Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Markus Bauer

Ein wiederentdeckter Fotojournalist aus Rumänien

Biblioteca Naţională a României (Hg.): Iosif Berman. Maestrul fotoreportajului românesc interbelic. Master of the Romanian Interwar Photojournalism, rumänisch/englisch. Projektkoordination und Vorwort: Adriana Dumitran. Bukarest: Editura Bibliotecii Naţionale a României 2013, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Biblioteca Naţională a României in Bukarest 23. Oktober 2013 bis 31. Januar 2014, 202 S., 142 Abb. in S/W, broschiert. Bestellbar unter: biblioteca(at)bibnat.ro.

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 133, 2014

Das Aufkommen der illustrierten Wochenzeitschriften und der Abdruck von Fotos in Tageszeitungen erfolgte in Rumänien parallel zu dem der westlicheren europäischen Staaten. So imitierte die Ilustraţiunea Română (1890–1891; Bukarest) mit Fotoaufnahmen und Grafiken ihr französisches Vorbild L’Illustration; die wöchentliche Gazeta Ilustrată (1911–1916; Bukarest) bot ebenso wie die europäischen Illustrierten dem Lesepublikum aktuelle und aufregende Fotos von den mondänen, politischen, kulturellen, sportlichen Ereignissen weltweit. Von den Tageszeitungen war es der führende, von ihrem Gründer Constantin Mille eher politisch links orientierte Adevărul, der auf einen großen Pool von fotografischen Aufnahmen zurückgreifen konnte, wenn es um die Bebilderung der Artikel ging. Zu seinen wichtigsten Fotografen gehörte Iosif Berman, der in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in Rumänien vielleicht der bekannteste Fotojournalist war. Er wird seit einigen Jahren wieder entdeckt, was auch auf ein generelles Interesse in Rumänien an der Zwischenkriegszeit zurück geht, die vielfach nostalgisch als glänzendes Gegenbild gegen manche aktuelle politische und moralische Misere des Landes herhalten muss.

Im sich entwickelnden Medien- und Kommunikationsraum Rumänien, der eng vernetzt war mit den europäischen Kapitalen, insbesondere Frankreich und Paris, spielten die historischen Peripetien der Jahrhundertwende eine entscheidende Rolle. Wurde Berman noch 1890 in eine jüdische Familie in Burdujeni an der Grenze zur österreichisch-ungarischen Bukowina geboren und begann sein Metier innerhalb des kleinen Königreichs Rumänien, so fiel seine berufliche Glanzzeit in das nach dem Ersten Weltkrieg im Territorium verdoppelte „Groß-Rumänien“ mit seinen zahlreichen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Möglichkeiten und Konflikten. Nach seiner Ausbildung hatte Berman bereits früh Kontakt zum Herrscherhaus gewonnen und einige Fotoaufnahmen der königlichen Familie veröffentlichen können. Als der Erste Weltkrieg in Europa ausbrach und die Grenzregion zur Bukowina und Russland zum Aufmarschgebiet der russischen und österreichischen Armeen wurde, verkaufte Berman international Fotos von Flüchtlingen aus der Bukowina. Erst 1916  trat Rumänien auf der Seite der Entente in den Krieg ein und Berman ging als „embedded reporter“ mit der rumänischen Armee nach Südrussland (Ukraine). Er blieb bis 1921 mit seiner Frau Raisa in der neu entstandenen Sowjetunion. Beide durften aber bis 1923 nicht nach Rumänien zurückkehren und lebten daher zwei Jahre in Istanbul, von wo aus Berman Fotos in der Bukarester Zeitung Dimineaţa publizierte. Als er zurückkehrte, hatte der Weltkrieg nicht nur Rumänien verändert, sondern auch den Bekanntheitsgrad des Fotoreporters Berman erheblich  gesteigert.

Das fotojournalistische Werk Bermans ist vor allem in Realitatea Ilustrată zu finden, wo er mit Journalisten wie Geo Bogza oder F. Brunea Fox zusammenarbeitete. Bogza und Brunea Fox kamen aus der avantgardistischen Bewegung der DADA-Nachfolge in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und wandten sich der Surrealität der rumänischen Wirklichkeit zu. Die Verbindung von Wort und Bild des Trios galt lange als Vorbild für den rumänischen Fotojournalismus.

Der vorliegende Katalog der Rumänischen Nationalbibliothek, aus dessen Vorwort diese Informationen entnommen werden, liefert aus den Motivkomplexen des Werkes einige Beispiele, die ein anschauliches Bild sowohl der Arbeitsweisen des Fotografen wie auch des Landes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geben. Es beginnt mit dem Thema der Stadt (d.h. Bukarests), die Berman immer wieder ablichtete. Seine Aufnahmen der sich in den Regenlachen spiegelnden Calea Victoriei, der damals zentralen Achse der Stadt, der promenierenden Menschen, der repräsentativen Architektur, der Beschäftigungen auf der Straße wie den Blumenverkäuferinnen, den Straßenfegerinnen, den Teppichhändlern etc., lässt fast ein soziologisch-ethnografisches Interesse erkennen, so breit gestreut sind die aufgenommenen Motive. Sie werden im Album unter Rubriken wie ‚Bukarest in den Jahreszeiten’, ‚Freizeit’, ‚Soziales Leben’, ‚Typen, Straßen, Basare’, ‚Politisches Leben’, ‚Traditionen’ versammelt. Diese Schneisen der Einordnung des zahlreich in der Biblioteca Naţională vorliegenden Materials zeigen vor allem den nahe an die Gegenstände herantretenden Alltagsfotografen, der – im Gegensatz etwa zu den fast zeitgleichen, eher ästhetisierenden Aufnahmen von Willy Prager –  meist aus der ‚realistischen’ Perspektive auf der Straße fotografierte und sich selten einen höheren Standpunkt sucht, um einen größeren Rahmen zu ermöglichen.

‚Nahe dran’ ist Berman auch bei den Aufnahmen des politischen Lebens, die in Halbtotalen zeremonielle Akte der königlichen Familie dokumentieren (mit dem heute noch lebenden Ex-König Mihai als jungem Thronfolger) oder intime Porträts wie etwa das des seinerzeit europaweit beachteten Außenpolitikers Nicolae Titulescu am Schreibtisch liefern. Die Darstellung ordensgeschmückter Politiker bei Parlamentseröffnung und anderen festlichen Gelegenheiten (mitunter mit verächtlichen Blicken auf den im Stile Erich Salomons den Ablauf störenden Fotografen) wird ergänzt durch das Auftreten der Massen: Auf dem Platz vor dem Königspalast zeigt eine Menschenmenge den Hitlergruß und dokumentiert die schiefe Bahn des Landes in den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. 1938 mussten wegen der antisemitischen Gesetzgebung die Zeitungen Adevărul und Dimineaţa ihr Erscheinen einstellen, es begann mit Ausbruch des Krieges die Zeit der brutalen Einschränkung der Lebensmöglichkeiten jüdischer Journalisten. Sie führte letztlich zu Bermans frühem Tod im Legionärsstaat im September 1941.

Außergewöhnlich ist die Abteilung, die Aufnahmen von den quasi-ethnografischen Expeditionen des Soziologen Dimitrie Gusti in das eigene Land zeigt. Hier tritt jenes Interesse an der Vielgestaltigkeit der rumänischen Landbevölkerung hervor, das vielleicht als eine zentrale der fotografischen Motivationen Bermans angesehen werden kann. Die heute wieder vermehrt wissenschaftliche Beachtung findenden Exkursionen Gustis mit seinen Studierenden führten 1925–1939 in ausgewählte Dörfer, wo Liedmaterial und Zeugnisse der Traditionen und Lebensweise gesammelt wurden. Neben Berman war es vor allem auch der Avantgarde-Fotograf Aurel Bauh, der an einzelnen dieser „Expeditionen“ teilnahm. Gusti selbst hatte die Fotografie als unentbehrliches Handwerkszeug der Feldsoziologen betrachtet.

Der Katalog betont in seiner Gestaltung mit einigen braungetönten Abbildungen und Vergrößerungen einzelner Fotografien auf Doppelseiten den eher memorialistischen Zugang zu Iosif Bermans Werk. Die allmählich sich entwickelnde wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem und weiteren Fotografen in der reichhaltigen Fotogeschichte Rumäniens dürfte hingegen noch weitere Entdeckungen bereithalten.

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