Bernd Stiegler
Silber, Salz und Seltene Erden
Die Fotografie im ökologischen Anthropozän
Boaz Levin, Esther Ruelfs und Tulga Beyerle (Hg.): Mining Photography. Der ökologische Fußabdruck der Bildproduktion, Spector Books, Leipzig 2022, 176 S., 19 x 25 cm, 20 Abb. in S/W und 74 in Farbe, 36 Euro.
Danièle Méaux: Photographie contemporaine & anthropocène, Filigranes Éditions, Landebaëron 2022, 288 S., 16,5 x 24 cm, 112 Abb. in Farbe, 25 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 167, 2023
Es ist, das machen eine eindrucksvolle Ausstellung samt Katalog sowie ein Buch deutlich, mehr als nur an der Zeit, das „ambivalente Verhältnis“, das die Fotografie mit der Umwelt unterhält, genauer in den Blick zu nehmen. Fotografien zeigen eben nicht nur Bilder der heute dahinschmelzenden Gletscher, sondern haben auch zu ihrem Verschwinden beigetragen. Wenn man die Geschichte der Fotografie Revue passieren lässt, so ist sie nicht nur Teil der industriellen Revolution, zu der viele ihrer Protagonisten auch mit anderen Erfindungen und Investitionen beigetragen haben, sondern hat in einem nachgerade schwerindustriellen Maßstab sehr unterschiedliche Ressourcen benötigt: Kupfer für die Platten der Daguerreotypien, Gold, Silber, Ruß, Bitumen und Kohle für die Produktion und Farben der Prints, Papier und Baumwolle für die Abzüge und last but not least Seltene Erden im Bereich der digitalen Fotografie. Weiterhin natürlich Chemikalien und fossile Energie im großen Stil. Vieles weitere wäre noch anzuführen: Zumindest von den Millionen und Abermillionen von Hühnereiern, die Mitte des 19. Jahrhunderts für die Herstellung der Albuminabzüge benötigt wurden, und der Gelatine, die aus Millionen Tonnen von zumeist Rinderknochen gewonnen wurden, wollen wir nicht schweigen.
Handbücher der Fotografie lasen sich im 19. Jahrhundert wie Versuchsanleitungen für ein Chemielabor; dass viele der Substanzen auch gesundheitsschädlich waren, wusste man spätestens seit den Folgewirkungen der Quecksilberdämpfe, die man zur Anfertigung von Daguerreotypien benötigte. Das Kupfer ihrer Platten stammte, wie der Beitrag von Brett Neilson im Katalog Mining Photography materialreich rekonstruiert, vermutlich aus der Gegend des walisischen Swansea, wo Erz aus unterschiedlichen Ländern und dabei nicht zuletzt aus Chile verhüttet wurde. Die fotografische Industrie, die das neue Medium eben rasch unübersehbar war, brauchte Rohstoffe im großen Stil. Eine massive Ausbeutung von Menschen und der Natur war die Folge. Diese wurden dann Jahrzehnte später von der Fotografie auch dokumentiert, die so Abnehmer und Ankläger zugleich war. An diesem Beispiel zeigt sich nicht nur schlagend die „Verstrickung von Fotografie und Bergbau“, sondern exemplarisch auch die bigotte Janusköpfigkeit, die für den Umgang der Fotografie mit der Umwelt zu konstatieren ist. Es ist ein großes Verdienst der Ausstellung „Mining Photography“, die nach ihrem Start im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg 2023 in das Kunst Haus Wien und 2023/24 in das Gewerbemuseum Winterthur weiterwandert, das zweite, bisher schamvoll abgewendete Antlitz der Fotografie in den Blick genommen zu haben, das mit ihrer stolzen sozialdokumentarischen Erscheinung wenig gemein hat.
Es war an der Zeit, die Fotografie auch mit ökologischen Augen zu sehen und die erheblichen Kosten und den gigantischen Verbrauch von Ressourcen seitens der Bildproduktion zum Gegenstand zu machen. Die Fotografie als „fossilisierte Sonnenstrahlen“ (Nadia Bozak) hat, wie wir nun sehen, den ökologischen Fußabdruck einer Dinosaurierhorde. Auf die Verflechtung der fotografischen Bildindustrie mit der Umwelt hatten, wie viele Beispiele zeigen, bereits Künstler*innen auf intrikate Weise hingewiesen, indem sie, wie etwa Susanne Kriemann, mit Schwermetall und Uran kontaminierte Pflanzen für Pigmente ihrer Heliogravüren verwendet, oder, wie das Künstler*innenkollektiv „The Optics Division of the Metabolic Studio“, einen ausgetrockneten See in der kalifornischen Wüste zum Gegenstand ihrer Arbeit machen, ihn dabei aber zugleich auch als Materiallieferant nutzen.
Die Positionierung der Fotografie im „Kapitalozän“ des Anthropozäns bildet auch den Ausgangspunkt des neuen Buchs der französischen Fotografiehistorikerin Danièle Méaux, die sich allerdings ihrerseits auf die reine Bildproduktion konzentriert und in der zeitgenössischen Fotografie sehr unterschiedliche Formen einer Problematisierung unseres Verhältnisses mit unserem Planeten ausmacht. In acht Kapiteln stellt sie unterschiedliche Modi und Themen einer umweltsensiblen Fotografie vor und unternimmt so eine Art Kartografie jüngerer künstlerischer Arbeiten, die, wie sie schreibt, die Fotografie als Laboratorium von Gedanken und Ideen verstehen. Wenn es nun darum geht, unser Verhältnis zur Umwelt fotografisch in den Blick zu nehmen, so reicht der Maßstab von im Wortsinn globalen Ansichten wie der berühmten „Blue Marble“ der Apollo 17-Mission bis hin zu filigranen Analysen konkreter engumrissener Weltgegenden, wie etwa der Zone ringsum Tschernobyl oder des als „Cancer Alley“ bezeichneten Teils des Mississippi River, der von Baton Rouge bis New Orleans reicht und von Richard Misrach in seinem Buch Petrochemical America dokumentiert wurde. Noch weiter geht Jean-Luc Mylayne, der in verschiedenen Weltgegenden das Leben der Vögel beobachtet, hierfür über viele Wochen hinweg so lange in ihrem Umfeld lebt, bis sie sich an seine Gegenwart gewöhnt haben, um dann Fotografien anzufertigen, die sich auf eigentümliche Weise dieser Umwelt annähern. Es ist nicht wie so oft in der Geschichte der Fotografie der panoramatische „bird-eye’s-view“, um den es ihm geht, sondern um eigentümliche Formen der Annäherung an ein anderes Sehen und Wahrnehmen. Diese Vision, mithilfe der Fotografie ein nun auch ökologisch, sozialökonomisch wie biologisches aufgeklärtes „Neues Sehen“ erschließen zu können, ist der gemeinsame Nenner der sehr unterschiedlichen künstlerischen Arbeiten, die von der Autorin ebenso sensibel wie kenntnisreich vorgestellt werden.
Mit den angeführten Beispielen sind einige Facetten des materialreichen Parcours des Buches bereits implizit genannt. Er reicht von touristischen Bildern (Fischli & Weiss), kritischen Dokumentationen des Kupferabbaus (Ignacio Acosta), der kontaminierten Monsanto-Versuchsfelder (Mathieu Asselin) und der petrochemischen Industrie, über die verschiedenen Arbeiten von Mishka Henner, der im Netz verfügbare Bilder verwendet, um militärische Sperrzonen, unzugängliche Ölfelder und „Feedlots“, riesige Mastviehbetriebe, zu dokumentieren, bis hin zu den Urwaldbildern von Thomas Struth und Jürgen Nefzger. Letzter hat im Vergleich zu Struth, der u.a. nach Australien, Brasilien, China, Florida, Hawaii, Japan und Peru reiste, für seine Serie einen ungleich kleineren CO2-Fußabdruck hinterlassen, da sich das von ihm fotografisch erkundete Tal im Flusstal des Arros in den Pyrenäen befindet.
Weitere Erkundungen gelten dann u.v.a. mit Joel Sternfelds Serie „Walking the High Line“ aus New York, die die Biodiversität inmitten der okzidentalen Stadtlandschaft erkundet, der „visuellen Archäologie“ der modernen Urbanistik (Mathieu Pernot) und der Dokumentation des Gletscherschwunds durch Olivier de Sépibus. Die Fotografie erweist sich dabei vor allem als Medium eines „kritischen Realismus“ (Ignacio Acosta), das mangels konkreter Utopien der Zukunft auf Veränderung setzt und hier vor allem auf eine der Wahrnehmung. Wie wir uns und unsere Umwelt und wie wir uns in unserer Umwelt wahrnehmen, ist auch entscheidend für unser Verhalten. Dieses Verhältnis zu verändern und zu verschieben, ist letztlich das Ziel der von Danièle Méaux vorgestellten Fotograf*innen. Die Richtung dieses neu gewendeten „Neuen Sehens“ pendelt dabei zwischen Kritik, sprich konkreten Gegenständen und selbstgewendeter Reflexion, also einer anderen Haltung des Subjekts. Die kleine Kraft der Fotografie mag vor allem darin liegen, sich wie ein nicht zu disziplinierendes Unkraut zu verhalten. In der französischen Sprache heißt „Unkraut“ „herbes folles“, „verrücktes Kraut“. Auf diese Verrücktheit, die in der Lage ist, die etablierten Grenzen zwischen Kultur und Natur zu verrücken, kommt es an.
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