Dennis Jelonnek
Die „Polaroid Collection“ – Wiederentdeckung einer Firmensammlung
From Polaroid to Impossible. Masterpieces of Instant Photography. The Westlicht Collection, hg. von Achim Heine, Rebekka Reuter, Ulrike Willingmann, Katalog anlässlich der Ausstellung „Polaroid [Im]possible. The Westlicht Collection“, WestLicht. Schauplatz für Fotografie, Wien, 17. Juni - 21. August 2011, Ostfildern: Hatje Cantz, 2011, 25 x 32 cm, 192 S., 230 farbige Abbildungen, geb., 39,80 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte 126, 2012
Im Juni 2010 fand in der New Yorker Dependance des Auktionshauses Sotheby’s die Versteigerung von rund 1200 Sofortbild-Fotografien statt, die als das Tafelsilber der Sammlung der insolventen Polaroid Corporation galten.[1] Mit ihrem Verkauf wurde eine in ihrer Ästhetik ebenso breit gefächerte wie in ihrer Entstehung homogene Sammlung in alle Winde zerstreut. Ein Jahr nach der aufsehenerregenden Versteigerung machten weitere 4400 Fotografien aus der Unternehmenssammlung von sich reden. Sie waren von der Wiener Sammlung Westlicht aus der Insolvenzmasse erworben und in Auswahl umgehend von Juni bis August 2011 ausgestellt worden. Weitere Stationen dieser Schau waren das NRW-Forum Düsseldorf (Mai-August 2012) sowie das Finnish Museum for Photography Helsinki (August-November 2012).
Mit dem Ausstellungskatalog From Polaroid to Impossible“ liegt nun nach dem 2005 erschienenen The Polaroid Book[2] eine zweite Publikation vor, in der die Sammeltätigkeit der Polaroid Corporation abgebildet wird. Dies ist wörtlich zu verstehen, denn im Gegensatz zum umfangreichen Abbildungsteil nehmen sich die jeweils zweisprachigen Textbeiträge des Bandes mit insgesamt fünfzehn Seiten eher gering aus. In den Essays wird die Spezifik des Sofortbildes eruiert (Achim Heine), ein Einblick in die Sammlungsgeschichte der Polaroid Collection gewährt (Barbara Hitchcock), sowie die Firmengeschichte der nach dem Ausscheiden des Gründers Edwin Land (1909–1991) zuletzt glücklosen Polaroid Corporation thematisiert (Florian Kaps).
Qualität und Quantität der im Katalogteil abgebildeten Sofortbildauswahl zeichnen den vorliegenden Band aus. Das faszinierende Spektrum der künstlerischen Positionen aus vier Dekaden erscheint umso facettenreicher, als die Abbildungen nicht chronologisch oder thematisch, sondern nach Polaroid Standardformaten, respektive Filmtypen, geordnet sind („20x24“, „3¼x4¼, 4x5, 8x10“, „Positive/Negative Film“, „Integral Film“). Aus dem Nebeneinander der Arbeiten ganz unterschiedlicher fotografischer Genres ragen dabei insbesondere diejenigen heraus, welche zugeschriebene und tatsächliche Eigenarten des Sofortbild-Verfahrens reflektieren und so die Technik zu ihrem ästhetischen Gegenstand machen.
Bemerkenswert ist etwa eine unbetitelte Arbeit Robert Heineckens aus dem Jahr 1983, für die er eine über 100 Kilogramm wiegende Polaroid 20x24-Kamera einsetzte. Diese Kamera, welche bis heute für ihre großformatigen direkten fotografischen Positive ohne erkennbares Korn geschätzt wird, richtete er auf das Fernsehbild einer Nachrichtensprecherin. Mit der en face gezeigten Frau aktualisierte Heinecken nicht nur das traditionelle Genre des Porträts in den vom Medium Fernsehen geprägten 1980er-Jahren; die Arbeit zeigt zugleich jeden einzelnen aus roten, grünen und blauen Anteilen aufgebauten Bildpunkt des Fernsehschirmes: Das hoch aufgelöste Sofortbild im Format von 50x70 Zentimetern stellt das ephemere Mosaik des Fernsehbildes still und zugleich aus.
Ebenfalls 1983 entstand eine Collage von Damien Hustinx, die das Medium selbstreflexiv an seine Grenze treibt. Der Titel „Reproduction et Extinction de la Couleur“ ist programmatisch: Eine aus acht auf Papier montierten SX-70-Polaroids bestehende Pyramide demonstriert die sukzessive Auslöschung der Farbe im Foto durch ihre wiederholte Reproduktion. Hierfür bildet das Sofortbild einer regenbogenartigen Farbtafel an der Pyramidenspitze den Ausgangspunkt. Das Polaroid darunter zeigt in seinem Bildfenster das Initialbild: Schon ist in dieser ersten Ableitung eine Schwächung der Grüntöne der Farbtafel wahrnehmbar. Dieses Abfotografieren des jeweiligen Vorgängerbildes wiederholt sich; was im achten Polaroid zu sehen bleibt sind die ineinander geschachtelten, charakteristischen weißen Rahmen der reproduzierten Sofortbilder, während sämtliche Farbwerte zur Unkenntlichkeit verblasst sind.
Angesichts solcher bislang eher unbekannter und überraschender Arbeiten ist es bedauerlich, dass auf die hier versammelten Fotografien als zeittypische oder -untypische Positionen mit keinem Wort eingegangen wird. Der Katalog beschränkt sich auf technische Informationen, was der beschriebenen Kapiteleinteilung konsequent Rechnung trägt und sich in den vorangestellten kursorischen Textbeiträgen bereits ankündigt.
So thematisiert Achim Heine im ersten Beitrag die Geschwindigkeit der Sofortbilderzeugung, die über Jahrzehnte den Vorsprung gegenüber der „klassischen Kleinbildfotografie“ (S. 7) bedeutet habe und mit der Marktreife der „digitalen Fotografie“ (S. 7) schlagartig zum Anachronismus wurde. Dabei sei die materielle Präsenz des Sofortbildes der Virtualität digitaler Bilder überlegen, da Letztere schließlich zu „digitale[r] Amnesie“ (S. 8) im Orkus der Speichermedien verdammt seien. Vor dieser Folie äußert sich Heine erleichtert angesichts der Rettung der letzten Polaroid Filmfabrik durch das Impossible Project und möchte dessen neu konzipierte Sofortbildprodukte von nun an als „Gleichbilder“ (S. 8) bezeichnet wissen. Vordergründig, um dem im Medium strukturell angelegten Warten auf das Bild Rechnung zu tragen; zugleich wohl ebenfalls, um den „Restart“ (S. 9) der Bildtechnik auch semantisch zu markieren.
Im darauf folgenden Artikel blickt Barbara Hitchcock als ehemalige Leiterin der Polaroid International Collection zurück auf das „Vermächtnis der Sammlung“ (S. 15). Lebendig beschreibt sie etwa die Quidproquo-Politik des Unternehmens, die dessen Sammeltätigkeit erst ermöglichte: Kameras und Filmmaterial wurden kostenfrei an Künstler verteilt, verbunden einzig mit der Forderung, eine Anzahl von originalen Sofortbildern von diesen zurückzuerhalten. Wie schon in ihrem Beitrag in The Polaroid Book[3] umfasst das von Hitchcock so bezeichnete „Vermächtnis“ nicht nur die Geschichte der Fotografien, sondern auch die von ihr verinnerlichten Mythen zur Entwicklung der Polaroid Corporation und ihrer Sammlung. Rhetorisch mehrfach nahe am Werbeslogan gerät die Unternehmensgeschichte dabei zum technikoptimistischen Zusammenspiel von Naturwissenschaften, Kunstgeschichte und Kunst-Fotografie.
Im abschließenden Beitrag berichtet Florian Kaps, Gründer des erwähnten Impossible Projects – und somit gewissermaßen in der Rolle eines zweiten Edwin Land – von dessen Leistungen auf den Gebieten der Physik, Chemie und Unternehmensführung. Dabei wiederholt er Mythen, die einst von der Polaroid Corporation selbst geprägt worden waren. So zweifelt Kaps zwar an „lobpreisenden Texten zum Thema Sofortbild“ (S. 19), greift jedoch selbst im nächsten Absatz den Topos des genialen Erfinders auf, wenn er Edwin Lands Aussage, „das Grundprinzip dieser bahnbrechenden neuen Technologie innerhalb weniger Stunden [skizziert]“ (S. 19) zu haben unüberprüft in seinen Beitrag einflicht.[4]
Gerade letzteres Beispiel offenbart einen grundsätzlichen Mangel des Kataloges, in dem unkritisch und fernab wissenschaftlicher Standards der Mythos Polaroid wiederauflebt. Damit wird mit den Textbeiträgen eine publizistische Tradition der Polaroid Corporation fortgeschrieben, welche stets – wie heute Impossible – darum bemüht war eine neue, nicht selten verlachte Bildtechnik zu legitimieren und deren Fortschrittlichkeit nachzuweisen. Wie Impossible hatte Polaroid zu diesem Zweck seit den 1960er-Jahren Ausstellungen unterstützt, die dem Besucher/Konsumenten neben künstlerisch-ästhetischen Spielräumen auch das technische Potential des Sofortbildmediums demonstrieren sollten. Ausstellungsprojekte und begleitende Publikationen dienten damals wie heute nicht zuletzt der fotografiegeschichtlichen Verortung und marktwirtschaftlichen Ratio.
Im vorliegenden Katalog macht dies auch die Auswahl der Autoren augenfällig. Die leitende Position, die Florian Kaps bei Impossible inne hat wird ebenso wie die langjährige Stellung Barbara Hitchcocks als Leiterin der Polaroid International Collection nur aus dem Textzusammenhang ersichtlich. Von der kuratorischen Tätigkeit Hitchcocks für die Galerie Westlicht erfährt nur, wer das Impressum liest. Achim Heine schließlich ist Professor an der UdK Berlin, zugleich jedoch Mitbegründer und Geschäftsführer der Heine/Lenz/Zizka Projekte GmbH. Diese zeichnete nicht nur u.a. für Logo und Corporate Design des Impossible Projects verantwortlich, sondern wurde auch mit der Gestaltung des vorliegenden Katalogs für Hatje Cantz betraut.[5] Alle drei Autoren stehen somit in wirtschaftlicher Abhängigkeit zueinander oder zu involvierten Institutionen. Der Ausstellungskatalog ist damit zugleich ein Vermarktungsinstrument, in dem die ausgewählten Fotografien der Polaroid Collection der Aufwertung und Legitimation des Impossible Projects dienen. Der Versuch, das Sofortbild als vollgültiges fotografisches Medium mit einem spezifischen ästhetischen Potential zu rehabilitieren darf so zwar als verdienstvoll gelten. Zugleich aber müssen die Ausstellung und ihr Katalog nun selbst in den Fokus der fotografiegeschichtlichen Forschung gerückt werden: Es bleibt als zentrales Desiderat anzusehen, Polaroid wie auch Impossible auf ihre visuellen und textuellen Vermarktungsstrategien zu untersuchen, und, nicht zuletzt, ihr Verhältnis zu Kulturinstitutionen, Galerien und Künstlern darzustellen.
[1] Sotheby’s New York, „Photographs from the Polaroid Collection“, 21. bis 22. Juni 2010, Auktion N08649.
[2]Steve Crist (Hg.): The Polaroid Book. Selections from the Polaroid Collection of Photography, Köln 2005.
[3]Hitchcock, Barbara: When Land met Adams, in: Steve Crist (Hg.): The Polaroid Book. Selections from the Polaroid Collection of Photography, Köln 2005, S. 12-24.
[4] Kaps’ paraphrasiert vermutlich eine Aussage Edwin Lands: „[Within one] hour the camera, the film and the physical chemistry became so clear that with a great sense of excitement I hurried to [...] a friend [...], to describe to him in detail a dry camera which would give a picture immediately after exposure." LIFE (Oktober 1972), S. 48.
[5] Vgl. www.hlz.de, Stand: 11.07.2012.
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