Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Kathrin Yacavone

Intime Alben zur öffentlichen Präsentation

Sisi privat. Die Fotoalben der Kaiserin, Köln: Museum Ludwig, 2020. Mit Texten von Miriam Szwast und Olivia Gruber Florek. Publikation zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Ludwig, 24. Oktober 2020 bis 24. Januar 2021, verlängert bis 4. Juli 2021 (Bd. 4 der Reihe „Sammlung Fotografie / Museum Ludwig“, hg. von Miriam Szwast), 54 S. (inkl. Bildteil), 14,8 x 21 cm, 15 Abb., kartoniert, ISBN 978-3-9821480-4-5, 8 Euro.

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 161, 2021

 

Die Rolle von Frauen in der Gestaltung von Fotoalben im 19. Jahrhundert ist in der (feministischen) Fotografieforschung inzwischen gut aufgearbeitet. Weniger erforscht ist hingegen die Frage, inwiefern umgekehrt Fotoalben neue Schlaglichter auf die historischen Frauenbilder zu werfen vermögen. Nichts geringeres hat sich die im Kölner Museum Ludwig gezeigte und von einem Beiheft begleitete Ausstellung Sisi privat. Die Fotoalben der Kaiserin zum Ziel gesetzt: anhand der privaten Fotoalben von Elisabeth von Österreich-Ungarn einen „neuen Zugang zur historischen Figur“ zu eröffnen (S. 2). Das konkrete Material, das hier dem insbesondere durch Ernst Marischkas Film-Trilogie der 1950er Jahre geprägten kulturellen Gedächtnis entgegengesetzt wird, besteht aus Carte de Visite-Fotoalben, die in der 1990er Jahren als Teil der Sammlung Robert Lebeck ins Museum Ludwig gelangten. Dabei handelt es sich um 18 (von insgesamt 39 bekannten) Fotoalben, die von der Kaiserin zwischen 1862 und 1864, also der ersten Blütezeit der auf Carte de Visite-Format normierten Fotoalben, angelegt wurden. Ihre Beschäftigung mit Alben – und sinnbildlich die Rolle der Frauen in der Fotoalben-Tradition des 19. Jahrhunderts – wird auf einer eigens für die Ausstellung angekauften Carte de Visite-Fotografie (siehe Cover) inszeniert, wo die junge Kaiserin inmitten einer montierten Familienidylle ein aufgeschlagenes Fotoalbum vor sich auf dem Tisch durchblättert. Das Querformat des abgebildeten Albums ähnelt der Mehrzahl der tatsächlichen Sisi-Alben, in denen meist drei Carte de Visite-Bilder nebeneinander eingeklebt wurden. Vier weitere Bände sind typische Einsteckalben, von denen drei sogenannte „Schönheitenalben“ darstellen, in denen Elisabeth ausschließlich Frauenporträts versammelte, die sie sich auf diplomatischen Wegen aus aller Welt zusenden ließ. Die insgesamt ca. 2.000 Fotografien in den 18 Alben bestehen überwiegend aus Porträts der Familie, Adeligen und Schauspielerinnen; aber auch Tieraufnahmen und Kunstreproduktionen wurden gesammelt.

Vor dem Hintergrund dieser Vielzahl an Bildern besteht der größte Verdienst des Projektes darin, sich vom musealen Fetisch des Einzelbildes[1] abzuwenden und die Aufmerksamkeit auf das Albumformat und seine medialen und visuell-narrativen Besonderheiten zu lenken. Dort, wo Einzelbilder analysiert werden, geschieht dies im narrativ-visuellen Albumkontext und Bildverbund, wie beispielsweise auf der Seite, die eine Karikatur von einem seiner Kaisergattin Eugénie ergebenen Napoleon III zeigt, die von Carte de Visite Aufnahmen einer weiblichen Schönheit und einem Pudel flankiert wird. Nur aus der Bildkombination entsteht der Eindruck einer kritisch beobachtenden, ja gegenüber der Monarchie und ihren Repräsentationsformen zynisch distanzierten Kaiserin, die hier zu erkennen gibt, das Schauspiel von Macht, Schönheit und Einflussnahme durchschaut zu haben. In einer ähnlichen, aber stärker auf Ikonographie abzielenden Neudeutung Elisabeths spannt Olivia Gruber Florek einen Bogen zwischen dem 1865 von Franz Xaver Winterthaler angefertigten offiziellen Staatsporträt der Habsburger Kaiserin zu der modernen Malerei Frankreichs, da beide auf besondere Weise auf die Fotografie zurückgreifen. Im Falle Elisabeths geht es um eines ihrer „Schönheitenalben“,[2] in dem sich Reproduktionen von Winterthalers Eugénie-Darstellung mit Carte de Visite-Porträts von erotisch-pornografisch anmutenden Tänzerinnen der Pariser Demimonde vereinen. Beide Bildreihen dienten der Kaiserin und dem Maler als Anhaltspunkte für ihr Porträt, das somit als Scharnier zwischen der Bildpolitik des Ancien Régime und der Moderne gedeutet wird, während die Porträtierte als eine an der Fotografie geschulte Beobachterin und Ikonoklastin eben dieser Bildpolitik auftritt. Auch wenn die 18 Fotoalben der Kaiserin Elisabeth nur insgesamt fünf Porträts ihrer selbst beinhalten, so geben sie doch einen neuen, unverklärten Einblick in ihre erstaunlich selbstreflexive Lebenswelt. Es ist dem Material zu wünschen, dass die Forschung anknüpfend an dieses Projekt weitere Erkenntnisse aus ihm gewinnt, um schließlich auch das besondere Deutungspotential des Fotoalbums insgesamt genauer zu erfassen.

-------------

[1] Das Medium des Albums spielte bei der ersten Schau des Sisi-Konvolutes kaum eine Rolle, vgl. Bodo von Dewitz: „Ich lege mir ein Album an und sammle nun Photographien“. Kaiserin Elisabeth von Österreich und die Carte-de-Visite-Photographie, in: Alles Wahrheit! Alles Lüge! Photographie und Wirklichkeit im 19. Jahrhundert. Die Sammlung Robert Lebeck, Köln/Amsterdam/Dresden, 1996, S. 95–105.

[2] Es handelt sich um das nach seinen Verzierungen benannten “Amethyst-Album”, das auch im Begleitheft reproduziert ist (S. 39-49). Im Zusammenhang der Ausstellung wurden alle Alben erstmals vollständig digitalisiert: https://museum-ludwig.kulturelles-erbe-koeln.de (Zugriff am 16.4.2021).

Letzte Ausgaben

 

Hefte ab 150 | Siehe auch: Themen- und Stichwortsuche | Hefte und Einzelbeiträge aus dem Archiv auch als PDF bestellbar.

173

Fotokampagnen

Bilder im Einsatz

Franziska Lampe (Hg.)

Heft 173 | Jg. 44 | Herbst 2024

 
172

Vermessene Bilder

Von der Fotogrammetrie zur Bildforensik

Mira Anneli Naß, Steffen Siegel (Hg.)

Heft 172 | Jg. 44 | Sommer 2024

 
171

Verletzte Bilder

Anton Holzer, Elmar Mauch (Hg.)

Heft 171 | Jg. 44 | Frühjahr 2024

 
170

Mehr als ein Raum

Das fotografische Atelier: Kunst, Geschäft, Industrie

Anne Vitten (Hg.)

Heft 170 | Jg. 43 | Winter 2023

 
169

Vom Lichtbild zum Foto

Zur westdeutschen Fotoszene der 1950er Jahre

Clara Bolin (Hg.)

Heft 169 | Jg. 43 | Herbst 2023 

 
168

Kritik der Autorschaft

Fotografie als kollektives Unternehmen

Paul Mellenthin (Hg.)

Heft 168 | Jg. 43 | Sommer 2023 

 
167

Artist Meets Archive

Künstlerische Interventionen im fotografischen Archiv

Stefanie Diekmann, Esther Ruelfs (Hg.)

Heft 167 | Jg. 43 | Frühjahr 2023 

 
166

Schreiben über Fotografie II

Steffen Siegel, Bernd Stiegler (Hg.)

Heft 166 | Jg. 42 | Winter 202

 
165

Erinnerung, Erzählung, Erkundung

Fotoalben im 20. und 21. Jahrhundert

Bernd Stiegler, Kathrin Yacavone (Hg.)

Heft 165 | Jg. 42 | Herbst 2022

 
164

Zirkulierende Bilder

Fotografien in Zeitschriften

Joachim Sieber (Hg.)

Heft 164 | Jg. 42 | Sommer 2022

 
163

Black Box Colour

Kommerzielle Farbfotografie vor 1914

Jens Jäger (Hg.)

Heft 163 | Jg. 42 | Frühjahr 2022

 
162

Den Blick erwidern

Fotografie und Kolonialismus

Sophie Junge (Hg.)

Heft 162 | Jg. 41 | Winter 2021

 
161

Norm und Form

Fotoalben im 19. Jahrhundert

Bernd Stiegler, Kathrin Yacavone

Heft 161 | Jg. 41 | Herbst 2021

 
160

Keepsake / Souvenir

Reisen, Wanderungen, Fotografien 1841 bis 1870

Herta Wolf, Clara Bolin (Hg.)

Heft 160 | Jg. 41 | Sommer 2021

 
159

Weiterblättern!

Neue Perspektiven der Fotobuchforschung

Anja Schürmann, Steffen Siegel (Hg.)

Heft 159 | Jg. 41 | Frühjahr 2021

 
158

Die Zukunft der Fotografie

Anton Holzer (Hg.)

Heft 158 | Jg. 40 | Winter 2020 

 
157

Fotogeschichte schreiben. 40 Jahre Zeitschrift Fotogeschichte

Anton Holzer (Hg.)

Heft 157 | Jg. 40 | Herbst 2020 

 
156

Aquatische Bilder. Die Fotografie und das Meer

Franziska Brons (Hg.)

Heft 156 | Jg. 40 | Sommer 2020 

 
155

Wozu Gender? Geschlechtertheoretische Ansätze in der Fotografie

Katharina Steidl (Hg.)

Heft 155 | Jg. 40 | Frühjahr 2020

 
154

Protestfotografie

Susanne Regener, Dorna Safaian, Simon Teune (Hg.

Heft 154 | Jg. 39 | Winter 2019

 
153

Fotografie und Text um 1900

Philipp Ramer, Christine Weder (Hg.)

Heft 153 | Jg. 39 | Herbst 2019

 
152

Fotografie und Design

Linus Rapp,  Steffen Siegel (Hg.)

Heft 152 | Jg. 39 | Sommer 2019

 
151

Nomadic Camera

Fotografie, Exil und Migration

Burcu Dogramaci, Helene Roth (Hg.)

Heft 151 | Jg. 39 | Frühjahr 2019

 
150

Polytechnisches Wissen

Fotografische Handbücher 1939 bis 1918

Herta Wolf (Hg.)

Heft 150 | Jg. 38 | Winter 2018