Anton Holzer
Editorial, Heft 104, 2007
Erschienen in: Fotogeschichte Heft 104, 2007
"Ab Herbst 2007 kann man an der Universität Zürich Fotogeschichte studieren." Mit dieser Schlagzeile kündigte die "NZZ am Sonntag" am 25. Februar 2007 die Einrichtung eines neuen Studiengangs "Theorie und Geschichte der Fotografie" am Kunsthistorischen Seminar der Universität Zürich an. Nadine Olonetzky, die Autorin des NZZ-Beitrags, führt aus: "Initiiert und ermöglicht wurde der Nebenfach-Studiengang von Kaspar Fleischmann, einem Fotogaleristen der ersten Stunde. Schon berufshalber an der Vermittlung der Geschichte der Fotografie interessiert, hat Fleischmann die von seinem Onkel gegründete Dr. Carlo Fleischmann Stiftung, welche Projekte aus Kunst und Wissenschaft unterstützte, nun in eine neue, der Universität eingegliederte Form überführt. Im Mai 2006 durch eine Vereinbarung besiegelt, wird sie mit mindestens 120.000 Franken jährlich die wissenschaftlichen Assistenzstellen, Honorare der Gastdozenten oder Publikationen sowie den Aufbau einer Fachbibliothek finanzieren." Die "Lehr- und Forschungsstelle für Theorie und Geschichte der Fotografie" sei, so wird Wolfgang Kersten, der das Fach in Zürich aufbaut, ein absolutes Novum: keine deutschsprachige Universität biete etwas Ähnliches an. Soweit die selbstbewussten Verlautbarungen, mit denen das Institut in die Öffentlichkeit ging.
Da das Stiftungsvermögen von 4 Millionen Franken für eine ganze Professur nicht ausreicht, wird diese geteilt und mit anderen kunsthistorischen Aufgabenbereichen verknüpft. Ab Frühjahr 2008 soll eine neu ausgeschriebene Teilstelle für die Fotografiegeschichte des 19. Jahrhunderts besetzt werden (Nachfolge Franz Zelgers), Wolfgang Kersten wird für die Zeit von 1900 bis 1945 zuständig und Philip Ursprung für die Jahre nach 1945 sein.
Was bedeutet diese Nachricht für die deutschsprachige Fotografiegeschichte"
1) Die Zürcher "Professur" ist wichtig. Sie hat vor allem symbolische Bedeutung, denn die Fotogeschichte erfährt innerhalb der Kunstgeschichte eine deutliche Aufwertung. Zu wünschen wäre, dass sie einen Schneeballeffekt in Gang setzt und an anderen Universitäten weitere Studiengänge Fotogeschichte und -theorie entstehen;
2) Vor 15 Jahren hätte noch kaum jemand einen solchen Fotoschwerpunkt in Zürich erwartet. Die Schweiz, aber insbesondere Zürich und Umgebung haben sich mit dem neuen Schwerpunkt, der Fotostiftung Schweiz, dem Fotomuseum Winterthur, der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich u. a. in den letzten eineinhalb Jahrzehnten vom Nachzügler zum Motor der deutschsprachigen Fotoszene entwickelt.
3) Es besteht Grund zur Freude, aber nicht zur Euphorie: denn die Zürcher Fotogeschichte an der Uni startet als halbe Sache: die "Professur" ist im Umfang beschränkt, sie ist inhaltlich eine seltsame Hybridkonstruktion, personell geteilt und zudem fest in den Armen einer Kunstgeschichte, deren fest angestellte Protagonisten bisher nicht sonderlich durch innovative Fotoforschung aufgefallen sind.
4) Die Züricher Kunstgeschichte tut ein wenig so, als ob sie das Rad der Fotogeschichte und -theorie neu erfände. Tatsächlich aber gibt es an mehreren deutschsprachigen Universitäten, Fachhochschulen und Hochschulen (zum Teil sehr gute) Fotografieschwerpunkte – sogar in Zürich selbst. Anerkennung gebührt zwei (ehemaligen) Studentinnen, Kristin Haefele und Sabine Kaufmann, die den Anstoß für den Studiengang geschaffen haben. Über Jahre hinweg haben Sie Lehraufträge in Fotografiegeschichte an die Zürcher Kunstgeschichte geholt
5) So begrüßenswert das Zürcher Experiment auch ist: es darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer noch ein sehr großer Teil der deutschsprachigen Fotogeschichte-Forschung außerhalb der Universitäten betrieben wird, von Kuratoren an Museen, Archiven und Sammlungen, aber auch von freiberuflich arbeitenden Fotografiehistorikern und -historikerinnen. Und es sind nicht immer die schlechtesten Erkenntnisse, die zwischen den Türen der etablierten Universitäten und den Angeln der so genannten Museumspraxis gewonnen werden.
6) Die Zürcher "Professur" wird die Fotografiegeschichte nicht neu erfinden (können). Sie wird, wenn sie geschickt vorgeht, Anknüpfungspunkte schaffen zu Forschenden und Lehrenden, zu Theoretikern und Praktikern, zu Museen und Sammlungen, die schon seit Jahren am Thema arbeiten. Wenn sie – was zu hoffen ist – neugierig ist, wird sie die oft engen kunsthistorischen Scheuklappen im Blick auf die Fotografie ablegen und sich dort umzusehen, wo Fotografie und Geschichte auf originelle Weise zusammen gedacht werden: bei manchen Ethnologen, den Literaturwissenschaftlern, Historikern, Medienwissenschaftlern und anderen;
7) Darf man hoffen, dass die Züricher Professur die eherne Verbindung zwischen Fotografie und Kunst (die den Blick auf die Fotografiegeschichte meist mehr vernebelte als klärte) lockern wird und auch all jene Äußerungsformen des Fotografischen in den Blick nimmt, die sich weit abseits der heiligen Hallen der Kunst bewegen" Hoffen darf man.
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