Linus Rapp, Steffen Siegel
Fotografie und Design. Editorial
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 152, 2019
Seit jeher haben Menschen gestaltet. Kaum eine Handlungsweise lässt sich in so allgemeinem Sinn auffassen, zugleich aber auf so Unterschiedliches beziehen: Wir gestalten nicht allein Objekte, sondern auch die uns umgebenden Räume, unsere Umwelt, unsere Beziehungen untereinander. So pauschal sich solche Redeweisen bei erstem Hinhören ausnehmen, ebenso deutlich bringen sie zugleich zum Ausdruck, wie grundlegend gestalterische Praktiken tatsächlich sind.
Gerade zu jener Zeit, da die ersten fotografischen Verfahren in Umlauf kamen, zogen auch Fragen der Gestaltung ein erneuertes Interesse auf sich. Als ein Neologismus kommt das aus der italienischen Kunsttheorie entlehnte Wort ‚design‘ zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Umlauf (neben dieser englischen Version existierte lange auch die französische Variante ‚dessin‘). Dabei zeichnet sich ein wichtiger Schritt in der Geschichte der Gestaltung ab. Verbunden sind hiermit spannungsvolle Vorstellungen von Formgebung, denen sich auch die Fotografie von Anbeginn an ausgesetzt sah. Fotografische Bilder wie Designobjekte stehen in enger Verbindung zur, massenindustriellen Produktion. Auf besonders prägnante Weise sind sie sichtbarer Ausdruck der (früh-)kapitalistischen Moderne. Doch geben beispielhaft sowohl der Piktorialismus als auch das Arts and Crafts Movement zu erkennen, dass Fotograf*innen wie Designer*innen eine große Nähe zu individuell-handwerklicher Arbeit und künstlerischem Anspruch suchen konnten.
Auch im Lauf des 20. Jahrhunderts haben sich solche Spannungen keineswegs aufgelöst. Anhand verschiedener Gegenstände untersuchen die Beiträge unseres Themenheftes „Fotografie und Design“ vielmehr, in welcher Weise sich industrielle und künstlerische Produktionsweisen miteinander vermitteln ließen. Reproduktion ist hierbei ein konzeptueller Schlüssel, um die beiden von uns im Titel des Heftes verkoppelten Begriff miteinander in Beziehung zu setzen. Die von uns in den Blick genommenen Jahrzehnte zwischen 1920 und 1970 lassen sich als ein Zeitalter der Masse beschreiben: Lange vor den uns heute so machtvoll prägenden Phänomenen der Digitalisierung entfalteten sich die weit älteren Prozesse der Industrialisierung und der Globalisierung auf eine bis dahin nicht gekannte Weise. Zu Massenproduktion und Massenabsatz treten neue Massenmedien und neue Formen der Massenkommunikation.
Kein Zufall ist es daher, dass die designgeschichtliche Forschung danach fragt, in welcher Weise sich hierdurch die Gestaltung von Alltags- und Gebrauchsgegenständen, von Architektur und Wohnräumen, von bildhaften Mitteilungen und Kommunikationsdesign verändert hat. Aus unserer Sicht wurde aber viel zu selten danach gefragt, welche Rolle fotografische Bilder in solchen Prozessen spielten. Zunächst einmal sind Fotografien ihrerseits Gegenstände der Gestaltung. Die durch Josef Maria Eder betriebene Gründung der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien verdankt sich nicht zuletzt dieser einfachen Tatsache. Noch immer existiert an zahlreichen Hochschulen das Unterrichtsfach „Fotodesign“. Sodann aber steht mit Fotografien ein Medium zur Verfügung, mit dessen Hilfe sich die gesamte Vielfalt des Designs nicht allein zeigen und vermitteln, bewerben und vermarkten, sondern nicht zuletzt auch kritisch reflektieren lässt. Beschrieben ist damit die Reichweite der hier versammelten Beiträge. Ihnen allen gemeinsam ist ein doppelter Blick auf die Fotogeschichte des Designs: Wir interessieren uns für Fotografien der Gestaltung wie auch für Fotografien als Gestaltung. Beide Aspekte lassen sich nicht voneinander trennen.
Mit den insgesamt fünf Beiträgen wird ein thematischer Bogen geschlagen, der vom Deutschen Werkbund bis zur Ulmer Hochschule für Gestaltung reicht. Hierbei kommen Designobjekte sehr unterschiedlicher Art in den Blick: Gebrauchsgegenstände des täglichen Bedarfs (vom Salzstreuer bis zum Stahlrohrmöbel), Innenräume von Wohnungen, Zeigeordnungen von Ausstellungen, das Kommunikationsdesign einer internationalen Großveranstaltung. Ähnlich weit gespannt ist hierbei das Spektrum an Medien, in denen sich das Verhältnis von Fotografie und Design beobachten lässt: Wir untersuchen Zeitschriften und Bücher, Plakate, Broschüren und Postkarten, schließlich auch Ausstellungspanels und Kataloge. Gerade anhand einer solchen Breite wird deutlich, wie wesentlich sowohl Fotografien als auch Designobjekte für die soziale Interaktion sind. Gerade weil die Geschichte der kulturellen Moderne durch das Zusammenspiel von Fotografie und Design so nachdrücklich geprägt worden ist, wollen wir mit dem vorliegenden Themenheft dazu einladen, dieser Interaktion künftig noch größere Beachtung zu schenken.
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