Katja Schumann
Frühe Porträtfotografie im Privatbesitz
Jochen Voigt: Spiegelbilder. Europäische und amerikanische Porträtdaguerreotypie 1840–1860. Bildnisse aus der Sammlung May und Jochen Voigt – Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Schloßbergmuseum Chemnitz vom 3. Oktober 2007 bis zum 24. Februar 2008 – Edition Mobilis, Chemnitz 2007 – 30 × 22 cm, 160 Seiten, 230 Abb. in Farbe, gebunden – 19,95 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte 108, 2008
In den deutschsprachigen Ländern ist in letzter Zeit eine Rückbesinnung auf die Frühzeit der Fotografie zu beobachten, die sich in gestiegenen Auktionspreisen und zahlreichen Ausstellungen widerspiegelt. So zeigte das Museum für Fotografie in der Alten Nationalgalerie in Berlin von Dezember 2006 bis Februar 2007 unter dem Titel "Fragmente zur Melancholie. Bilder aus dem ersten Jahrhundert der Fotografie" Arbeiten aus der Privatsammlung Bastian und etwa zeitgleich die Fotostiftung Schweiz in Winterthur die Zusammenstellung "Lichtspuren – Daguerreotypien aus Schweizer Sammlungen". In Österreich war bereits zuvor die Ausstellung "Pioniere der Daguerreotypie in Österreich" an der Albertina in Wien zu sehen und im Sommer 2007 präsentierte das Nordico in Linz mit der Sammlung Pachinger ebenfalls seine Bestände der frühen Fotografie.
Die nun hier vorgestellte Publikation Spiegelbilder. Europäische und amerikanische Porträtdaguerreotypie 1840–1860 von Jochen Voigt erschien im Herbst 2007 als Begleitbuch zu einer gleichnamigen Ausstellung im Chemnitzer Schloßbergmuseum, die sich damit fast nahtlos an die genannten Ausstellungen anschloss. Der Autor, Professor im Fachbereich Angewandte Kunst an der Westsächsischen Hochschule Zwickau in Schneeberg und Möbelrestaurator, initiierte bereits 2004 die umfangreiche Publikation Der gefrorene Augenblick. Daguerreotypien in Sachsen 1839–1860. Inkunabeln der Photographie in sächsischen Sammlungen, mit der ein Bestandskatalog der Daguerreotypiesammlungen des Vogtlandmuseums Plauen, des Museums für Kunsthandwerk / Leipziger Grassimuseum und des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig sowie der Technischen Sammlungen Dresden realisiert werden konnte. Hinzu kamen Exemplare aus einigen weiteren sächsischen musealen Sammlungen sowie Daguerreotypien aus der Voigtschen Privatsammlung. Gemeinsam mit seiner Frau May Voigt, die sich als Fotografin seit mehreren Jahren auf die Konservierung und Restaurierung von Daguerreotypien spezialisiert hat, konnte das Ehepaar eine hochkarätige Sammlung dieser frühesten fixierbaren Technik der Fotografie zusammentragen. May Voigt gründete 2002 den Verlag Edition Mobilis, in dem beide Bände veröffentlicht wurden.
Das Chemnitzer Katalogbuch verzeichnet in 129 Katalognummern Stücke aus der Privatsammlung Jochen und May Voigt. Bis auf 17 Daguerreotypien waren diese bislang unveröffentlicht. Wie bereits in der Publikation von 2004 ist die Bildqualität der Abbildungen außergewöhnlich hochwertig. Die Brillanz der Illustrationen ist um so mehr zu honorieren, da Daguerreotypien zweifelsohne zu den diffizilsten Reproduktionsobjekten der Fotografie gehören. Die versilberten Kupferplatten besitzen eine so stark polierte Oberfläche, dass aus einem frontalen Blickwinkel zunächst nur das eigene Spiegelbild sichtbar wird. Erst ein geeigneter Betrachtungswinkel macht das fotografische Abbild auf dem Bildträger erkennbar, wobei geringfügige Veränderungen des Neigungswinkels positive oder negative Bildeffekte erzeugen. Platte und Fassung der Daguerreotypien bilden eine Einheit, erhöhen aber durch die unterschiedliche Materialität die Schwierigkeit einer wirklichkeitsnahen Reproduktion, so dass leider oftmals auf eine vollständige Abbildung verzichtet wird. Umso erfreulicher ist es, dass die Voigts mit einem speziellen Scanverfahren arbeiten, bei dem Fassung und Platte zunächst getrennt aufgenommen und anschließend wieder montiert werden. So kann dem Betrachter der Publikation ein annähernd wahrheitsgetreuer Eindruck der Sammlerstücke verschafft werden. Abbildungen der Vorder- bzw. Rückseite der Etuis, vereinzelte Detailaufnahmen und ein erläuternder Text ergänzen die Präsentation der publizierten Objekte, die darüber hinaus mit den üblichen Katalogangaben vorgestellt werden. Hier wäre allerdings ein gründlicheres Lektorat wünschenswert gewesen, durch das wechselnde Schreibweisen und andere Uneinheitlichkeiten hätten vermieden werden können. Lediglich bei der genaueren Überprüfung der Literaturangaben fällt folgende Divergenz auf: Katalognummer 20, das Porträt eines Mannes von Richard Beard, wurde 2004 im Band Der gefrorene Augenblick veröffentlicht. Dort findet man als Größenangabe, dass es sich um eine 1/6-Platte handelt, während die offensichtlich identische Daguerreotypie – zumal mit diesem Verfahren bekanntlich ausschließlich Unikate erzeugt werden konnten – in der aktuellen Publikation als 1/9-Platte klassifiziert wird. Es bleibt zu hoffen, dass es sich dabei um eine Ausnahme handelt.
Die Publikation gliedert sich, nach einem einführenden Aufsatz des Sammlerehepaares, in acht Kapitel, denen ein jeweils einseitiger Einleitungstext vorangestellt wurde. Beachtenswert sind die frühen Daguerreotypien, die in die Zeit 1840–1843 datiert werden. Vier der zehn in diesem Kapitel vorgestellten Aufnahmen können Richard Beard, Eduard Vaillant und Andreas Groll zugeordnet werden. Insgesamt sind über 50 Aufnahmen signiert oder zugeschrieben. Dazu gehören Daguerreotypisten wie Southworth und Hawes aus Boston, Samuel Broadbent aus Philadelphia, William Edward Kilburn aus London oder Carl Ferdinand Stelzner aus Hamburg. Neben Aufnahmen aus England, Frankreich und Deutschland sowie einzelnen Stücken aus Belgien, Österreich, der Schweiz, Russland und Kanada, bilden qualitativ vor allem die Daguerreotypien aus den USA den Schwerpunkt der Voigtschen Sammlung und des Katalogs. Darin sind letztendlich auch die Vorzüge dieser Publikation zu sehen, die keinen eigenständigen Beitrag zur fototheoretischen Auseinandersetzung leisten kann. Spiegelbilder, ermöglicht dem Leser aber den visuellen Zugang zu zahlreichen Meisterwerken der frühen Fotografie, die sich nicht im musealen Besitz befinden. Jenseits des wissenschaftlichen Anspruchs gelingt es diesem Buch dadurch, das breitere Publikum auch nach der Ausstellung an der Faszination dieser Objekte teilhaben zu lassen. Der Wissenschaft wiederum wird umfangreiches, bislang unpubliziertes Bildmaterial zu weiterführenden Forschungen zur Verfügung gestellt. Es wäre beispielsweise näher zu untersuchen, ob es sich bei Katalognummer 113, unbekannter Daguerreotypist: Porträt eines Jägers, datiert auf das Ende der 1840er Jahre, um den Leipziger Daguerreotypisten Eduard Wehnert handeln könnte. Der Vergleich mit einem Wehnertschen Porträt, das sich heute im Museum für Kunsthandwerk / Grassimuseum Leipzig befindet und in Der gefrorene Augenblick als Katalognummer III.2 publiziert wurde, zeigt deutliche physiognomische Parallelen bei Ohren, Augen und dem auffälligen unterbrochenen Bartwuchs im Bereich des Philtrums, der vertikalen Rinne zwischen Oberlippe und Nase.
Selbst wenn die Identität dieses Mannes nicht endgültig geklärt werden kann, bleibt es ein eindrucksvolles Porträt aus den Anfangsjahren der Fotografie, als diese technische Neuerung zu einem radikalen Wandel der medialen Wahrnehmung führte. Im "Augen-Blick" des Betrachtens überlagern sich verschiedene Zeitebenen. Der Blick des Dargestellten, der vor 160 Jahren mit Hilfe des Lichts fixiert werden konnte, wird nun von einem Betrachter wahrgenommen, der durch die gegenwärtige Entwicklung der Digitalisierung ebenfalls an einem Wendepunkt der visuellen Informationstechnik steht. Für solche Umbruchssituationen scheint ein zunehmendes Interesse an retrospektiven Themen signifikant zu sein, wie sie in den zahlreichen Ausstellungsprojekten zur frühen Fotografie in jüngster Zeit zu beobachten ist.
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