Anton Holzer
Editorial, Heft 85/86, 2002: Krieg und Fotografie
Erschienen in: Fotogeschichte 85/86, 2002
Die Überlegungen für ein Themenheft "Krieg und Fotografie" gehen auf die Zeit nach dem 11. September 2001 zurück. Mittlerweile ist dieses Datum nicht nur in den USA zur bedeutungsschweren symbolischen Zäsur geworden. Es wurde geradezu zur Epochengrenze in der Geschichte des Krieges erklärt. Was bedeutet dieses Ereignis, das von seiner medialen Reproduktion nicht zu trennen ist, für das Verhältnis von Fotografie und Krieg" Hat der Krieg des 21. Jahrhunderts, der gern als bilderloser Krieg bezeichnet wird und der mehr denn je als Medienkrieg geführt wird, das Verhältnis von Bild und Ereignis grundlegend verändert"
Fotografien des Krieges sind – vielleicht deutlicher als andere Bilder – umstrittene Dokumente. Mehr noch als andere Fotografien spielt bei Kriegsfotografien die Perspektive, aus der heraus sie aufgenommen wurden, eine wichtige Rolle. Zu Beginn der Kriegsfotografie freilich hatte der Fotograf sich noch nicht eindeutig im Gelände Stellung bezogen. Die Mehrzahl der Fotografien, die während des mexikanisch-amerikanischen Krieges (1845) entstanden sind Porträts von Offizieren. Auch Roger Fenton, der als einer der ersten fotografischen Kriegsberichterstatter während des Krimkrieges unterwegs war, interessierte sich mehr für Offiziersporträts als für Schlachtenbilder. Eher selten kommt bei Fenton das Schlachtfeld selbst in den Blick. 1855 machte er eine dieser Aufnahmen: ein menschenleeres Gelände, durch das ein Weg führt. Auf und am Weg liegen Kanonenkugeln. Das Foto wurde unter dem Titel "Tal des Todesschattens" bekannt.
Im Ersten Weltkrieg verschanzt sich der Blick des Fotografen zunehmend mehr im Gelände. Der Fotograf hat längst Partei ergriffen in der Auseinandersetzung, die sich vor seinen Augen abspielt. Es entstehen jene Kriegsbilder, die seither klassisch geworden sind: Aufnahmen aus dem Schützengraben, vorstürmende Soldaten, verwüstete Landschaften der Schlacht. Tatsächlich aber ist dieses Bild des Krieges mindestens ebenso in den Redaktionen der neuen Bildmedien entstanden als an der Front selber. Die Tendenz zur Dramatisierung eines langen Stellungskrieges ist darüber hinaus ohne die öffentliche Bildpolitik der 20er und 30er Jahre nicht zu verstehen. Das Bild des Ersten Weltkrieges hat sich in den – sehr oft nationalistisch und revanchistisch angehauchten – Bildbänden der Zwischenkriegszeit verdichtet. Aus der Fülle der Bilder wurden jene ausgewählt, die das Image eines heroischen Krieges stärkten. Andere Aufnahmen wurden verdrängt. Nur so ist es zu erklären, dass die Bildüberlieferung auf einen Kanon relativ weniger Aufnahmen beschränkt blieb, die immer wieder abgedruckt wurden. In diesem Spektrum fanden der Krieg in Osteuropa weit weniger Platz als die Kämpfe im Westen. Weniger beachtet wurden auch jene auf den ersten Blick unscheinbaren Fotografien, die an der Heimatfront oder im Hinterland entstanden. Ausgeblendet wurden unspektakuläre Bildserien in privaten Alben aber auch die Masse jener Aufnahmen, die die Zensur aus der Öffentlichkeit verbannt hatte.
Die Menge überlieferter Kriegsbilder ist mittlerweile unüberschaubar geworden. Und dennoch ging die Massen-Fotografie des Krieges einher mit der Tendenz nach Einschränkung des Blickfeldes. Mindestens zwei Tendenzen sind mit dieser Entwicklung verknüpft. Auf der einen Seite die Zensur, auf der anderen Seite die Rolle der Bildberichterstattung in den Massenmedien. Richard von Damaschka, der 1916 in seinem "Leitfaden für Kriegsphotographen und Amateure im Felde" die Wichtigkeit der Fotografen im Krieg betont hatte, schränkte sogleich ein: "Selbstverständlich können Bilder von Fortifikationen, Geschützen im großen Maßstabe oder nur Teile derselben, ebenso grauenerregende Schlachtfeldaufnahmen nicht freigegeben werden. Es ist auch nicht zulässig," schreibt er weiter, "Bilder zu veröffentlichen, aus denen unsere Gegner über die Lage der Stellungen Schlüsse ziehen können, was namentlich im Gebirge durch charakteristische Bergformen, die mit im Bilder erscheinen, der Fall sein könnte." Der Erste Weltkrieg hat nicht nur der Kriegsfotografie, sondern auch der Bildzensur einen gewaltigen Schub versetzt. Zwar wurden Kriegsbilder bereits im russisch-japanischen Krieg (1904/05) und im Balkankrieg (1912/13) von militärischen Stellen zurückgehalten, aber systematisiert wurde die Zensur der Fotografie im Ersten Weltkrieg. Acht Jahrzehnte später – im Afghanistankrieg – fanden wir in der manchen Zeitungen einen Satz, der seit Anfang Oktober 2001 mehrere Wochen lang am Ende der Berichterstattung abgedruckt wurde: "In eigener Sache: Zensur: Wesentliche Informationen über die aktuellen militärischen Aktionen und ihre Folgen unterliegen einer Zensur durch diejenigen Stellen der beteiligten Konfliktparteien, von denen sie verbreitet werden. Eine unabhängige Überprüfung solcher Angaben ist der Redaktion in vielen Fällen nicht möglich."
Im vergangenen Jahrhundert wurden dennoch unzählige Kriegsbilder veröffentlicht. Seit dem spanischen Bürgerkrieg hat sich eine neue Form der Fotoberichterstattung herausgebildet: Fotografen "erbeuten", möglichst an vorderster Front, im Auftrag auflagenstarker illustrierter Magazine spektakuläre Aufnahmen oder Aufnahmeserien. Eines dieser Bilder ist Robert Capas Bild des angeschossenen Soldaten (1936). Das Gegenstück dazu bilden Kriegsopfer – oft Frauen und Kinder – in dramatischer Großaufnahme. In der ästhetischen Tradition dieser Bilder, die den Krieg zu einem ausdrucksstarken Augenblick verdichtet, bewegten sich seither zahlreiche andere Kriegsbilder, vom Koreakrieg, über den Algerien- bis hin zum Vietnamkrieg. Und natürlich gibt es derartige Bilder auch vom "bilderlosen Krieg" in Afghanistan. Sie stammen fast zur Gänze von Agenturen oder aus militärischen Quellen. Private Aufnahmen wurden bisher kaum veröffentlicht. Von den Kämpfen selbst, vor allem dann, wenn amerikanische Truppen beteiligt sind, gibt es nur Aufnahmen aus großer Entfernung. Oft sind es unscharfe Bilder.
Die ersten Fotos von toten Soldaten aus dem Afghanistan-Krieg, die in westlichen Medien veröffentlicht wurden, waren nicht amerikanische Soldaten, sondern besiegte Talibankämpfer. Ihre Gegner: Kämpfer der Nordallianz. Diese Aufnahmen bedienten sich nicht zufällig einer ausgesprochen archaischen Symbolik. Die siegreichen Soldaten der Nordallianz setzen ihren Fuß auf den Kopf des getöteten Taliban-Kämpfers (Abb. 1 und 2). Es handelt sich hier um anonyme Agenturbilder. Der Name des Fotografen bleibt im Hintergrund. Vielleicht treten, wenn diese Bilder Eingang gefunden haben in die visuelle Chronik des jüngsten Krieges, die Fotografen als "Künstler" aus dem Schatten ihrer Auftraggeber.
Diese Fotografien lassen den Eindruck eines Zweikampfes entstehen, eines Bürgerkrieges Mann gegen Mann, in dem Begriffe wie "Ehre" und "Rache" auf dem Spiel stehen. Diese Bilder schieben sich vor den tatsächlich stattfindenden High-Tech-Krieg, der vor allem aus der Luft geführt wird, und für den es nur wenige Bilder gibt. Es ist fast so, als ob der fundamentalistische Bildersturm der Taliban sich mit dem militärischen Bilderverbot des Westens verbündet hätte. Wir sehen zwar Bilder des Krieges, aber wir erkennen darauf nicht viel.
Dieses Heft versammelt Beiträge von Autoren, die das Verhältnis von Krieg und Fotografie zwar an historischen Ereignissen festmachen, darüber hinaus aber an der Geschichtlichkeit der Bilder selbst interessiert sind. Um die Bilder des Krieges lesen zu können, ist nicht nur eine sorgfältige Quellenkritik notwendig, sondern es ist auch die politische und mediale Überlieferungsgeschichte von Belang. Gerade weil Fotografien vom Krieg umstrittene Dokumente sind, ist nicht nur die Frage ihrer Entstehung, sondern auch jene nach der Geschichte ihrer Aufbewahrung und Tradierung und besonders nach der Politik ihrer Veröffentlichung von zentraler Bedeutung. Die Autoren fragen unter anderem nach der kollektiven und individuellen Überlieferung von Fotografien. Wer hat die Bilder wo und wann in Händen gehalten" Welche Fotos wurden verräumt, verborgen, welche veröffentlicht und ausgestellt, welche eigneten sich dafür, in die Erzählungen des Krieges eingebaut zu werden und welche gerieten in Vergessenheit"
Fotografien des Krieges sind, wie auch andere Objekte der Geschichte, Relikte aus einer vergangenen Zeit. Von Zeit zu Zeit aber werden sie hervorgeholt. Und es zeigt sich, dass sie nicht nur aufgezeichnet haben, was war, sondern dass sie, im Dienst unterschiedlicher Interessen, eingreifen in die Politik der Erinnerung. Am vorläufigen Ende einer solchen Reihe von Einsätzen kann die Stellwand einer Ausstellung stehen, die sich mit den "Verbrechen der Wehrmacht" auseinander setzt. Oder es kann sich der Schuhkarton eines ehemaligen Soldaten öffnen, der seine Fotografien aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges darin aufbewahrt hat. Stellwand und Schuhkarton lassen Jahre und Jahrzehnte nach dem Krieg Fotografien in neuer Bedeutung zum Vorschein kommen. Es sind andere Bilder als jene, die von ihren Besitzern bis zum Kriegsende sorgsam verwahrt wurden.
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