Benet Lehmann
Bildgewalt
Fotografien aus dem „Ostfeldzug“ und ihre „Biographien“ (1939–2022)
Dissertation am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC),
Justus-Liebig-Universität Gießen, Erstbetreuung: Prof. Dr. Hannah Ahlheim, Bearbeitungsbeginn: Februar 2022, von April bis Juni 2022 Fellow am Zentrum für Holocaust-Studien des Leibniz Instituts für Zeitgeschichte, ab August 2022 Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung. Kontakt: benet.lehmann(at)icloud.com
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 167, 2023
In den besetzten Gebieten Osteuropas und im Deutsch-Sowjetischen Krieg war die Kamera für viele Soldaten eine stete Begleiterin. Einige der dabei entstandenen Bilder zeigen besonders befremdend anmutende Szenen: Soldaten posieren vor Leichen, halten Arme oder Beine hoch oder machen sich über die ermordeten Opfer lustig. Ein prägnantes Beispiel ist das hier abgebildete Foto 17 (hier die Rückseite), das wahrscheinlich um 1940 im annektierten Polen oder im Generalgouvernement aufgenommen wurde.[1] Laut Rückseite handelt es sich um eine „Partisanenaktion“, ein Begriff, der einen festen Platz in der euphemistischen Sprache der Mordaktionen hat. Dieses Bild war der Anfang meines Forschungsprojekts, doch finden sich ähnliche in allen besetzten Gebieten Osteuropas, in jedwedem Kontext des „Holocaust by Bullets“ und in fast jedem Kriegsjahr. Ich denke daher, dass ich einen spezifischen Bildtypus – Gewaltbilder des Posierens – ausgemacht habe. Allen Bildern gemeinsam ist, dass in ihnen Emotionen, Haltungen und Interaktionen des Posierens erkennbar sind, die das gewaltsam hergestellte Machtverhältnis zwischen Opfern und Tätern zugunsten einer weiteren Verfestigung der nationalsozialistischen Weltanschauung zuspitzen. Das können etwa Lachen, Grinsen, zufriedene Gesichtsausdrücke, Feixen, Schadenfreude, Stolz, Erhabenheit, das Anfassen oder Hochhalten von Leichenteilen sein oder auch das Nachahmen der Leichenhaltungen. Scham oder Bestürzung lässt sich in den Gesichtern der Soldaten zumeist nicht erkennen, sondern (gespielter) Ekel oder Distanzierungen. Auf jeder der Fotografien sind sowohl Posierende als auch Opfer zu erkennen, die sich direkt am Ort der Ermordung fotografieren lassen haben, das von den Tätern gestaltete Machtverhältnis sowie der Aspekt eines dokumentarischen, teilweise touristischen Moments, das das Posieren entstehen ließ und gleichzeitig durch dieses forciert wurde.
Nach dem Foto 17 fand ich schnell weitere Fotografien – von SS, Polizeibataillonen, Einsatzgruppen und insbesondere der Wehrmacht. Das führte mich zu der simplen Frage – Warum machen die das? Zweierlei: Als Massenmedium tragen Fotografien dazu bei, soziale Identität zu konstruieren. In (zunächst) ungewohnten Situationen des Kriegs- und Frontalltags ermöglichte das Fotografieren, sich zum Geschehen in Beziehung zu setzen. In ihrem zivilen Alltag nutzten bereits viele Kriegsteilnehmer Kameras und waren daher mit der technischen Handhabung vertraut. Das half, die notwendigen Praktiken für die gedachte Ordnung der Volksgemeinschaft und ihrer Politik im Osten in die Realität umzusetzen. Gleichzeitig war das Fotografieren von toten Menschen selbst ein Gewaltakt, der das erfahrene Leid, die Demütigung[2] sowie die Endgültigkeit des Todes überzeitlich dokumentieren sollte. Es handelt sich um eine radikale Markierung der Ohnmacht einer Gruppe – wer tot ist, kann nicht handeln, und das triumphierende Posieren verstärkt diesen Eindruck bei den Betrachtenden. Das Fotografieren bedeutete erstens lebensweltliche Verankerung und Selbstverortung, zweitens aber auch aktive Teilnahme und war letztendlich ein Baustein in der vernichtenden Politik des Nationalsozialismus; gewaltsame In- und Exklusion sind damit in komplexer Weise verbunden.
So verstörend diese Darstellung und Inszenierung von Gewalt auch wirken mag, die Bilder verfügen durchaus über bildungspolitisches Potential.[3] Ihre Macht als Aktiva ist spätestens seit der ersten Wehrmachtsausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 unverkennbar deutlich geworden, deren Bildmaterial zu einem großen Teil aus Gewaltbildern des Posierens bestand. Bis heute prägen fotografische Präsentationen von Gewalt aus den besetzten „Ostgebieten“ und dem „Russlandfeldzug“ in vielerlei Hinsicht das komplexe Verhältnis von Vergangenheit und Verbrechen, Gegenwart und Geschichtskultur, historischem Material und seiner Rezeption.[4] Fotografien, auf denen Soldaten mit unterschiedlichen, zumeist aber positiven Haltungen vor Leichen posieren, erscheinen dabei aufgrund ihres oft als widersprüchlich wahrgenommenen Inhalts als besonders ambivalent und erfuhren häufig Umdeutungen. Diese Geschichte von Gewalt in, mit und durch Fotografien gilt es nachzuzeichnen.
Diese Fotografien des spezifischen Bildtypus des Posierens lassen sich daher aus zwei Perspektiven untersuchen: als Produkte von gewaltvollen Praktiken, und als öffentliche Repräsentation von Geschichte, die selbst über eine Rezeptionsgeschichte verfügen.[5] Mir geht es daher um eine kultur- und sozialgeschichtliche Mediengeschichte, die – ausgehend von dem Medium selbst – die einzelnen Abschnitte der Geschichte dieser Fotografien in den Blick nimmt und „Biographien“ der Gewaltbilder des Posierens beinhaltet, etwa 10 bis 15, ausgesucht nach größtmöglicher Diversität ihrer Kontexte und Provenienzen. Den Anfang der Studie bildet eine kurze Geschichte des Posierens und seiner Dokumentation, ebenso wie eine thematische Einführung in die Besetzung der Gebiete Osteuropas und den Deutsch-Sowjetischen Krieg. Ausschlaggebend für die fotografische Praxis war dabei die im nationalsozialistischen Denken geforderte Präsenz wehrhafter Körper mit gewaltbereiter Haltung, Vorstellungen von Gender, Antisemitismus, Antislawismus, Rassismus, Biologisierungen, ethnografische Blicke, Raumvorstellungen, ökonomische Aspekte, Hygienevorstellungen, Einbindungen in Organisationen[6] und Radikalisierungsprozesse.[7] Letztere erweisen sich für die Entwicklung des untersuchten Phänomens der Gewaltbilder als entscheidender Fokus.
Den Hauptteil der Arbeit bildet das Lexikon, das die „Biographien“ der Gewaltbilder versammelt. Deren Aufbau orientiert sich an den mit der Fotografie verbundenen kulturellen Praktiken: die Produktion (performative Herstellung der Fotografien), die Repräsentation (Medialität und Materialität), die Distribution (Provenienzgeschichte), die Exhibition (Nutzungen der Fotografien) und die Rezeption (Niederschlag und soziokulturelle Einbettung).[8] Dabei argumentiere ich, dass die performativen Praktiken, die das Bild hervorbrachten, sowie seine medienspezifische Konstitution entscheidend sind für die nachfolgende Verwendungs- und Rezeptionsgeschichte der jeweiligen Fotografie. Diese beiden Betrachtungsweisen gilt es zusammenzuführen, um so die vielfältigen und vielschichtigen (geschichts-)kulturellen und sozialgeschichtlichen Kontexte lesbar zu machen, aus denen sie hervorgegangen, beziehungsweise in die sie eingebettet sind.[9] Nur so kann dann auch der Blick der Täter gebrochen werden; neben dem Einbeziehen von Stimmen der Opfer und ihrer Nachfahren, überlege ich, in einem künstlerischen Projekt begleitend zum Forschungsvorhaben über das Phänomen Posieren zu reflektieren.
Ich gehe davon aus, dass die Prägungen der nationalsozialistischen Gesellschaft nicht mit dem Kriegsende 1945 endeten und damit auch die medialen Erzeugnisse der Volksgemeinschaft als Aktiva im postnazistischen Deutschland verstanden werden müssen. Das Projekt ist damit Teil einer Gesellschaftsgeschichte der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, die sich auch nach 1945 in Form einer Mediengeschichte des Holocausts weitererzählen lässt und Kontinuitäten dieser aufmerksam beforscht. Unter Berücksichtigung medialer und materieller Spezifika des Mediums speist sich das transformative Potential von Fotografien einerseits aus den ihnen immanenten Authentifizierungsmechanismen, andererseits aus dem Überwältigungspotential der dargestellten Gewalt. Mir geht es um eine Analyse geschichtspolitischer Aushandlungen,[10] die sich darauf richteten, das kollektive historische (Bild-)Gedächtnis[11] der deutschsprachigen Bevölkerung zu beeinflussen. Gerade hier ist eine akteurs- und organisationsgeschichtliche Perspektive notwendig, um die Bedingungen, Motivationen und Antagonismen hinsichtlich der Nutzung von Fotografien nachzuverfolgen, auch wenn die Akteur*innen auf den Fotografien meistens nicht identifizierbar sind.“
Eine besondere Schwierigkeit stellt die Erforschung der Rezeption dar, weil Aussagen zu etwa Ausstellungen sich selten auf eine Fotografie beziehen. Als Material dienen mir Presseerzeugnisse, Filmdokumentationen, bildungspolitische Materialien, Schulbücher oder digitale Plattformen, teilweise sogar Zeitzeug*innengespräche oder Interviews. Einen besonderen Teil bildet der Umgang mit Fotos in einem rechtsgeschichtlichen Rahmen. Dreh- und Wendepunkt im Umgang mit den Gewaltbildern des Posierens sind die beiden Wehrmachtsausstellungen. Dabei sollen die verschiedenen Modi des Umgangs mit Geschichte deutlich werden, etwa Fotografien, die sich prominent auf Magazincovern finden oder aber in Archiven unentdeckt blieben oder dem Vergessen anheimgegeben wurden. Die lexikalischen Einträge treten hierbei als „Protagonisten“ auf; die Auswahl der Fotografien orientiert sich also auch an den aufzuzeigenden Möglichkeiten und Grenzen des geschichtskulturellen Diskurses nach 1945. Das hier beschriebene Phänomen der Gewaltbilder des Posierens vor Leichen findet in der Fotoforschung bisher kaum Niederschlag, kann aber auf Literatur aus verschiedenen Disziplinen zurückgreifen.[12] Mein Ziel ist daher ein Beitrag zur Geschichtsschreibung der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg – insbesondere der Shoah – und der nachfolgenden Geschichte ihrer medialen Repräsentationen. Selbstredend finden sich diese Fotografien jedoch nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch davor, etwa in kolonialen Kriegen, und danach, beispielsweise im Vietnamkrieg, in jüngerer Zeit etwa in Abu Ghraib oder in Videos des IS. Ebenso ist davon auszugehen, dass Gewaltbilder des Posierens ein Phänomen der Gegenwart und wahrscheinlich auch der Zukunft sind, das es vergleichend zu erforschen gilt.
-----------
[1] Die Fotografie wurde in der ersten Wehrmachtsausstellung ausgestellt und mit einem motivbeschreibenden Titel benannt, den ich hier weiterverwende. Im Katalog der Wehrmachtsausstellung findet es sich auf der Seite 194 (1.-3. Aufl.). Hannes Heer (Hg.): Ausstellungskatalog zu Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, Hamburg 1996.
[2] Vgl. zur Praxis der Demütigung und öffentlichen „peinlichen“ Bestrafungen Ute Frevert: Die Politik der Demütigung. Schauplätze von Macht und Ohnmacht, Frankfurt a. M. 2017, vor allem S. 60–70.
[3] Der hier verwendete Gewaltbegriff zielt auf die Analyse medialisierter Gewalt, von Bildgewalt und ihrer Funktion ab, nicht auf direkt erfahrene Gewalt. Vgl. Cornelia Brink, Jonas Wegerer: Wie kommt die Gewalt ins Bild? Über den Zusammenhang von Gewaltakt, fotografischer Aufnahme und Bildwirkungen, in: Fotogeschichte,Heft125, 2012, S. 5–14, hier S. 6f; Jan Philipp Reemtsma: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne, Hamburg 2008, S. 5–14, hier S. 470.
[4] Siehe zu Geschichtskultur in der Öffentlichkeit immer noch Jörg Requate: Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft, Heft 25, 1999, S. 5–32.
[5] Vgl. etwa Habbo Knoch: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocausts in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2001.
[6] Vgl. Stefan Kühl: Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust, Berlin 2014.
[7] Vgl. Michael Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz, Hamburg 2007.
[8] Dieses Vorgehen ist angelehnt an das von Thorsten Logge vorgeschlagene Konzept der Geschichtssorten. Vgl. Thorsten Logge: Geschichtssorten als Gegenstand einer forschungsorientierten Public History, in: Public History Weekly, Jg. 6, Beitrag 24, 2018, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2018-12328 (3.8.2022).
[9] In Anlehnung an Jaques Derrida lassen sich Bilder als ‚Text‘ fassen. Vgl. Jacques Derrida: Die différance, in: Peter Engelmann (Hg.): Jacques Derrida. Die différance. Ausgewählte Texte, Stuttgart 2004, S. 110–149.
[10] Vgl. Stefan Troebst: Geschichtspolitik, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, docupedia.de/zg/Geschichtspolitik (Zugriff 23.6.2022).
[11] Vgl. Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, Stuttgart 2017, S. 154–160.; Siehe zur Debatte um Visualität von Geschichts- und Erinnerungskultur auch Gerhard Paul: Visual History, Version: 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, docupedia.de/zg/Visual_History_Version_3.0_Gerhard_Paul, (3.8.2022).
[12] Dora Apel: Imagery of Lynching. Black Men, White Women, and the Mob, New Brunswick, New Jersey, London 2004; Susan Sontag: Das Leiden anderer betrachten, Frankfurt a. M. 2005; Anton Holzer: Der lange Schatten von Abu Ghraib. Schaulust und Gewalt in der Kriegsfotografie, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Heft 1 (2006), S. 4-21; Stephen F. Eisenman: The Abu Ghraib Effect, London 2007; Katrin Dauenhauer: Do the Photos Tell it All? Representing Torture in the Images from Abu Ghraib, in: Current Objectives of Postgraduate American Studies 10 (2009), copas.uni-regensburg.de/article/view/116/140 (3.8.2022). W. J. T. Mitchell: Cloning Terror. The War of Images, 9/11 to the Present, Chicago 2011; Anton Holzer: Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918, 2. Aufl., Darmstadt 2014.
Letzte Ausgaben
Hefte ab 150 | Siehe auch: Themen- und Stichwortsuche | Hefte und Einzelbeiträge aus dem Archiv auch als PDF bestellbar.