Anton Holzer
Rückblick auf goldene Zeiten
Michael Ponstingl (Hg.). Die Explosion der Bilderwelt. Die Photographische Gesellschaft in Wien 1861–1945, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Wiener Albertina, 17. Juni bis 2. Oktober 2011, Wien: Christian Brandstätter Verlag, 2011, 21,5 x 21 cm, 228 S., zahlreiche Abb. in Farbe und S/W, kartoniert, 19,90 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte 122, 2011
Ein runder Geburtstag, eine Ausstellung, ein Katalog: Die Wiener Albertina feiert derzeit das 150-Jahr-Jubiläum der Photographischen Gesellschaft in Wien mit einer Fotoschau. Photographische Gesellschaft? Nie gehört! Heute kennt den Verein niemand mehr, was kein Wunder ist, hat er sich doch mittlerweile schwerpunktmäßig dem Ehrungswesen verschrieben. Er vergibt die Voigtländermedaille in Silber und Gold, die Gesellschaftsmedaille in Gold, Silber und Bronze und die Jubiläumsmedaille in Silber und Gold. Entschlafen ist die ehemals überaus bedeutende, umtriebige und im deutschen Sprachraum älteste Photographische Gesellschaft freilich schon vor Jahrzehnten. Mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie setzte ihr Niedergang ein, 1918 musste die Gesellschaft aus Kostengründen ihr Vereinslokal aufgeben, ihre umfangreiche Sammlung an Fotos, Materialproben, Apparaten und Büchern wurde 1930/31 an die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt verschenkt. Im Jahr 1999 kam diese Kollektion zusammen mit anderen Beständen der Graphischen als Dauerleihgabe an die Albertina.
Wenn die Albertina als Erbin dieser Sammlung nun der Geschichte der Photographischen Gesellschaft in den Jahren zwischen 1861 und 1945 eine Ausstellung widmet, so teilt sich diese Periode in zwei große Abschnitte: die Jahrzehnte des Aufstiegs von 1861 bis etwa 1914 und jene des Niedergangs.[1] Eigentlich hätte man die Schau getrost mit dem Ersten Weltkrieg enden lassen können, denn die Bedeutung der Gesellschaft für die Entwicklung der Wiener und der österreichischen Fotoszene war danach marginal. Es ist daher folgerichtig, wenn der Großteil der Ausstellung der Fotografie im 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende gewidmet ist. Dieser Teil der Schau ist auch der interessanteste. Auch wenn zahlreiche der gezeigten Arbeiten bereits in früheren Ausstellungen zu sehen waren und einige der thematischen Kapitel aus anderen Albertina-Ausstellungen entlehnt sind, gibt es doch auch Neuentdeckungen. In einem breit angelegten Bilderstrom werden die kommerziellen, technischen und wissenschaftlichen Aufbrüche der Wiener Fotoszene eindrucksvoll dargestellt. Die Explosion der Bilderwelt setzte Ende der 1850er u.a. mit dem Aufkommen der Visitkartenfotografie ein. Das Fotografengewerbe kommerzialisierte sich in den folgenden Jahren und weitete sich rasant aus. 1888 kam es auf Betreiben der Photographischen Gesellschaft zur Gründung der „k.k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproductionsverfahren“ , jener Einrichtung, die jahrzehntelang zu den internationalen Vorzeigeinstituten der Fotografieausbildung und -forschung werden sollte. Die Photographische Gesellschaft war in ihren Anfängen Motor und Sammelbecken für diese stark wissenschaftlich-technisch geprägte Aufbruchsbewegung. Um die Jahrhundertwende allerdings verlor sie ihren Alleinvertretungsanspruch. Neue, konkurrierende Vereine tauchten auf: 1889 wurde in Wien der Club der Amateur-Photographen gegründet (1893 in Camera-Club umbenannt), 1905 machte sich die Genossenschaft für Fachphotographen als Vertretung der gewerblichen Lichtbildner selbständig. Allmählich wurde aus dem einst innovativen, aufgeschlossenen Verein ein konservativer bürgerlicher Honoratiorenclub, der die Zeichen nicht mehr zu lesen verstand.
Die Ausstellung heißt im Untertitel „Die Photographische Gesellschaft in Wien 1861–1945. Aber eingelöst wird diese Ankündigung nicht. Als roten Faden hat die Kuratorin Monika Faber fünf historische Ausstellungen (aus den Jahren 1864, 1873, 1901, 1904 und 1932) ausgewählt, an denen Mitglieder der Gesellschaft vertreten waren. Aber diese historischen Ausstellungen werden nicht genauer untersucht, sie bilden lediglich eine lose verbindende Klammer. Gezeigt werden nicht die Bilder dieser Ausstellungen, sondern Arbeiten von Mitgliedern der Gesellschaft, die auf diesen Ausstellungen vertreten waren. Das mutet, zumindest in Bezug auf die Geschichte der Gesellschaft, ziemlich willkürlich an.
Je mehr Material gezeigt wird, desto weiter entfernt sich die Ausstellung von der Geschichte der Photographischen Gesellschaft. Gewiss werden wichtige Anwendungs- und Experimentierfelder der Fotografie des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Aber es stellt sich die Frage: Was genau haben diese mit der Photographischen Gesellschaft zu tun? Ein letztes Kapitel beleuchtet die Fotografie der Zwischenkriegszeit. Aufgehängt ist dieser Abschnitt ebenfalls an einer Ausstellung, der Internationalen kunstphotographischen Ausstellung im Glaspalast/Burggarten in Wien. Warum gerade diese Ausstellung? Auch an anderen Expositionen dieser Jahre haben Mitglieder der Gesellschaft teilgenommen. Auch die Bildauswahl führt hier in die Irre: Da werden ziemlich unvermittelt einige Neuerer der Fotografie neben einige Traditionalisten gereiht. Die wirklichen Konflikte, die die Fotoszene der Zwischenkriegszeit prägten, werden nicht vermittelt, ebenso wenig die Rolle der Photographischen Gesellschaft in dieser Auseinandersetzung, so es sie überhaupt gab.
Wer an einer Geschichte der Photographischen Gesellschaft interessiert ist, wird in der Ausstellung also kaum fündig. Er muss auf den Katalog zurückgreifen. Dieser weist, das ist bemerkenswert, nur wenige inhaltliche Berührungspunkte zur Ausstellung auf. Das ist schade, zumal auf diese Weise wichtige Ergebnisse der Recherche den Ausstellungsbesuchern vorenthalten werden. Der vom Herausgeber Michael Ponstingl sorgfältig zusammengestellte Band rekonstruiert detailreich und umsichtig die Geschichte und das Umfeld der Photographischen Gesellschaft. Im einleitenden Beitrag kondensiert der Herausgeber aus den spärlichen überlieferten Resten des Vereinsarchivs und aus anderen Quellen eine spannende Geschichte der Gesellschaft, die auch vor brisanten Details (etwa der politischen Verstrickung der Vereinsführung im Nationalsozialismus) nicht Halt macht. Weitere Beiträge beleuchten die Geschichte der Vereinszeitschrift, der Photographischen Correspondenz, die Ausstellungspolitik und -praxis der Gesellschaft, ihre wissenschaftlichen Anliegen, ihre zentrale Rolle bei der Gründung der „k.k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproductionsverfahren“ und das Verhältnis zwischen Photographischer Gesellschaft und den elitären Sezessionisten der Amateure um die Jahrhundertwende.
Ulrike Matzer schließlich behandelt ein Kapitel der österreichischen Fotogeschichte, das, zumindest für das 19. Jahrhundert, noch Neuland ist: die Präsenz von Frauen in der Fotografie und insbesondere in der Vereinspolitik der Photographischen Gesellschaft. Ganze zwei Prozent betrug bis um 1910 der Anteil der Frauen, die Mitglieder der Gesellschaft waren. In der Regel handelte es sich, so führt Matzer aus, um besser gestellte Atelierbesitzerinnen, viele von ihnen stammten aus dem jüdisch-assimilierten, liberalen Großbürgertum. Diese Frauen konnten zwar Mitglieder der Gesellschaft werden, aber die Fachausbildung an der Graphischen blieb ihnen bis 1908/09 verwehrt. In den Vereinsstrukturen hatten auch weiterhin konservative Männerbünde das Sagen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ab den 1920er Jahren viele Fotografinnen ihre Karriere außerhalb dieses Netzwerks aufbauten.
[1] Im Winter 2011/2012 findet im Wiener Künstlerhaus eine weitere Ausstellung über die Photographische Gesellschaft statt, die die Jahre 1945 bis heute abdeckt. Die Schau heißt „Zeitzeugen - Photographie in Österreich nach 1945“ und ist vom 16. Dezember 2011 bis 29. Januar 2012 zu sehen.
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