ein fundierter wissenschaftlicher Text beigegeben wurde. Pierluigi Serraino thematisiert darin die Bedeutung medialer Vermittlung durch Fotografie für die Architektur. Seit 1998/99 boomt der Markt mit Ausstellungen und Bildbänden zu Shulmans Fotoarbeiten. Neben Benedikt Taschen ist hier vor allem der Mailänder Medienkonzern Rizzoli zu nennen.[2]

Pünktlich zum 100. Geburtstag des Fotografen sind 2010 nochmals zwei neue Publikationen erschienen: Julius Shulman. The last Decade, ein von Jürgen Nogai und Thomas Schirmböck eingeleiteter Bildband, dessen knapper Text sich im Wesentlichen auf Anekdotisches beschränkt. Der umfangreiche Bildteil beinhaltet Aufnahmen, die zwischen 1999 und 2009 offenbar in Koproduktion mit dem deutschen Architekturfotografen Jürgen Nogai entstanden sind. Sie stellen großteils Re-Inszenierungen dar, bei denen die alten Kamerastandpunkte weitgehend beibehalten wurden.  Daneben existiert der Katalog zur Ausstellung »Julius Shulman. Cool and hot« in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Die Publikation, die im Selbstverlag erschienen ist, präsentiert das Werk in einer Auswahl erstmals in einem erfreulich handlichen Format. Die beiden Autoren, Thomas Schirmböck und Gisela Parak, gehen mit wissenschaftlichem Anspruch an das Material, das sie durch Re-Inszenierungen Nogais ergänzen. Unklar bleibt dabei leider, welche konzeptionelle Rolle diese Re-Inszenierungen für die Präsentation der historischen Fotografien Shulmans spielen und vor allem, welcher Part Nogai dabei zukommt, werden sie doch, wie im Falle des CSH 21, als »Werkkomplexe« Shulmans behandelt (S. 81). Die leitende Fragestellung der neun Beiträge ist die nach der »ästhetischen Sprache« von Shulmans Bildern (S. 7). Grundlage der bildmotivischen und -kompositorischen Analysen bildet hierbei hauptsächlich Shulmans 1998 veröffentlichter »theoretischer Dreisatz«: »Übersetzen - Transformation - Transfiguration«.

Die ikonographischen Untersuchungen sind zwar eingebettet von medien- und publikationsgeschichtlichen Überlegungen und weisen damit über den piktorialistischen Ansatz zumindest punktuell hinaus. Ob sie damit aber »neue Zusammenhänge in der Ästhetik der Architekturfotografie« (S. 11) aufdecken können, sei dahingestellt. Der fotografie-, medien- und architekturhistorische Zusammenhang von Shulmans Werk erschöpft sich vielmehr nur in Andeutungen, die meist fließend in eine ikonografische Betrachtung übergehen. Die zentrale Deutungskategorie für Shulmans Aufnahmen, die Werbung als Aufgabenfeld der Architekturfotografie, wird damit leider nur ansatzweise greifbar. Exemplarische Analysen wie etwa solche zu den Standards der europäischen Architekturpublizistik zu Anfang des 20. Jahrhunderts, der Bedeutung von PR-Strategien für die Architekturfotografie, wie sie u.a. von Edward Bernays Ende der 1920er Jahre formuliert wurden, oder aber nach dem Verhältnis von ›Stararchitekt‹ und ›Starfotograf‹ wären sicherlich hilfreicher gewesen, um das Problemfeld klarer einzugrenzen. Um die bestechenden Aufnahmen Shulmans im komplexen Kontext der Printmedien zu erfassen und den konzeptuellen Ansatz dieses PR-Werkes freizulegen, bedarf es somit auch nach 2010 noch etwas mehr als des Fotobildbandes und auch mehr als der kompositorischen Bildanalyse.

[1] Julius Shulman: Photographing architecture an interiors, New York 1962, (Neuauflage) Los Angeles 2000. Ders.: The Architect and the Photographer, in: American Institute of Architects (A/A) Journal 1959, S. 44. Ders.: The Photography of Architecture and Design, New York-London 1977.

[2] Joseph Rosa, Ester McCoy: A Constructed View: The Architectural Photography of Julius Shulman, New York 1999. Michael Stern, Alan Hess: Julius Shulman, Palm Springs, New York 2008. Sam Lubell, Douglas Woods: Julius Shulmans Los Angeles. The Birth of a Modern Metropolis, New York 2011.

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