Annette Geiger
Mode und Fotografie. Editorial
Erschienen in: Fotogeschichte 146, 2017
Ohne Bild keine Mode. Denn die moderne Mode besteht nicht nur aus den Kleidern, die wir tragen, zu ihr gehört auch ein Imaginäres: Kollektionen nur auf dem Bügel zu sehen, würde unsere Phantasie kaum beflügeln, man könnte ihre Botschaft nicht verstehen, die Kleider blieben stumm. Die Mode braucht das Bild, um über Models und Posen, Szenerien und Stimmungen ihre Aussage zu formulieren. Bis heute ist die Fotografie dafür das wichtigste Medium.
Spätestens in den 1950er-Jahren hatte das Foto die Modeillustration vollständig verdrängt, die in den Magazinen zunächst ebenso präsent war. Steht ein solcher Medienwechsel heute erneut an? Folgt man dem britischen Fotografen Nick Knight hat die Modefotografie ihrerseits ausgedient. Mit seiner Internet-Plattform „Showstudio. The Home of Fashion Film and Live Fashion Broadcasting“ propagiert er das Video als zukünftiges Medium der Moderezeption. „Wenn man als Karl Lagerfeld oder Prada oder Chanel heute junge Zielgruppen erreichen will und dafür Printmagazine wählt, macht man alles falsch“, äußerte Knight 2010.[1] Doch scheint trotz steigendem Internetkonsum die Modefotografie keineswegs am Ende. Die filmischen Formate entwickeln offenbar andere Narrative, sie können aber das Foto nicht ersetzen. Was zeichnet die spezifische Erzählweise der jüngeren Modefotografie also aus?
Die Fotografie kann sich dem Internetzeitalter durchaus anpassen, allerdings nimmt die Betrachtungszeit in den neuen Medien ab: Das einst beschauliche Blättern weicht einem raschen Durchklicken, das nur noch Sekunden für die Bildbetrachtung lässt. Zudem schrumpfen die Displays von Tablets, Handys oder gar der Smartwatch die Fotografie auf eine winzige Größe. Die Zukunft des gedruckten Fotos mag durch die Krise der Printmagazine gefährdet sein, doch vermag die künstlerisch ausgerichtete Modefotografie bereits auf neue Kanäle zu verweisen: Fotobücher, Museums- und Ausstellungskataloge oder auch populäre Coffee Table Books eröffnen neue Kommunikationswege zu einem spezifischen Publikum.
Die letzten Jahrzehnte waren von einer zunehmenden Ausdifferenzierung geprägt: Steigende Auktionspreise dokumentieren das wachsende Interesse von Museen und Sammlern an einer Modefotografie, die nun als Kunst angesehen werden darf. Von der kommerziellen Gebrauchsfotografie hat sich diese ästhetisch anerkannte High Art mittlerweile weit entfernt. Doch welche Modefotos betrachten wir eigentlich als kulturell hochwertig und wofür?
Betrachtet man den Forschungsstand zur Modefotografie[2] fällt vor allem der Bruch der letzten Jahrzehnte auf: Standardwerke aus den 1970er- und 1980er-Jahren sind heute kaum mehr rezipierbar, da ihnen die Entwicklung seit den 1990er-Jahren fehlt. Die Modefotografie ist seither eine andere geworden, ein Paradigmenwechsel hat sich vollzogen. Heute reicht es nicht mehr, die Geschichte des Modefotos entlang der großen Magazine Vogue und Harper’s Bazaar zu schreiben. Ihre Macht wurde von alternativen Medien unterlaufen, die Haute Couture konkurriert nun mit Street- bzw. Lifestyle-Phänomenen und sieht sich mehr denn je mit Grenzüberschreitungen zur Kunst konfrontiert.
Insbesondere die Ausbildung einer selbstreflexiven und auch selbstironischen Richtung der Modefotografie änderte so vieles in dem Metier. Die Modewelt vermag sich nun selbst zu karikieren – und nutzt auch dies als Eigenwerbung. Das Selbstporträt des deutschen Modefotografen Juergen Teller von 2015, der sich als sichtlich ungeeignetes Model mit handgeschriebenen Retuscheanweisungen korrigiert, treibt diese Komik auf die Spitze. Doch sind diese selbstreflexiven Tendenzen historisch nicht neu. Die Auseinandersetzung mit der Ambivalenz des Schönen bildet seit jeher das Anliegen der künstlerischen Modefotografie. Wie Andrea Kollnitz und Friedrich Weltzien zeigen, bildete sich die Nähe von Mode und Kunst bereits im Surrealismus heraus, mit gewagten Kippfiguren des Unheimlichen wie z. B. bei Wols oder der selbstbewussten weiblichen Exzentrik bei Leonor Fini. Werbliche und künstlerische Interessen müssen sich dabei nicht ausschließen: Antje Krause-Wahl untersucht am Motiv der taktilen Qualität von Stoffen wie die internationalen Magazine seit den 1930er-Jahren Fotografen wie Cecil Beaton, Paul Hoyningen-Huene, Horst P. Horst u. a. eine beständige Plattform für ästhetische Fotografie boten.
Die unschöne Inszenierung des Schönen machten seit den 1960er-Jahren vor allem Helmut Newton und Guy Bourdin populär. Dass durch Tabubruch und Provokation nicht nur Aufmerksamkeit erregt werden sollte, führt Annette Geiger aus: Gerade Bourdins Arbeit erweist sich als wegweisend für einen neuen Umgang mit Frauenrolle und Schönheitswahn. Diese Dekade bereitete vor, was in den 1990er-Jahren den Umbruch auslöste. Wie Charlotte Silbermann zeigt, ermöglichten neue Magazine und die offenen Grenzen zur Kunst Fotografen wie Wolfgang Tilmans und Juergen Teller internationale Karrieren zwischen den Gattungen, sie dehnten den Kunst- und Modebegriff gleichermaßen. Diese Ambivalenz interessierte schließlich auch Künstlerinnen wie Cindy Sherman an der Modefotografie. Gerald Schröder analysiert ihre verstörenden Identitätsspiele, die der Modewelt nicht bissiger den Spiegel vorhalten könnten – und doch als kommerzielle Kampagnen fungieren. Den umgekehrten Weg ging die Fotografin Taryn Simon. Wie Änne Söll und Katharina Zimmermann zeigen, nutzte sie die Strategien ihrer Modefotografie auch in ihrer nunmehr rein künstlerischen Arbeit. Die heutige Modefotografie weicht ihren Widersprüchen nicht aus, sie inszeniert sie vielmehr in aller Offenheit – auch das ist wohl eine Form der Ehrlichkeit.
[1]Lorraine Haist: „Die Modefotografie hat ausgedient“, in: Die Welt, Welt.de, 27.1.2010. www.welt.de/lifestyle/article5959159 (abgerufen am 10.6.2017)
[2]Einen aktuellen Überblick gibt das jüngst erschienene Buch von Sylvia Brodersen: Modefotografie. Eine fotografische Praxis zwischen Konvention und Variation, Bielefeld 2017.
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