Ulrike Matzer
Fotografie und Geologie
Von wunderbarer Klarheit. Friedrich Simonys Gletscherfotografien 1875–1891, hg. von Magdalena Vuković, Wien: Album Verlag 2019, mit Texten von Monika Faber, Andrea Fischer, Friedrich Simony und Magdalena Vuković, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Photoinstitut Bonartes, Wien, 27. September bis 20. Dezember 2019, 104 S., 62 Abb. in Farbe und s/w, 18,90 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte 156, 2020
Dass das Eis nicht mehr ewig ist, wurde spätestens im Zuge des globalen Klimawandels offensichtlich. Gerade Gletscher führen Änderungen des Klimas besonders deutlich vor Augen. Sie gelten als verlässliche Indikatoren, was die Vergangenheit wie auch die Zukunft betrifft. Eisbohrkerne erlauben es, die Zusammensetzung der Erdatmosphäre über Jahrtausende zu rekonstruieren. Und anhand historischer Gemälde, Zeichnungen und Fotografien lässt sich augenscheinlich belegen, dass die Alpengletscher in den letzten 150 Jahren um ein Drittel ihrer Fläche zurückgegangen sind. Der ab 1840 tätige Geograf Friedrich Simony betrachtete Gletscher seinerzeit schon als „wandelbarste aller starren Gebilde der Erdoberfläche“ und suchte dies mit verschiedensten Mitteln zu visualisieren – obwohl er damals mit seiner Ansicht noch ziemlich alleine stand.
Magdalena Vukovic arbeitet eben jene Aktualität von Simonys wissenschaftlicher Praxis im Begleitkatalog zur gleichnamigen, von ihr kuratierten Schau heraus. Wie kein anderer im deutschsprachigen Raum hatte Friedrich Simony Zeit seines Lebens geomorphologische Untersuchungen betrieben. Auf sein umfassendes Bild- und Datenmaterial wird selbst in der heutigen Glaziologie noch zurückgegriffen. Dadurch, dass er sich wesentlich auf den Dachstein konzentrierte und dort jahrzehntelang konsequente Analysen betrieb, gilt das Gebiet weltweit als eines der am besten dokumentierten. Sein äußerst breit gefächertes Wissen hatte Simony an diesem Modellfall mit einer Stringenz sondergleichen vertieft.
Als Universalgelehrter Humboldt’scher Prägung repräsentiert er zugleich eine neue Generation von Naturforschern, deren Tun sich in Einzeldisziplinen aufzufächern beginnt. Nach einer Apothekerlehre entschied er sich 1835 für das Studium der Naturwissenschaften in Wien, Geografie als eigenes Fach existierte an der damaligen Universität noch nicht. Bald aber wurde Simony zur treibenden Kraft in diese Richtung. Noch als Student erkundete er die Berge im Umland von Wien und dokumentierte sie eifrig in Skizzen. Bald zog es ihn ins wesentlich höher gelegene, damals noch kaum erschlossene Dachsteingebiet, das fortan das Zentrum seiner wissenschaftlichen Aktivitäten bildete. Er begann es zu kartografieren, sammelte Proben des Gesteins und der Flora – um sich davon ausgehend auf die Bewegungen des Eises zu fokussieren.
Damals nämlich kam in der Geologie gerade die These einer vorgeschichtlichen Eiszeit auf, was in der Fachwelt zu heftigen Konstroversen führte. Der 1840 erschienene Band des Naturforschers Louis Agassiez, Études sur les glaciers, widmete sich den Spuren einstiger Eisschichten über den Alpen, wie Findlingen, Moränen oder Gletscherschliffen. Simony machte wenig später ähnliche Residuen in Österreich aus. Landschaft war für ihn das Resultat lange zurückliegender Prozesse. Systematisch untersuchte er vor allem geomorphologische Erscheinungen und hielt sie in unzähligen Zeichnungen fest. Mit dieser Fähigkeit zur Visualisierung und zur Wissensvermittlung konnte er punkten, als er sich 1851 um eine Professur bewarb. Als erster Ordinarius für Geografie in Wien legte er ungewöhnlich hohen Wert auf einen bildbasierten Unterricht, sein Plädoyer für das Bild hat die Lehre nachhaltig verändert und im Grunde bis heute geprägt.
Mit Interesse verfolgte Simony auch die Entwicklung fotografischer Verfahren. In den 1850er- und 1860er-Jahren waren diese noch mit großen Schwierigkeiten behaftet, zumal unter den widrigen Wetterumständen im Gebirge. Expeditionen zu Aufnahmezwecken waren zudem teure Unterfangen; die Gebrüder Bisson und Gustav Jägermayer trieben ihre fotografischen Vorhaben in den Ruin. Sie brachten allerdings beide nur je ein einziges Set künstlerisch ansprechender Bilder mit. Friedrich Simony dagegen war an einer „wissenschaftlich verwertbaren Landschaftsfotografie“ gelegen. Er wählte nicht den optimalen Bildausschnitt, sondern dokumentierte bestimmte Stellen über Jahre und Jahrzehnte hinweg immer wieder, um aus dem Vergleich der Motive seine Schlüsse zu ziehen. Besondere Aufmerksamkeit widmete er dem Karlseisfeld, dem heutigen Hallstätter Gletscher. Relativ spät, im Jahr 1875 (er war schon über sechzig), nahm er erstmals einen Fotografen auf den Dachstein mit. Mit dem geübten Blick des Zeichners wählte Simony die Motive und wies den Kollegen hinter der Kamera entsprechend an. Detailtreu, präzise und effektiv hielt er so diverse geomorphologische Phänomene fest, 1877 war seine erste „photographische Durchforschung des Dachsteingebietes“ beendet. Simony wusste seine Bilder auch überzeugend in den wissenschaftlichen Diskurs seiner Zeit einzubringen, indem er die Publikation der Aufnahmen forcierte. Nach einem ersten, im Eigenverlag herausgebrachten Mappenwerk begann er selbst zu fotografieren und testete die je neuesten fotomechanischen Druckverfahren wie die Heliogravüre und Autotypie auf ihre Wirkung. Seine nimmermüden Anstrengungen auf diesem Gebiet mündeten letztlich in die überaus reich bebilderte dritte Lieferung seiner „Dachstein-Monographie“ (wie er sie nannte) – sein Opus Summum, das 1895, kurz vor seinem Tod, erschien.
Bemerkenswert an Simony ist, dass er die Fotografie schon früh als das Darstellungsmedium der Zukunft begriff. Seine einschlägigen Schriften zur Fotografie sind auch heute noch mit Gewinn zu lesen (einer seiner Artikel über die wissenschaftliche Verwertung der Landschaftsfotografie ist im Ausstellungskatalog abgedruckt). Sie geben Einblick in die Sichtweise eines Geografen, der sich fotografische Techniken anzueignen beginnt und über ihr erzieherisches und epistemisches Potenzial reflektiert. Aufschlussreich für jegliche heutige Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Bildern ist sein differenzierter Einsatz der Medien Zeichnung und Fotografie. Wie kaum ein anderer seiner Zeit praktizierte er von Anfang an verschiedenste Darstellungsformen, um geologische Sachverhalte zu visualisieren – sein mehrere Quadratmeter großes Aquarell, ein Kompositbild aller wichtigen Gletschererscheinungen, bildet das beste Beispiel dafür. Dass er besonders dem fotografischen Bild eine Autonomie zusprach, dass er ästhetischen und wissenschaftlichen Anspruch miteinander verband, macht ihn gerade heute (wieder) so interessant.
Sowohl der Gegenstand seiner Forschung wie die angewandten Visualisierungsmethoden sind nach wie vor aktuell, wie die renommierte Glaziologin Andrea Fischer in ihrem Beitrag bestätigt. Sie gibt Einblick in die Praxis heutiger Gebirgs- und Gletscherforschung, die sich zusätzlich auch auf Laserstrahlen und Mikrowellen stützt, um Landschaftsabschnitte abzubilden. Freilich machen Technologien wie diese Details noch besser erfassbar, und von oben aufgenommene Bilder wie Satelliten-, Flugzeug- oder Drohnenaufnahmen dienen nun als zusätzliches Material. Doch im Prinzip unterscheiden sich diese bildgebenden Verfahren nicht von Simonys Methode einer vergleichenden Beoabachtung und einer je spezifischen, dem wissenschaftlichen Zweck dienenden „Optimierung“ der Bilder. Und das noch heute am Hallstätter Gletscher laufende extensive Monitoring-Programm verdankt sich der jahrzentelangen akribischen Forschung dieses Pioniers.
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