
Jan Mlčoch
Schlosser & Wenisch. Ein Prager Fotoatelier
Forschungs- und Ausstellungsprojekt – Kunstgewerbemuseum Prag, Ausstellung in der Josef Sudek Galerie, Prag, 2009/10 – Kontaktadresse: info@upm.cz
Erschienen in: Fotogeschichte 116, 2010
An der Wende zum 20. Jahrhundert gab es in Prag zahlreiche bedeutende Fotoateliers, die sich an ein vornehmes Publikum richteten. Zu ihnen gehören traditionelle Unternehmen wie etwa J. F. Langhans ebenso wie Studios, die in der Fotografie eine moderne Richtung vertraten, etwa Drtikol & Co., V. J. Bufka, Vaněk a Kanderál und andere, die in engem Kontakt mit der Szene der Fotoamateure standen. Prag hatte in diesen Jahren eine halbe Million Einwohner, es war eine multikulturelle Stadt. Die Mehrheit der Bevölkerung sprach tschechisch, aber es gab eine bedeutende und in kultureller Hinsicht sehr prägende deutsche bzw. deutsch-jüdische Minderheit, die in der Fotoszene eine wichtige Rolle spielte. Jene Ateliers, die sich auf ein deutschsprachiges Publikum spezialisierten, sind heute nicht mehr erhalten.
Eines dieser „deutschsprachigen“ Prager Ateliers trug den Namen „Schlosser & Wenisch“ und hatte seine Räume in einem vornehmen Gebäude in zentraler Lage, unweit des Wenzelsplatzes in der Na Příkopech Straße 3. Es wurde 1909 von Otto Schlosser (1880-1942) eröffnet. Die Quellen über die Frühzeit dieses Ateliers sind spärlich. Es scheint als ob Schlossers Geschäftspartner Max Wenisch (1876–?) über die nötigen Fachkenntnisse verfügte. Er hatte seinen Partner Otto Schlosser im deutschsprachigen „Club Deutscher Amateurphotographen in Prag“ kennengelernt, der 1898 gegründet worden war. Es ist kein Zufall, dass die Postadresse des Clubs zwischen 1908 und 1914 identisch mit jener des Ateliers ist. Wenisch hatte, bevor er in das Atelier einstieg, einen Handel für Waffen und fotografisches Zubehör betrieben. Er hatte als Amateurfotograf begonnen, hatte sich vor allem für Landschaftsaufnahmen interessiert und mehrfach in ausländischen Fachzeitschriften veröffentlicht (etwa in der Photographischen Kunst). Obwohl Wenisch Teilhaber der Firma war, gibt es keine konkreten Hinweise dafür, dass er selbst im Atelier fotografiert hätte. Ab 1911 scheint Otto Schlosser als Alleininhaber auf, allerdings blieb der Doppelname des Geschäfts aufrecht.
Otto Schlosser, geboren am 20. Juni 1880 in Prag, war, bevor er sich der Fotografie zuwandte, zunächst im elterlichen Betrieb tätig, der sich mit dem Handel von Fellen beschäftigte. Schlosser war mit seinem neuen Unternehmen schnell erfolgreich. Er hatte ein Reihe von Mitarbeitern und wandte sich vor allem an die wohlhabende deutschsprachige Gesellschaft Prags, denen er aufwenig gestaltete, „psychologische Porträts“ anbot. Schlosser & Wenisch galt bald als das teuereste Atelier der Stadt. 1914 trat der Fotograf Franz Fiedler in das Unternehmen ein, der dieses während der Kriegszeit, als Schlosser an der Front war, auch kurzzeitig leitete. Fiedler übersiedelte später nach Dresden, wo er ein eigenes Atelier eröffnete.
Schlosser war nicht nur als Porträtfotograf der vornehmen Gesellschaft erfolgreich, sondern er veröffentlichte auch regelmäßig in illustrierten Journalen und in der Fachpresse, etwa in der Photographischen Rundschau und nahm bereits vor 1914 an zahlreichen Ausstellungen teil, unter anderem in Wien, München, Budapest, Turin, St. Petersburg und London. Schon früh wurden die Porträts aus dem Atelier Schlosser & Wenisch im Ausland gekauft, unter anderen waren sie in der Sammlung von Ernst Juhl in Hamburg vertreten. Aus dem Atelier Schlosser stammt eine Reihe von Porträts bedeutender Persönlichkeiten, etwa von Alexander von Zemlinsky, mit dem Otto Schlosser befreundet war, von Arnold Schönberg, Franz Werfel, Karl Kraus und einigen Mitgliedern der Familie Kafka, die sich 1910 im Atelier ablichten ließen. Als im Jahr 1914 das Prager Kunstgewerbemuseum zum 75jährigen Jubiläum der Erfindung der Fotografie eine große Ausstellung veranstaltete, stammte umfangmäßig der größte Beitrag aus dem Atelier Schlosser & Wenisch (36 Fotos) und seines damaligen Angestellten Franz Fiedler (21 Fotos).
Nach dem Ersten Weltkrieg passte sich das Atelier den neuen Zeiten an. Otto Schlosser suchte den Anschluss an die neuen, modernen Formen des Porträts, die im Umfeld der Kunstfotografie entstanden. Er selbst begann eine intensive Reisetätigkeit, 1928 besuchte er die Länder am Balkan und Kleinasiens, er reiste nach Palästina, Ägypten und nach Nordafrika. Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre wurde Antonín Studnička und Václav Dub als Fotografen eingestellt. Studnička galt zu dieser Zeit als einer der fortschrittlichsten tschechischen Porträtfotografen. Er nahm sich Mitte der 1930er Jahre das Leben. Um 1930 gehörte das Atelier Schlosser & Wenisch zu den bekanntesten des Landes, László Moholy-Nagy stand in dieser Zeit in Kontakt mit Otto Schlosser. Das Hauptauftragsgebiet war weiterhin die Porträtfotografie, daneben aber entstanden auch Theater-, Akt- und Tanzaufnahmen. Zu den Porträtierten dieser Jahre zählen u.a. Gustav Machatý, Regisseur des Film Eroticon, die Schauspielerin Olga Scheinpflugová und Jarmila Kronbauerová, die Tänzerinnen Yelizaveta Nikolska, die sich nackt ablichten ließ, Inka Čekanová, sowie Mitglieder aus der Tanzschule von Jarmila Kröschlová. Im Atelier entstanden aber auch Werbeaufnahmen, etwa für den Prager Autosalon, Fotos für Modehäuser, Sportfotos und Genrebilder. Viele der Fotos wurden in der illustrierten Presse veröffentlicht, insbesondere in der Zeitschrift Salon.
1932 eröffnete Otto Schlosser an der selben Adresse, an der sich auch das Atelier befand, ein Geschäft für fotografisches Zubehör. Mitte der 1930er Jahre tat sich Schlosser mit dem Inhaber eines anderen Ateliers, Karel Stehlík, zusammen. Als im März 1939 deutsche Truppen in der Tschechoslowakei einmarschierten und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung begann, konnte Schlosser, der jüdischer Herkunft, aber evangelisch getauft war, zunächst noch weiterarbeiten. Am 4. September 1942 wurde Otto Schlosser, seine Frau Josefina und deren Sohn Tomáš nach Theresienstadt deportiert. Wenige Tage später ging ihr Transport nach Maly Trostinec, in ein Vernichtungslager in der Nähe von Minsk in Weißrussland, wo sie ermordet wurden. Ein Sohn der Familie Schlosser, Wolfgang, der noch vor dem März 1939 nach England emigierte, nahm einen Teil des Bilder aus dem Atelier mit sich und schenkte ihn vor dreißig Jahren der Mährischen Galerie in Brünn. Die Aufnahmen wurden 1980 zum ersten Mal in den Ausstellungen „Tschechische Fotografie 1918 bis 1938“ und „Wiener Secession und die Moderne 1900 bis 1925“ gezeigt. 2009 wurden Aufnahmen aus dem Atelier Schlosser & Wenisch in die Großausstellung „Tschechische Fotografie des 20. Jahrhunderts“, die in Prag und Bonn gzeigt wurde, aufgenommen.
Die erste Ausstellung, die zur Gänze dem Atelier Schlosser & Wenisch gewidmet ist, stellte das Kunstgewerbemuseum 2009/10 in der Josef Sudek Galerie zusammen. Ein Teil der Ausstellungsstücke stammen aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums, andere Teile aus Privatsammlungen, etwa dem B. & M. Chochola Archiv, der Sammlung Petr Schlosser, des Enkels des Ateliereigentümers und aus anderen Privatsammlungen.
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