Ute Wrocklage
Fotografie im Comic
Emmanuel Guibert, Didier Lefèvre, Frédéric Lemercier: Der Fotograf; Band 1: In den Bergen Afghanistans; Band 2: Ärzte ohne Grenzen (erscheint Herbst 2008); Band 3: Allein in Pakistan (erscheint Frühjahr 2009) – Aus dem Französischen: Martin Budde – Zürich: Edition Moderne, 2008 – 30,6 x 23,4 cm, 80 S., Grafik und s/w Fotografie, gebunden – 24 Euro (pro Exemplar geht 1 – an Ärzte ohne Grenzen)
Erschienen in: Fotogeschichte 109, 2008
Fotografien werden in Comics auf unterschiedliche Art genutzt. Joe Sacco verwendete die Fotografie für seinen Comic Palestine über den israelisch-palästinensischen Konflikt quasi als Zeichenstift und Gedächtnisstütze. Die Fotos oder auch nur Teile daraus übertrug er in Panels. Comics mit dokumentarischem und historischem Inhalt zitieren gern "Ikonen der Fotografie", um die Glaubwürdigkeit des Stoffes zu unterstreichen. Werden fotografische Bilder in Comics integriert, dienen sie meistens als Hintergrund für die Figuren und comic-spezifischen Elemente wie Sprechblasen oder Schriftelemente. Fotografien und Comics gehen eine Allianz ein, die allerdings zu Lasten des fotografischen Bildes geht, weil die fotografische Quelle meistens in der Zeichentechnik verschwindet. Der vorliegende Comic, eine Gemeinschaftsarbeit von einem Fotografen, einem Comic-Autor und einem Grafiker, respektiert dagegen die schwarz-weiß Fotos in ihrer Eigenart, fügt sie in das Format der Panels ein und integriert sie in die Erzählung.
Der Comic erzählt die Geschichte des französischen Fotografen Didier Lefèvre (1957–2007), der mit Arbeiten über Sri Lanka, Malawi, Kambodscha oder das Kosovo bekannt wurde.[1] Er ist "der Fotograf", der 1986 im Auftrag der Hilfsorganisation Médicins sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) zum ersten Mal nach Pakistan reist, um ein Team in den Nordosten Afghanistans zu begleiten und ihre Arbeit zu dokumentieren. Seit Ende des Jahres 1979 hielten sowjetische Truppen das Land besetzt. Die Mudschaheddin kämpften bis zum Abzug der sowjetischen Besatzer 1988/1989 um ihre Selbständigkeit. Médicins sans Frontières engagierte sich seit 1980 direkt in Afghanistan. Im Laufe der folgenden 24 Jahre etablierten die Organisation dort zahlreiche Projekte zur gesundheitlichen Basisversorgung, Unterstützung von Krankenhäusern oder psychologischen Programmen. Im Juni 2004 wurden fünf Mitarbeiter in einem Hinterhalt gezielt angegriffen und ermordet. Die Hilfsorganisation zog sich daraufhin aus dem Land zurück, weil sich die Voraussetzungen für die humanitäre Arbeit drastisch verändert hatten und so das Leben der internationalen und afghanischen Mitarbeiter gefährdet war.
Der Fotograf erzählt von den Anstrengungen und Mühen, die ein Ärzteteam auf sich nimmt, um die afghanische Bevölkerung mit humanitärer Hilfe zu unterstützen. Der jetzt auf Deutsch erschienene ersten Band In den Bergen Afghanistans begleitet Didier Lefèvre beginnend mit dem Abschied in Frankreich über seine Ankunft in Pakistan, die ersten Erkundungen und Begegnungen mit der fremden Kultur Pakistans, bis hin zu dem anstrengenden Marsch nachts über die Grenze nach Afghanistan und dem Weg durch das unwegsame Gelände, über die Pässe und schutzlosen Hochebenen. Das Ärzteteam muss sich einer Karawane anschließen, die Waffen nach Afghanistan transportiert, da es keine andere Einreisemöglichkeit für sie gibt. Der Comic schildert keine reißerischen Abenteuer, sondern berichtet ganz unaufgeregt von dem Land und den Menschen, ihren Gepflogenheiten, Ritualen und Verhaltensweisen. Von den MSF-Ärzten erfährt man einiges über ihre Beweggründe, ihre Tätigkeiten und ersten Hilfseinsätze unterwegs.
Lefèvre hat aus den Fotografien seiner Reisen nach Afghanistan 2003 in Frankreich zunächst einen (inzwischen vergriffenen) Bildband (Voyages en Afghanistan) und eine Ausstellung zusammengestellt. Die Geschichten und Erlebnisse, die er mitbrachte, setzte sein Freund Emmanuel Guibert, ein in Frankreich bekannter Comic-Autor, in eine Story um. Er schrieb die Texte und ergänzte grafisch die Situationen, in denen Didier Lefèvre nicht fotografiert hatte, etwa weil dies wegen schlechter Lichtverhältnisse nicht möglich war. Dem Grafiker Frédéric Lemercier gelingt es, die Fotos von Didier Lefèvre mit den Zeichnungen von Emmanuel Guibert auf einzigartige Weise zu kombinieren.
Die kolorierten Panels von Guibert kontrastieren zwar die Schwarz-weiß-Fotos von Lefèvre, drängen sich aber aufgrund der gedeckten Farbtöne Braun, Beige und Grün nicht in den Vordergrund. Die Fotos sind vorwiegend als Kontaktabzüge eingefügt, die im Original-Kleinbildformat erscheinen, wenn eine längere Sequenz herausgestellt werden soll, die aber meistens auf das Panel-Format vergrößert sind. Die im Hochformat aufgenommenen Motive sind nicht immer der Leserichtung angepasst, sondern bleiben im Querformat des Kontaktstreifens erhalten. Sichtbar bleiben stets der schwarze Rand und die Perforation des Films, wie auch die Montagen der ausgewählten Einzelbilder. Die Fotos reihen sich nicht nahtlos aneinander, sondern überlappen sich und unterscheiden sich etwas im Format. Comic-spezifische Elemente wie Sprechblasen, Speedlines usw. sind nur in den Zeichnungen zu finden. Die Fotografien bleiben ohne jeden Eingriff. Kommentare und Bildtexte sind über oder zwischen die Fotos eingebaut. Texte, Zeichnungen und Fotografien stehen gleichwertig und harmonisch nebeneinander, die miteinander durch die Erzählung verbunden sind.
Die Fotografien in diesem Comic verleihen der Geschichte und den Zeichnungen nicht nur ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, sie illustrieren nicht nur, sondern erzählen die Geschichte weiter, sie sind Teil der Narration. Gelegentlich gibt es zwei oder drei aufeinander folgende Seiten, die nur Fotos zeigen. Man streift mit dem Fotografen durch das pakistanische Peshawar oder ist beim Pferde- und Maultierhandel auf dem Markt dabei. Während man sich das Leben in den Straßen von Peshawar selbst erschließt, wird man auf die besonderen Bräuche beim Pferdehandel sprachlich kurz vorbereitet. Die Erzählung in den Fotos liefert aber darüber hinaus noch viel mehr Einzelheiten, vor allem erzählen Mimik und Gestik der feilschenden Männer und des umherstehenden Publikums weitere Geschichten.
Es stellt sich abschließend die Frage, ob der Einsatz der Fotografie gerechtfertigt ist oder die Story ohne Fotos möglicherweise interessanter geworden wäre. Die Zeichnungen sind klar und einfach gehalten. Sie versuchen in keiner Weise, den Fotos in ihrer Detailtreue nachzueifern oder Konkurrenz zu machen, was die Fotos zu einer wahren Fundgrube an Entdeckungen werden lässt. Die Landschaften, das Getümmel in den Straßen von Peshawar, die Porträts der Menschen zu entdecken, gelingt fotografisch eindeutig besser. Der Wechsel zwischen Grafik und Fotografie wirkt keineswegs störend. Guibert greift in den Panels gelegentlich Details der Fotos heraus, und leitet so zur fotografischen Sequenz über. Der Medienwechsel trägt vor allem nicht unerheblich zur Spannung des Comics bei, der ansonsten aufgrund seiner sachlichen Erzählweise etwas monoton geraten wäre.
Dem Autorenteam ist insgesamt visuell und inhaltlich eine ausgesprochen beeindruckende Arbeit gelungen. Entstanden ist eine Dokumentation über eine fremde Kultur, über faszinierende karge Landschaften, über das Reisen unter schwierigen und gefährlichen Umständen und die Auswirkungen des Krieges auf die Menschen.
[1] Weitere Arbeiten von Didier Lefèvre sind im Internet zu finden: http://didier.lefevre.free.fr
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