Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Katja Böhlau

Ein gebrochenes Verhältnis?

Männlichkeiten in der Modefotografie der DDR

Dissertation, Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, DFG-Graduiertenkolleg „Das fotografische Dispositiv“, Betreuerinnen: Prof. Dr. Katharina Sykora und Prof. Dr. Gertrud Lehnert, Beginn: Oktober 2016,  Kontakt: k.boehlau(at)web.de

 

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 148, 2018

 

Die Modefotografie der DDR wird heute vor allem mit der zwischen 1956 und 1995 erschienenen Sibylle verbunden, einer Zeitschrift für Mode und Kultur. Neben Modefotografien zeigte sie Porträts von Arbeiterinnen, Künstlerinnen und kulturschaffenden Frauen, wobei Modebild und Porträt häufig miteinander verschmolzen. Bemerkenswert scheint, dass die Zeitschrift, wie bereits in ihrer ersten Ausgabe angekündigt, „im Zeichen der Gleichberechtigung auch den Herrn der Schöpfung ein Plätzchen“ einräumte.[1] Ein gesondertes Modemagazin für Männer, wie beispielsweise die seit 1984 in München herausgegebene Männer Vogue, gab es in der DDR bis zu ihrem Ende nicht. Das Promotionsprojekt beschäftigt sich mit der fotografischen Inszenierung von Männermode in der DDR, ein auch in den bisherigen Ausstellungen und Publikationen zur Sibylle weitgehend ausgespartes Kapitel.

„Warum haben so viele Männer ein gebrochenes Verhältnis zur Mode?“ fragt der einleitende Artikel in einem der Sonderhefte zur Männermode der Zeitschrift Sibylle von 1974.[2] Warum war es ein gebrochenes Verhältnis? Wie gestaltete sich die Präsentation von Männermode in der Modefotografie in der DDR? Um sich diesen Fragen zu nähern, betrachtet das Promotionsprojekt nicht das künstlerische Einzelbild, wie es im Ausstellungskontext häufig gerahmt wird, sondern untersucht die Bilder in ihrem Präsentationszusammenhang der Modestrecke im Magazin. Dabei werden die intermedialen Konfigurationen zwischen Bild und Text, wie sie schon Roland Barthes in „Die Sprache der Mode“ herausarbeitete, als wesentlich für die Rezeption fotografischer Bilder in der illustrierten Presse verstanden.[3] Anhand exemplarischer Modestrecken aus Publikumszeitschriften wie Sibylle, Saison oder Modische Maschen sowie der Fachpublikation des Modeinstituts der DDR Die Mode werden visuelle Darstellungsweisen von Männlichkeiten analysiert. Dabei fußt die Untersuchung auf vielfältigen Arbeiten aus der Modeforschung, die mit dem Aufkommen neuer Männlichkeitsdiskurse seit Ende des 20. Jahrhunderts Männlichkeiten im Verhältnis zu Kleidermode untersucht haben, wie unter anderem  The Men’s Fashion Reader (2009) mit seinen zahlreiche Einzelanalysen verdeutlicht.[4] Auch im deutschsprachigen Raum wurden im Rahmen einer interdisziplinären Männlichkeitsforschung visuelle Darstellungsweisen in den Blick genommen und unter anderem von Änne Söll Konstruktionen männlicher Identität in der Modefotografie untersucht.[5]

Als angewandte Fotografie ist Modefotografie immer auch eng verbunden mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung. Diese waren in der DDR durch die politische Ideologie des Sozialismus, in der auch Mode zu einem Politikum wurde, sowie die Wirtschaftsordnung der Planwirtschaft geprägt. Ein ständiger Wandel von Trends stand der Planwirtschaft diametral entgegen und wurde als ein „hektischer Modewechsel“ des kapitalistischen Westens kritisiert. Auch die Mode sollte in das gesamtgesellschaftliche Bild des Sozialismus eingepasst, die Schnelllebigkeit der westlichen Mode durch eine langlebige „Bekleidungskultur“ ersetzt werden.[6] Dazu wurde 1952 das „Institut für Bekleidungskultur“ (später Modeinstitut der DDR) eingerichtet, das modische Trendlinien für die Industrie entwickeln sollte.  Dieses Spannungsfeld aus Politik, Wirtschaft, Mode und Kultur bildet den Rahmen für die Untersuchung der Modefotografien. Eine werbende Funktion verband sich mit diesen Bildern indes kaum. Die Modefotografie in der DDR, so betont Enno Kaufhold, „warb weniger für spezielle Kleidungen als für zeittypische Frauenbilder.“[7] Diese vollzogen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der proklamierten Gleichberechtigung, einen deutlichen Wandel, geprägt vom Leitbild der natürlichen, emanzipierten Frau. Wie verhielten sich Männerbilder dazu? Modefotografie erscheint hier als ein interessantes Medium, da sie eine Form des Handelns mit Kleidung darstellt, die wesentlich zur Hervorbringung geschlechtlicher Identität beiträgt. Das Promotionsprojekt nimmt in den Blick, welche männlichen Identitäten in der Modefotografie der DDR hervorgebracht werden und fragt, wo möglicherweise Heteronormativität durchkreuzt wird.

Es ist ein Anliegen der Arbeit, die in der Forschung zur Modefotografie vergleichsweise starke Fokussierung auf westliche Entwicklungen um andere Perspektiven zu erweitern. Erste Ansätze einer Historisierung der Modefotografie der DDR erschienen 1989 in einem Artikel in der Sibylle.[8] Die Autorin, Dorothea Melis,  zwischen 1961 und 1970 Moderedakteurin des Magazins, hat seither die Rezeption durch Ausstellungen sowie die Herausgabe zweier Bildbände nachhaltig geprägt.[9] Im Rahmen der Forschung zur Modefotografie wurden ostdeutsche Modebilder bisher kaum untersucht. Eine Ausnahme bildet die einschlägige Publikation „Berlin en vogue“, die diese mit westdeutschen Modefotografien der Zeit kontrastiert.[10] Den Modefotografien der DDR wird hier, in ihrer Anbindung an die starke Tradition der sozial engagierten Dokumentarfotografie, eine Alltagsnähe zugesprochen, die die Modebilder gleichsam zu „Zeitporträts“ macht.[1] Doch was vermögen sie uns zu berichten, über das Leben in der DDR und über die Kleidermode der Zeit? Die Modefotografien in der Sibylle zeigten häufig Modelle des Modeinstituts, die als modische Vorgaben für die Industrie entwickelt worden waren, so aber nie in den Handel kamen. Eine Betrachtung der Modefotografie in der DDR befragt kritisch auch den Begriff Modefotografie selbst.

 


[1] Anonym: Ich über mich, in: Sibylle, 1. Jg., Heft 1 (August), 1956, S.9.

[2] Lisa Schädlich: Männermode, in: Sibylle, Sonderheft Männermode, Band 2, 1974, S. 2.

[3] Roland Barthes: Die Sprache der Mode (1967), Frankfurt a. M. 1985. Weiterführend zum Verhältnis von Bild, Text und vestimärem Objekt in Modedarstellungen illustrierter Zeitschriften vgl. Dagmar Venohr: medium macht mode. Zur Ikonotextualität der Modezeitschrift, Bielefeld 2010.

[4] Peter McNeil und Vicki Karaminas (Hg.): The Men's Fashion Reader, Oxford u.a. 2009. Für Großbritannien hat Paul Jobling eine umfangreiche Untersuchung zur medialen Präsentation von Männermode vorgelegt. Vgl. Paul Jobling: Advertising menswear: masculinity and fashion in British media since 1945, London u.a. 2015.

[5] Zu visuellen Darstellungsweisen von Männlichkeit allgemein vgl. u.a. Änne Söll, Gerald Schröder (Hg.): Der Mann in der Krise? Visualisierungen von Männlichkeit im 20 und 21. Jahrhundert, Köln 2015. Zu exemplarischen Analysen von Modestrecken zur Männermode vgl. Änne Söll: Mode und Männlichkeit in den Lifestyle- und Männermodezeitschriften der Weimarer Republik, in: Patrick Rössler, Katja Leiskau und Susann Trabert (Hg.), Deutsche Illustrierte Presse der Weimarer Republik, Baden Baden 2016, S. 255-274. sowie ebenda: Metro-sexuell? Stadtraum und männliche Körper in der Männermodefotografie um 2000, in: Gertrud Lehnert (Hg.), Räume der Mode, München 2012, S. 155-168.

[6] Vgl. Anna-Sabine Ernst: Mode im Sozialismus, Zur Etablierung eines "sozialistischen Stils" in der frühen DDR,  in: Krisztina Mänicke-Gyöngyösi, Ralf Rytlewski (Hg.): Lebensstile und Kulturmuster in sozialistischen Gesellschaften, Köln 1990, S.73-94.

[7] Enno Kaufhold: Fixierte Eleganz, in: Berlin en Vogue: Berliner Mode in der Photographie, Ausstellungskatalog Berlinische Galerie, Tübingen u.a. 1993, S.13-46, hier S. 43.

[8] Dorothea Melis: Betrachtungen zu drei Jahrzehnten Modefotografie, in: Sibylle, 33. Jg., Heft 1 (Januar/Februar), 1989, S.62-65 und S.75.

[9] Dorothea Melis (Hg.): Sibylle. Modefotografie aus drei Jahrzehnten DDR, Berlin 1998; Dorothea Melis (Hg.): Sibylle: Modefotografien 1962–1994,  anlässlich der Ausstellung „SIBYLLE. Modefotografie und Frauenbilder in der DDR“ 13. Mai bis 22. August 2010, Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam, Leipzig 2010.

[10] Kat.Ausst. Berlin en Vogue 1993.

[1] Vgl. Enno Kaufhold, (Anm. 7), S. 45

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