Johanna Bose
Fotos auch anderen zeigen
Das Fotoalbum im Archiv und Museum. Eine Recherche
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 161, 2021
Mitte der 1970er Jahre erschienen in verschiedenen Zeitungen Kleinanzeigen, in denen der Schriftsteller Walter Kempowski dazu aufrief, ihm zum Aufbau eines Archivs private Tagebücher und Fotoalben zu überlassen. Kempowskis Anzeigen lenkten zum ersten Mal die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf Objekte der Massenkultur, die bisher kaum oder nur wenig Beachtung gefunden hatten. Seine Initiative fällt in eine Zeit, in der sich der Blick auf die Fotografie und dabei besonders auf die sogenannte Knipserfotografie zu ändern beginnt. Das Fotoalbum hatte kaum wissenschaftliches Interesse erregt und war weitgehend als Kuriosum und banales Relikt betrachtet worden. Seit sich Anfang der 1970er Jahre in immer mehr Städten Flohmärkte zu etablieren begannen, tauchten auch vermehrt Fotoalben im Handel auf und fanden das Interesse von privaten SammlerInnen.
Im Rahmen meiner Arbeit bei der Bildagentur akg-images in Berlin bin ich unter anderem mit der Aufarbeitung des bisher noch unerschlossenen firmeneigenen Bestandes an Fotoalben betraut. Diese Arbeit führte mich zu Fragen über die gegenwärtige Situation der Beschäftigung mit Fotoalben, wie etwa die nach dem aktuellen Stand der Forschung zur Geschichte und Charakter von Fotoalben, nach der vorhandenen Literatur und bisher gezeigten Ausstellungen mit dem Schwerpunkt ›Fotoalbum‹ in Deutschland. Zugleich versuchte ich mir einen ersten Überblick über die in öffentlichen und privaten Sammlungen vorhandenen Bestände an Fotoalben zu verschaffen.
Um den Gegenstand ›Fotoalbum‹ genauer zu fassen, ist zunächst eine Abgrenzung zu fotografisch illustrierten Büchern (›Fotobücher‹) sinnvoll. Fotobücher liegen in mehreren gleichen Exemplaren vor und lassen sich weiter vervielfältigen ohne ihren Charakter einzubüßen. Sie sind Objekte einer Auflage. Fotoalben sind Unikate. Sie definieren sich über ihre jeweils einmalige Zusammenstellung und Anordnung von Fotografien in einem vormals leeren Buch oder einem industriell produzierten Album. Mögen auch Bestandteile des Fotoalbums Massenprodukte sein, bleibt es die individuelle Komposition des Inhaltes, die seine Einzigartigkeit ausmacht.[1] Durch die Mischung von Fotografien, Texten und anderen Memorabilien werden Fotoalben zu multimedialen Objekten. Organisation, Auswahl und Beziehung von Bild und Text lenken unseren Blick und bedingen die spezifische polymediale Erzählform, das Narrativ, des Albums.
Trotz ihrer jeweils individuellen Gestaltung findet sich in Fotoalben viel Zeittypisches und Stereotypes. Die Anlässe zur Aufnahme von Fotografien folgen meist gesellschaftlichen Konventionen und auch die Interieurs von Fotoateliers, eingenommene Haltungen und Posen, Ausleuchtung und Retuschen folgen über das 19. Jahrhundert hinaus technischen, ästhetischen und sozialen Standards. Fotoalben sind visuelle Zeugnisse, historische Dokumente, in denen zeitgeschichtliche und individuelle Ebenen auf unterschiedlichste Weise in einen Dialog miteinander treten. Sie halten nicht nur die Geschichten einzelner Menschen oder Familien fest, sondern bilden in ihrer Gesamtheit auch eine fotografische Kulturgeschichte.
Forschungsgegenstand ›Fotoalbum‹
Erst verhältnismäßig spät setzt in den 1970er Jahren im deutschsprachigen Raum die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Fotoalbum ein. Exemplarisch können hier nur einige Beispiele kunst-, kultur-, sozial- oder fotogeschichtlicher Annäherung an das Phänomen ›Fotoalbum‹ genannt werden. Ellen Maas’ Arbeiten zum Thema ›Fotoalbum‹ zählen heute zu den Standardwerken. Für ihre mode- und kostümgeschichtlichen Forschungen hatte sie in den 1970er Jahren begonnen, Fotografien und Alben aus den 1850er bis 1950er Jahren auf Flohmärkten und in Antiquariaten zu kaufen. Ergebnis ihrer Sammeltätigkeit ist das privat geführte Kostümgeschichtliche Photoarchiv Ellen Maas, das in der Vergangenheit Grundlage mehrerer wichtiger Forschungs- und Ausstellungsprojekte war.[2]
Maßgeblich beteiligt war Ellen Maas mit ihrer Sammlung an der ersten, ausschließlich dem Fotoalbum gewidmeten, 1975 im Münchner Stadtmuseum gezeigten Ausstellung. Begleitet wurde die Ausstellung von dem Katalog Das Photoalbum 1858–1918. Eine Dokumentation zur Kultur- und Sozialgeschichte[3], dem zwei Jahre später, diesem gegenüber leicht überarbeitet, das Buch Die goldenen Jahre der Photoalben. Fundgrube und Spiegel von gestern folgte. Wie die Ausstellung widmen sich die beiden Publikationen der Geschichte des Objekts ›Fotoalbum‹ genauso wie auch dessen medialen Besonderheiten. Die in Alben vertretenen Bildersorten und -moden werden systematisch vorgestellt. Im Gefolge dieser Pionierarbeiten erscheinen in den 1980er Jahren auch in der Zeitschrift Fotogeschichte[4] erste Beiträge zu Aspekten des Themas ›Fotoalbum‹.
Zwanzig Jahre nach der ersten von Ellen Maas kuratierten Schau, setzte das Münchner Stadtmuseum 1995 mit der Ausstellung Knipser: Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980, für die Timm Starl und Manfred Wegner verantwortlich waren, einen weiteren, wichtigen Akzent. Grundlage der Ausstellung waren Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur privaten Fotografie, die Timm Starl auf einer breiten Materialbasis durchgeführt hatte. So sind binnen zweier Jahre 498 Knipseralben und rund 155 weitere Behältnisse mit Fotografien erfasst worden. Grundlage dafür war ein mehrseitiges Formular zur Inventarisierung, Aufarbeitung und statistischen Auswertung der Alben, das nicht ausschließlich der Erfassung von Daten zu einzelnen Bildern diente, sondern bereits bei der Inventarisierung den Fokus auf das Album als komponiertes Gesamtwerk und eigenständiges Ausdrucksmittel legte.[5] Die aus den Forschungen resultierende gleichnamige Monografie[6] von Timm Starl zählt heute zu den grundlegenden Werken der Beschäftigung mit privater Fotografie wie mit dem Fotoalbum.
Dass das Fotoalbum als eigene Quellengattung bislang kaum untersucht wurde, mag nicht zuletzt an der Privilegierung des Einzelbildes, seiner musealen Aufwertung und Ästhetisierung liegen. Zu oft scheinen einzelne Bilder eines Albums sammelwürdiger und gewinnbringender als das Album in seiner Gesamtheit. So gehen signifikante Lücken in Fotoalben, wenn sie aus Nachlässen stammen, oft auf die Entfernung und Vernichtung einzelner Bilder durch die Erben zurück oder auf das ›Zerpflücken‹ der Alben durch HändlerInnen, die damit besonderen Sammelinteressen entsprechen.
Ein oft fehlendes Wissen um den Kontext der Anfertigung von Fotoalben, lässt sie nicht selten, so Rudolf Herz, als kryptische Gebilde erscheinen.[7] Der Eindruck des scheinbar Immergleichen, der sich bei der Betrachtung vieler Alben ohne ein solches Wissen leicht einstellen kann, mag zu der geringen Wertschätzung des Fotoalbums in der Vergangenheit beigetragen haben. Wenn auch private Fotoalben, wie Cord Pagenstecher feststellt, den »wohl umfangreichsten Quellenfundus zur Bildgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts«[8] darstellen, werden sie in der Geschichtswissenschaft weiterhin mit Skepsis betrachtet und gelten als uneindeutige, gar triviale Quelle. Dementsprechend sind private Fotoalben von Archiven und Museen lange als nicht sammelwürdig betrachtet, kaum oder nur teilweise inventarisiert, dazu meistens nur im Rahmen von Forschungs- und Ausstellungsprojekten digital erfasst worden. Es scheint allerdings, dass Fotoalben im Kontext des sich gegenwärtig etablierenden Forschungsfeldes Visual History zunehmend mehr Bedeutung als wichtige historische Quelle erlangen. So widmete sich etwa das über mehrere Jahre angelegte Forschungsvorhaben von Petra Bopp und Sandra Starke Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg der wissenschaftlichen Analyse privater Alben deutscher Soldaten. Untersucht wurde das Album als Erzählform subjektiver Kriegserfahrungen. Etwa 150 der Alben stammten aus erster Hand, weitere aus Archiven, Museen und privaten Beständen. Präsentiert wurden die Ergebnisse der Forschungen in einer Wanderausstellung und 2009 auch in Buchform.[9]
Einem anderen Abschnitt deutscher Geschichte widmen sich Friedrich Tietjen und Sophie Schulz in ihrem 2020 begonnenen Projekt Biografie und Geschichte. Private Fotografie in Ostdeutschland 1980–2000. Sie rufen Interessierte auf, eigene Fotoalben mit ihnen zu teilen und in Gesprächen über das Erlebte und die Anlage der Alben zu berichten. So werden Fotoalben als visuelle Quellen aufbereitet, die es erlauben, das Alltagsleben verschiedener sozialer Schichten in dessen jeweiligen zeithistorischen Kontext einzuordnen und nachzuvollziehen. Die Ausstellungen FOTO | ALBUM, 2017/18 im Werkbundarchiv – Museum der Dinge, und Geteilte Erinnerungen. Das Fotoalbum – Gesteckt, geklebt, gepostet, 2018/19 in der Deutschen Fotothek, ermöglichten erstmals einen Überblick über die teils umfangreichen Bestände historischer Fotoalben dieser Institutionen. Der rund 450 Fotoalben umfassende Bestand des Werkbundarchivs lagert seit Ende der Ausstellung im Depot und ist auch über die Datenbank online nicht einsehbar. Die Deutsche Fotothek, die sich als wissenschaftliche Institution und universelles Fotoarchiv versteht, begann in den 1980er Jahren gezielt Fotoalben unterschiedlichster Typen anzukaufen und erweitert kontinuierlich ihre derzeit rund 720 Alben umfassende Sammlung. Die im Zuge der gezeigten Ausstellung begonnene Digitalisierung und wissenschaftliche Bearbeitung der Fotoalben, sowie deren Aufnahme in die Datenbank der Deutschen Fotothek versteht man dort auch als Aufruf, das Fotoalbum als »reichhaltige Quelle«[10] stärker in den Fokus der wissenschaftlichen Forschung zu rücken.
Das veränderte Paradigma der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Fotoalben in den letzten Jahrzehnten zeigt sich beispielhaft am Umgang mit den Fotoalben der österreichischen Kaiserin Elisabeth [Sisi], die 1978 in München auktioniert und von dem Sammler Werner Bokelberg erworben wurden. 1980 sah die für eine Buchausgabe mit der Bearbeitung der Alben beauftragte Brigitte Hamann es als »Hauptproblem« an, dass die Fotos ins Album »so eingeklebt« worden waren, »wie sie zufällig zusammenkamen«, mithin die Aufgabe darin bestand, »aus den verschiedenen Alben die Fotos zu einem Themenkreis zusammenzustellen«[11]. Miriam Szwast, die Kuratorin der 2020 vom Kölner Museum Ludwig initiierten Ausstellung Sisi privat. Die Fotoalben der Kaiserin, sieht in der Anlage der Alben durch die Kaiserin keine »Unordnung« sondern ein »absichtsvolles Kuratieren«. Entsprechend versteht sich die Ausstellung des Museums als »Neuentdeckung«[12] der womöglich als visuelle Tagebücher geführten Alben. Den Blick auf das Fotoalbum und dessen narratives Potential hat auch die jüngere Forschung zum Scrapbook erweitert. Mehr noch als das Fotoalbum ist das Scrapbook eine kreative im 19. Jahrhundert vor allem im angelsächsischen Raum von Frauen genutzte multimedial angelegte Form des individuellen Ausdrucks.[13]
Archiv- und Sammelgut ›Fotoalbum‹
Auch wenn sie einmal mit viel Emotionalität angelegt wurden und eine besondere Rolle in Familiengeschichten spielten, sind die meisten Alben in Vergessenheit geraten, zum Strandgut der Geschichte geworden. So verdanken viele Alben ihre Erhaltung oft SammlerInnen, die zunächst nur an ihre Aufbewahrung (und damit ›Rettung‹) dachten. Das mag auch auf den umfangreichen Bestand an Fotoalben der Agentur akg-images zutreffen, der auf eine Initiative ihres Gründers Wilfried Göpel [1908–1990] zurückgeht und durch kontinuierliche Zukäufe über mehrere Jahrzehnte seit der Gründung der Agentur 1945 [als Archiv für Kunst und Geschichte] angewachsen ist. Auch Wilfried Göpels Sohn Justus Göpel führte als sein Nachfolger in der Geschäftsführung den Aufbau der Sammlung weiter. Er ergänzte die bereits vorhandenen Stücke durch Funde auf Trödelmärkten und Antiquariaten und ersteigerte besondere Alben auf Auktionen. Bis heute ist auf diese Weise ein Bestand von rund 700 Alben zusammengekommen. Nach einer groben Charakterisierung sind etwa eine Hälfte davon Prunk-, Reise-, und Souveniralben aus der Zeit von 1850 bis 1900, die anderen Familien-, Reise-, Vereins-, Kriegs- und Knipseralben aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gesammelt worden sind die Alben nicht nach bestimmten Kriterien oder im Hinblick auf eine spätere Verwendung. Es scheint, dass vor allem der Impuls ausschlaggebend war, sie vor dem Vergessen und dem Verfall zu bewahren. Jedenfalls scheinen für Wilfried Göpel Fotoalben schon sehr früh sammelwürdige Objekte gewesen zu sein, obwohl ihr wachsender Bestand kommerziell kaum nutzbar war. So sind in der Vergangenheit nur bei speziellen Anfragen oder zu bestimmten Ereignissen Alben inventarisiert, bearbeitet und vereinzelt digitalisiert worden. Seit etwa einem Jahr findet nun eine systematische Sichtung, Aufarbeitung und Digitalisierung des vorhandenen Bestandes statt. Der Fokus liegt dabei mit Blick auf die spätere auch kommerzielle Nutzung, zuerst auf dem Einzelbild, wenngleich die Fotoalben als Bücher betrachtet und ihre strukturellen und narrativen Besonderheiten festgehalten werden. Dokumentiert werden etwaige Entdeckungen oder spannende Albenfunde auch in dem firmeneigenen Blog (https://blog.akg-images.com). Hinzu kommen Anregungen zu einer anderen Sicht auf das Fotoalbum und seine Bestandteile.
Die im Jahr 2000 erworbene Archie Miles Collection bietet über den bisherigen Bestand hinaus einen reichen Fundus an Fotoalben mit Aufnahmen englischer Ateliers des 19. Jahrhunderts. Digital sind davon eine Reihe von Einzelfotos und auch einige Ansichten von Alben erfasst. Um einen Überblick über andere in Deutschland vorhandene Sammlungen an Fotoalben zu gewinnen, auch um die Alben bei akg-images im Kontext dieser Bestände betrachten zu können, habe ich mich Ende letzten Jahres mit einer E-Mail-Umfrage an ausgewählte Institutionen gewandt. Ich nahm dafür Kontakt zu Stadt-, Firmen- und Bildarchiven auf, zu Museen mit kultur- und medienhistorischen, kulturanthropologischen und historischen Schwerpunkten und zu einigen Regionalmuseen und PrivatsammlerInnen. Neben Fragen nach dem Umfang der vorhandenen Sammlung, ihren Schwerpunkten, den Zeiträumen der Erwerbung, den Kriterien der Aufnahme des Sammlungsgutes und dessen Integration in den Bestand des Hauses, interessierte mich vor allem der jeweilige museologische und wissenschaftliche Umgang mit dem Medium ›Fotoalbum‹, dabei besonders dessen Erschließung und potentielle digitale Aufarbeitung. Wurde das Album als Objekt fotografisch erfasst? Sind Einzelbilder, einzelne Seiten oder ganze Alben digitalisiert worden?
Es wird an dieser Stelle nur möglich sein, einen ersten groben, nicht auf Vollständigkeit hin angelegten Überblick über die Ergebnisse dieser Umfrage zu geben. Deutlich wird dabei vor allem die Diversität der vorhandenen Sammlungen. Nur in den wenigsten der in den Blick genommenen Institutionen gibt es explizite Sammlungen von Fotoalben. Existieren größere Sammlungen, so sind sie meist Teil des Fotobestandes. Häufig finden sich Fotoalben aber auch unter den Archivalien persönlicher Nachlässe und sind in den Bestand des Hauses nicht medienspezifisch integriert, sondern dem jeweiligen Nachlass zugeordnet. Die Akademie der Künste Berlin, die vorwiegend Archive von KünstlerInnen betreut, verwahrt schätzungsweise 2100 Fotoalben, die aus dem persönlichen Besitz der KünstlerInnen stammen und deren Archiv zugeordnet sind. Das zum Bestand der Akademie gehörige Archiv von Walter Kempowski dürfte mit den rund 1400 vorhandenen Alben eines der umfangreichsten seiner Art in Deutschland sein.
Große öffentliche Sammlungen historischer Fotoalben befinden sich unter anderem im Deutschen Historischen Museum, im Museum Europäischer Kulturen [SMB], im Deutschen Technikmuseum, im Museum für Fotografie [SMB], in der Deutschen Fotothek, dem Jüdischen Museum Berlin und im Museum Ludwig in Köln. Wo Sammlungen nicht auch auf Altbeständen basieren, sind Fotoalben gezielt meist erst ab Mitte der 1960er Jahr erworben und durch Schenkungen und Nachlässe ergänzt worden. Besonders die Bestände von Regionalmuseen gehen auf Ankäufe oder Schenkungen einzelner Alben von Privatpersonen zurück. Das Deutsche Historische Museum sammelt Zeugnisse deutscher Geschichte im europäischen Kontext. Der Schwerpunkt der Sammlung von Fotoalben liegt auf der Zeit des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Die insgesamt knapp 1240 vorhandenen Fotoalben (darunter auch 45 leere Exemplare), finden sich sowohl in der Dokumenten- und der Fotosammlung, wie auch in der Sammlung zur Alltagskultur des Hauses. Sie sind vollständig inventarisiert und digitalisiert, wobei, um Aufwand und Datenmenge zu reduzieren, nur Beispielseiten erfasst wurden.
Das Sammlungskonzept des Museums für Fotografie [SMB] berücksichtigt alle Ausdrucksweisen und Gebrauchsformen der Fotografie und so finden sich unter dem Sammelgut des Museums auch 587 Fotoalben aus dem Zeitraum von 1865 bis 2016, dabei sind 137 Postkartenalben und 75 Alben mit fotografischen Kunstreproduktionen [Hanfstaengl] wie 315 Alben mit Messbildern. Erfasst und digitalisiert ist erst ein Teil des Bestandes. Grundsätzlich werden Digitalisate des Einbands und Ansichten einzelner Seiten der Alben angefertigt, in einigen Ausnahmefällen auch Filmaufnahmen. Die Erschließung der Alben geschieht in Abhängigkeit vorhandener finanzieller und personeller Ressourcen, oft auch im Zuge der Vorbereitung von Ausstellungen und Publikationen des Museums.
Die vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert stammenden Alben im Kölner Museum Ludwig sind unterschiedlichen Beständen zugeordnet. Sie finden sich vor allem in den vom Museum in den zurückliegenden Jahrzehnten erworbenen Sammlungen, wie etwa der des Fotografen Robert Lebeck oder der von Chemiker Erich Stenger zusammengetragenen, später von der Agfa übernommenen und als Agfa-Historama gezeigten Sammlung. Das älteste und prominenteste darunter dürfte das 1843/44 von Henry Fox Talbot zusammengestellte und Alexander von Humboldt geschenkte und gewidmete Album sein. Aus der ehemaligen Sammlung Lebecks stammen die bekannten 18 privaten Alben der österreichischen Kaiserin Elisabeth [Sisi], die 1994 vom Museum angekauft wurden. Neben Pracht- und Reisealben zählen auch Firmenalben und Alben mit Polaroidfotos von Andy Warhol zum Bestand des Museums. Von den insgesamt etwa 450 vorhandenen Fotoalben sind bisher kaum mehr als fünf bis zehn Prozent erschlossen. Ermöglicht durch Sponsoren- und Fördergelder werden die Bestände kontinuierlich weiter aufgearbeitet, digitalisiert und online zugänglich gemacht. Dabei werden grundsätzlich zunächst Einzelbilddaten recherchiert, dann Albumseiten und Einband fotografisch erfasst und den bereits angelegten Datensätzen hinzugefügt.
Der aus den Jahren 1860 bis 1980 vorwiegend aus einstigem Privatbesitz stammende Albenbestand des Jüdischen Museums in Berlin umfasst rund 500 Exemplare. Die Fotoalben sind eine bedeutende Quelle zur jüdischen Kultur und Geschichte in Deutschland wie zu der in den Ländern der Emigration. Entsprechend hoch bewertet heute das Museum deren laufende Aufarbeitung und Digitalisierung. Soweit erfasst und digitalisiert ist der Bestand online über die Internetseite des Museums verfügbar. Zum Bestand des Deutschen Technikmuseums gehören zwei größere Sammlungen von Fotoalben, einmal 396 Alben aus dem Bestand des ehemaligen Firmenarchivs der AEG-Telefunken und, als Teil der Fotosammlung des Museums, 563 weitgehend erschlossene Alben zur Technikgeschichte und zum Verkehr aus der Zeit von 1860 bis 1991. Dieser Bestand wird seit 1983 kontinuierlich erweitert. Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind beide Sammlungen über das Onlinefindbuch recherchierbar. Das Museum Europäischer Kulturen [SMB] verfügt über einen seit den 1970er Jahren wachsenden Bestand von rund 600 Fotoalben. Darunter sind Reisealben, Familien- und Prachtalben aus den 1870er bis 1910er Jahren wie auch Fotoalben aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Etwa 90 Prozent des Bestandes sind inventarisiert und katalogisiert, rund 10 Prozent davon auch digital erfasst. Die rund 400 Knipseralben der ehemaligen Privatsammlung Timm Starls gehören heute zum Bestand des Münchner Stadtmuseum. Zum Sammlungsgut des Museums zählen darüber hinaus rund 240 weitere Alben meist mit Fotografien bekannter Fotografen des 19. Jahrhunderts, wie etwa Franz Hanfstaengl, Josef Albert, Giorgio Sommer, Kusakabe Kimbei und andere. Die digitale Erfassung der Alben ist in Arbeit.
Objekt ›Fotoalbum‹
Die fachgerechte Archivierung von Fotoalben erfordert einigen Platz und dazu besondere klimatische Lagerbedingungen. Auch das gehört zu den Gründen, die Museen bewegen, von der Aufnahme von Fotoalben abzusehen. Daneben bleibt die Frage, ob und welche Alben überhaupt erhaltenswert sind. Eine Frage, die auch heute weiter kontrovers diskutiert wird. Erfassung und Digitalisierung von Fotoalben stellen eine Herausforderung dar. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es bis dato dafür in den meisten Institutionen keine kontinuierliche und einheitliche Strategie. Fotoalben sind bisher überwiegend nur in Teilen erfasst worden, nicht selten nur durch die Aufnahme einiger weniger Beispielseiten. Dass es meist nur im Rahmen von Forschungs- und Ausstellungsprojekten zur Digitalisierung ausgewählter Alben kommt, mag auch an den knappen finanziellen und personellen Ressourcen der Museen und Archive liegen.
Die Objekthaftigkeit des Fotoalbums, wie auch deren unterschiedliche Erscheinungsformen, erschweren deren Präsentation in Ausstellungen. Die Maßgabe, das Exponat vor unsachgemäßer Behandlung zu schützen, verhindert den üblichen Umgang mit dem Fotoalbum. Gezeigt wird meist nur das aufgeschlagene Album, also eine Doppelseite. Neben der Präsentation von Alben in Vitrinen oder Schaukästen und der aufwendigen Reproduktion besonders wichtiger Stücke, erscheint die Ermöglichung des Blätterns durch ein Digitalisat als neue interaktive Form der Aneignung von Fotoalben. Schließlich sollte die digitale Aufarbeitung eines Bestandes zu dessen Erhalt und Sicherung beitragen. Überdies wäre, sollten Bestände und Konvolute getrennt worden sein, damit die Möglichkeit einer erneuten virtuellen Zusammenführung durch die Vernetzung vorhandener Datenbanken gegeben. Wie nicht nur die bekannten Beispiele zeigen, gibt es neben den Beständen in den öffentlichen Institutionen auch größere Privatsammlungen von Fotoalben. Es bleibt allerdings schwierig, solange nicht zentrale Datenbanken eingerichtet sind, mehr über Art und Umfang solcher Sammlungen in Erfahrung zu bringen. Hier wären Initiativen zum Aufbau entsprechender Netzwerke sinnvoll und vielversprechend.
Wie das wachsende Angebot auf deutschen und internationalen Auktionen zeigt, nimmt das Interesse an Fotoalben kontinuierlich zu. Größeren Zuspruch und damit auch höhere Zuschläge erfahren in den letzten Jahren, nach Auskunft einiger Häuser, vor allem Reise- und Kolonialalben. Einen Spitzenplatz nehmen dabei Alben mit Alltagsansichten aus der Kolonialzeit in China ein. Etwa 75 Prozent der Verkäufe gehen ins Ausland, nicht selten in die Länder, wo einmal diese Alben angelegt worden sind. Nachgefragt sind auch Alben aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Hier allerdings, fehlt es immer mehr an ›Besonderheiten‹, so die Sachverständige eines Hauses. Erscheinen Knipser- oder Prachtalben im Auktionsangebot, erzielen diese deutlich geringere Zuschlagspreise.
Trotz der durchaus diversen Sammelstrategien und den nicht immer bedeutenden Beständen an Fotoalben in deutschen Museen und Archiven, zeichnet sich eine stärkere Beachtung des Mediums in den letzten Jahrzehnten ab. Parallel dazu hat auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Fotoalben zugenommen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Bestände werden sich neue Rezeptionsformen ergeben, die auf ein sich wandelndes Medienverhalten und -verständnis der Öffentlichkeit treffen. Gerade mit der Reaktivierung visueller Erzählformen vergangener Zeiten, wie sie sich in den sozialen Medien neu etabliert haben, finden deren ursprüngliche Träger ein neues Interesse. Kaum zufällig ordnen heute NutzerInnen von Mobiltelefonen ihre dort gespeicherten Fotos in ›Alben‹ ein.
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[1]Vgl. Jane Rutherston: Victorian album structures; in: The Paper Conservator, 23:1, 1999, S.13–35, hier S.13f.; Gustavo Lozano: History and Conservation of Albums and photographically illustrated Books, 2007: https://drive.google.com/file/d/1QLHi44PuLByZ7KZAcnAp2ULYHNNxq-QI/view (Zugriff 1.2.2021)
[2]Vgl. Ellen Maas: Ein Photoarchiv im Dienste von Forschung und Lehre, in: Irene Ziehe, Ulrich Hägele (Hg.): Fotos – „schön und nützlich zugleich“ Das Objekt Fotografie, Berlin 2006, S. 223–236.
[3]Ellen Maas (Hg.), Wofgang Brückner: Das Photoalbum 1858–1918. Eine Dokumentation zur Kultur- und Sozialgeschichte, München, 1975.
[4]Vgl. Jürgen Steen: Fotoalbum und Lebensgeschichte, in: Fotogeschichte, Jg. 3, Heft 10, 1983, S. 55–67; Michael Rutschky: Schneider. Sieben Seiten Lektüre eines anonymen Fotoalbums, in: Fotogeschichte, Jg. 8, Heft 27, 1988, S. 40–54.
[5]Vgl. Timm Starl:Zur Inventarisierung von Fotoalben, in: Rundbrief Fotografie, N.F. 9, 1996, S. 29–33.
[6]Timm Starl: Knipser: Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980, München, 1995.
[7]Vgl. Rudolf Herz: Gesammelte Fotografien und fotografierte Erinnerungen. Eine Geschichte des Fotoalbums an Beispielen aus dem Krupp-Archiv, in: Klaus Tenfelde (Hg.): Bilder von Krupp. Fotografie und Geschichte im Industriezeitalter, München 1994, S. 241–267
[8]Cord Pagenstecher: Private Fotoalben als historische Quelle, in: Zeithistorische Forschungen/ Studies in Contempory History 6, Heft 3, 2009, S. 449–463, hier S. 449.
[9]Petra Bopp, Sandra Starke: Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2009.
[10]Kerstin Delang, Simone Fleischer, Katja Leiskau, Marc Rohrmüller, Anne Spitzer, Thomas Stern: Fotoalben in Ausstellung und Forschung, 2018: www.arthistoricum.net/themen/va/geteilte-erinnerungen/das-fotoalbum-seine-geschichte-und-seine-erforschung/fotoalben-in-ausstellungen-und-forschung/ (Zugriff: 2.2.2021)
[11]Brigitte Hamann: Einführung, in: Werner Bokelberg (Hg.): Sisis Familienalbum. Private Photographien aus dem Besitz der Kaiserin Elisabeth, Dortmund 1980, S. 7–26, hier S. 8.
[12] Miriam Szwast: Die Fotoalben der Elisabeth von Österreich-Ungarn: ein visuelles Tagebuch?, in: dies. u. a. (Hg.): Sisi privat. Die Fotoalben der Kaiserin, Köln 2020, S. 2–14, hier S. 4.
[13] Vgl. Ellen Gruber Garvey: Writing with scissors: American scrapbooks from the Civil War to the Harlem renaissance, New York 2013.; Susan Tucker, Katherine Ott, Patricia P. Buckler: The Scrapbook in American Life, Philadelphia 2006.
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