Nadja Lenz
Das latente Bild in den Anfängen der Fotografie.
Entdeckung des Unsichtbaren, Verschlüsselung des Sichtbaren
Dissertation am Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln, Prof. Dr. Herta Wolf – Beginn: 2009 – Art der Finanzierung: Privat – Kontaktadresse: nadja.lenz(at)web.de
Erschienen in: Fotogeschichte 121, 2011
Bis zum Ankauf des Daguerreotypieverfahrens blieb das von Daguerre zufällig entdeckte Phänomen, dass sich ein kurz belichtetes fotografisches Bild chemisch verstärken lässt, geheim. Obwohl die Publikation weiterer fotografischer Verfahren zu Unstimmigkeiten darüber führte, wer die Fotografie „erfunden“ habe – der Fotografiehistoriker Pierre G. Harmant zählte allein 24 ähnliche Verfahren bei der Sichtung der Presseberichte des Jahres 1839 [1] – scheint dieser Prozess der Abkürzung des Belichtungsprozesses einzigartig zu sein. Dabei war die Möglichkeit, Geschriebenes oder Gemaltes durch chemische Substanzen verschwinden zu lassen und anschließend wieder hervorzubringen, weitestgehend bekannt, nämlich als Teilbereich der Kryptografie. [2]
Die Arbeit sieht eine Einordnung des Latenzbegriffes in den fotohistorischen Kontext vor. Im Rahmen des Dissertationsprojektes soll mit Hilfe publizierter und unpublizierter Quellen der These nachgegangen werden, ob die Methoden der fotografischen Bilderstellung ihre Wurzeln in der Kryptografie haben: sich beide Betätigungsfelder nur durch die Motivation unterscheiden, ob Sichtbares oder Unsichtbares geschaffen werden soll oder der fotografische Prozess auch ohne den Steigbügel der Kryptografie entdeckt worden wäre.
Ob Niépce, Daguerre oder Herschel – die Pioniere der Fotografie nutzten Geheimschriften in ihren Korrespondenzen und Aufzeichnungen. Sie verbargen deren Inhalte entweder durch materielle Latenz (durch fehlenden Kontrast) oder durch immaterielle Latenz (durch Abstraktion). Die Beschäftigung mit Geheimschriften diente ihnen bei der Suche nach geeigneten Stoffen für die Herstellung lichtempfindlicher Schichten und brauchbarer Entwickler als eine wichtige Inspirationsquelle. Jedoch erfolgte die Erschaffung eines unsichtbaren Bildes anfänglich nicht mutwillig, sondern war eine Begleiterscheinung und später bewusst eingesetzte Unterbrechung des fotografischen Prozesses, um die Belichtung zu beschleunigen und die Bildproduktion mobiler zu machen.
Einen Schwerpunkt der Dissertation bildet die Auswertung fotochemischer Untersuchungen von John Herschel. Unter Bezugnahme auf Originaldokumente, Briefe und Tagebücher und gestützt auf die wissenschaftlichen Ausführungen R. S. Schultzes, der 1963 frühe fotochemische Experimente Herschels analysierte, wird aufgezeigt, ob ein Zusammenhang zwischen Herschels experimenteller Auseinandersetzung mit Geheimschriften und ersten fotochemischen Experimenten bestehen könnte. Dazu werden zwei beschriftete Papiere aus dem Jahr 1839 untersucht. Auf diesen Schriftstücken lassen sich Federspuren nur sehr schwer mit bloßem Auge erkennen. Am Dokumentrand notierte Herschel, dass seine Geheimschrift mit Hyposulphit fixiert worden ist.
Um zu klären, ob sich Herschels Experimente mit Geheimschriften auf seine fotografischen Experimente übertragen lassen, wird jenes Notizbuch analysiert, welches Herschel 1839 der Royal Society vorzeigte und 17 der 23 fotografischen Bilder beinhaltet, die seine fotochemischen Experimente belegen. Von diesen siebzehn sind nur sieben Bilder nicht fixiert. Vorab lässt sich sagen, dass die Bilder, von denen einige schon ausgeblichen, demnach wieder in den Zustand der Unsichtbarkeit übergegangen sind, die Verwendung unterschiedlicher Substanzen bezeugen, was Auswirkungen nicht nur auf die Stabilität der Fixierung, sondern auch auf die Färbung der Bilder hatte. Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit bildet die These, dass kryptografische Erscheinungsformen innerhalb der Fotografie rezipiert wurden. Dazu ist ein Vergleich angedacht zwischen den Anfängen der analogen Fotografie und der Etablierung der digitalen Fotografie, in der eine semantische Verschlüsselung des Bildinhalts dem schnellen Transport von Daten dient.
Die Arbeit unternimmt anhand des latenten Bildes in den Anfängen der Fotografie den Versuch, zu beweisen, dass die Brückentechnologie, die zur Entdeckung des fotografischen Prozesses führte, die Kryptografie war. Genauso wie im 20. Jahrundert bei der Erfindung der Digitalie.
1 Pierre G. Harmant: Anno Lucis 1839 (1/3) in: Camera, Luzern, Mai 1960, S. 24-31.
2 Vergleiche dazu den Aufsatz von R. Derek Wood, der die Verwendung von Gallussäure bei Geheimschriften belegt und in Bezug zum Verfahren der Fotografie bringt. R. Derek Wood: The Daguerreotype and Development of the Latent Image: „Une Analogie Remarquable”, in: Journal of Photographic Science, Sept./Okt. 1996, 44 (5), S. 165–167.
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