Babett Forster
Die Fotografie in der Künstlerdarstellung
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 159, 2021
Manfred Leve (1936–2012), Dokumentarist der Fluxus-Bewegung und Künstlerfotograf, hat zahlreiche Serien zu Lesungen, Theater und Performances hinterlassen, die größtenteils als SW-Film mit handvergrößerten Abzügen entstanden. 1968 schuf er eine noch recht unbekannte Suite von einunddreißig Aufnahmen von Blinky Palermo (1943–1977), die, angelegt als eine fortlaufende Dokumentation, über die Abfolge von Einzelbildern die künstlerische Praxis des Beuys-Schülers vorstellt und Ansichten der Privatperson liefert. Die Aufnahmen bleiben meist nahe am Porträtierten, der mit und an seinen Werken im Raum des Ateliers oder in einem Wohnbereich am Kaffeetisch agiert. Dass während dieser fotografischen Begleitung eine gewisse Zeit vergeht, wird daran deutlich, dass sich Palermo im Bildablauf sein Jackett aus- und wieder anzieht und dass Zigaretten angezündet und geraucht werden. Die Präsentation der Person und ihrer Handlungen erfolgt also vor allem durch die sukzessive Betrachtung der Bildserie.
Die Bildsequenz ist motivisch und formal geteilt, wie zwei Beispiele verdeutlichen: Die Aufnahmen im Wohnraum zeichnen sich aus durch starke Verschattungen, die Palermo, der sich meist nahe zur Kamera befindet, großflächig umfassen. So blickt Palermo beispielsweise intensiv aus dem Bild zum Fotografen, seine linke Gesichtshälfte und Schulter werden von einer nackten, hell scheinenden Glühbirne beleuchtet, während die überwiegende Bildhälfte in tiefschwarzen Schatten liegt, so dass das Interieur unkenntlich bleibt. Der Künstler, bekleidet mit Anzug, Hemd und Krawatte, tritt genialisch und selbstbewusst aus dem Dunkel hervor. In dieser Aufnahme wird deutlich, warum bei der Person Palermo, die jung verstarb, mitunter von einer mythischen Überhöhung als James Dean der Kunstszene gesprochen wird.
Dagegen thematisieren die am Beginn der Bildreihe stehenden Aufnahmen die Handlungen des Künstlers in seinem Arbeitsraum. Palermo ist auch hier wieder Protagonist, der die Kontrolle über seine Werke ausübt, jedoch auch mitunter von diesen wie umstellt, ja fast erdrückt wirkt. In einer Aufnahme dominieren zwei seiner großformatigen Stoffbilder das Bild, statt weiten Schattenflächen sind es nun die hellen Flächen der Kunstwerke, die den Künstler umgeben. Palermo scheint zu knien und am Rand der Aufspannung eines seiner Stoffbilder zu bearbeiten; sein Mund ist dabei vor Anstrengung oder im Gespräch mit dem Fotografen leicht geöffnet. Vom eigentlichen Atelier ist nicht viel sichtbar, bis auf einen Stuhl, auf dem ein Wecker, eine Handkamera und wohl ein Ilford-Belichtungsmesser aufgestellt sind, sowie ein niedriges Regal, nur angeschnitten sichtbar am rechten Rand.
Leve scheint in seiner Fotoserie das Künstlerporträt zu kombinieren mit dem Atelier als Ursprungsort der Kunstwerke und Ort der künstlerischen Idee. Insbesondere, da Blinky Palermo, der hier als Objektkünstler vorgestellt wird, ohne die klassischen Utensilien des Künstlers zu zeigen ist. Dabei scheint die Herausforderung an den Fotografen darin zu liegen, die großformatigen, farbigen, sonst aber gegenstandslosen Bilder interessant und spannungsvoll zu inszenieren. Der Fokus liegt aber gerade nicht auf der Vorstellung einzelner Werke und damit deren spontaner Wiedererkennbarkeit seitens des Betrachters und auch das Atelier ist als Arbeitsraum des Künstlers nicht einsehbar. Der Blick wird stattdessen auf die Handlungen des Künstlers gelegt. In Anlehnung an die minimalistischen, neo-informellen Werke Palermos reduziert Leve fotografisch den Bildraum und abstrahiert die vorgefundene Wirklichkeit durch die SW-Fotografie.
Die hier nur kursorisch vorgestellte Bildsequenz von Manfred Leve ist gut in die Geschichte der Künstlerdarstellung und der Atelierikonografie einzuordnen und geht gleichzeitig darüber hinaus. Auch in der Fotogeschichte sind einige Beiträge zu dieser Thematik erschienen, die jedoch das Augenmerk auf das 19. und frühe 20. Jahrhundert legen. Einen stärker auf die moderne Fotografie abzielenden Ansatz hatte Michael Klant in einer ersten Skizze zur geplanten Dissertation bereits 1988 vorgestellt, die aber m. W. nie publiziert worden ist. Anknüpfend daran ließen sich die fotografischen Inszenierungsstrategien nachzeichnen und der Stellenwert der Fotografie in der Selbstvermarktung der Künstler befragen. Auch hinsichtlich der Bedeutung der Fotografie als Dokumentationsmittel in der konzeptuellen Kunst wäre es doch an der Zeit, den historischen Blick der Fotogeschichte stärker auf Phänomene der jüngeren Vergangenheit zu lenken. Das erfolgreich etablierte Konzept des Themenheftes bietet dafür ein geeignetes Format.
Literatur:
Michael Klant: Künstler bei der Arbeit. Kontinuität und Wandel eines Bildthemas im Zeitalter der Fotografie, in: Fotogeschichte, Heft 28, 1988, S. 110.
Franz-Joachim Verspohl (Hg.): I don’t make photographs, I take photographs. Photographien 1957–2003 von Manfred Leve, Jena, Köln 2004.
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