Katarzyna Gorska
Die Akte des Aktes. Pierre Molinier
Masterarbeit am Kunsthistorischen Institut der Ruhr Universität Bochum, Prof. Dr. Beate Söntgen – Abschluss Juni 2011 – Art der Finanzierung: Privat – Kontaktadresse: Gorska@gmx.net
Erschienen in: Fotogeschichte 122, 2011
Pierre Moliniers (1900 – 1976) fotografische Werke könnte man problematische Kunst nennen, weil sie das Thema der Sexualität berühren. Und obwohl die Thematik des menschlichen Körpers, seiner Nacktheit und Sexualität der Kunst nie ganz fremd war, präsentieren seine Arbeiten sie auf eine besondere Weise. Während sexuelle Handlungen meistens nur angedeutet werden, werden sie bei Pierre Molinier in aller Deutlichkeit, ohne Metaphern und Einbettung in mythologische Zusammenhänge, gezeigt. Entblößte sexuell konnotierte Körperteile wie erigierte Penisse und strotzende Ani und Brüste sind feste Bestandteile seiner fotografischen Arbeiten. Der Akt steht der Pornografie gegenüber. Oder vereinigen sich die beiden Kategorien in seinen Werken? Als pornografisch werden Darstellungen bezeichnet, die eine explizite sexuelle Handlung veranschaulichen, beziehungsweise den genitalen Bereich betonen. Beide Begriffe haben den gleichen Gegenstand, den nackten Menschen, unterscheiden sich jedoch in der formalen Lösung der Visualisierung. Die Pornografie wird als Nicht-Kunst in Opposition zur Kunst gestellt. Sind also Moliniers Werke deswegen als pornografisch einzuordnen, weil sie sich zu explizit über die Sexualität äußern? Wo besteht die Grenze zwischen dem Darstellbaren und dem Nicht-Darstellbaren, zwischen Kunst und Nicht-Kunst? Ist sie überhaupt auszumachen?
Die Anatomien, die Molinier schuf, sind gekennzeichnet von großer Ambiguität. In seinen Werken erscheint der Künstler, der meist als Hauptakteur fungierte, glaubhaft als eine Frau, ein anderes Mal widerspricht er diesem Bild, indem er zusätzlich seinen Penis zur Schau stellt. Auf anderen Werken wiederum erscheinen anamorphe, fast ornamentale Figurationen, die zwar aus fotografierten Körperteilen bestehen, aber keiner Entsprechung in der Wirklichkeit finden. Es ist die fotografische Technik, die das Entstehen dieser unmöglichen Körper gestattete. Die Fotografie trägt, unter der Prämisse der Indexikalität betrachtet, dazu bei, die Konstruiertheit des Körpers zu verschleiern. Diese Eigenschaft wird von Molinier vor allem mit der Gattung der Fotomontage in Frage gestellt. Seine Fotomontagen bringen auch das Problem des legitimen Körpers und somit auch das Problem der legitimen Identität zur Sprache. Damit Identitäten gebildet werden können, werden bestimmte Körper verworfen, wie Julia Kristeva dargelegt hat. Der Vorgang der Verwerfung generiert Subjekte. Das Subjektwerden ist ein andauernder Prozess der Entscheidung zwischen dem Normalen (Ich, Kunst) und dem Nicht-Normalen (Nicht-Ich, dem Obszönen). So geht die Arbeit auch der Frage nach, auf welche Weise der Subjekt-Körper in Moliniers Arbeiten sichtbar gemacht wird.
Die Auseinandersetzung mit Pierre Moliniers Arbeiten erfolgt vor dem Hintergrund der Annahme, dass jede Form der Bedeutung aus einem Prozess performativer Wiederholungen hervorgeht. Eine Annahme, die sich stark am Begriff der Performativität von Judith Butler anlehnt. Da auch die Kunst Realitäten setzt, ist auch sie eine performative Praxis. Der Künstler kann, wie Dorothea von Hantelmann in How to Do Things with Art darlegt, nur innerhalb der Konventionen agieren, wenn er verstanden und anerkannt werden will.Das Agieren mit den gesellschaftlichen Konventionen und nicht ein Bruch mit ihnen trägt, der Theorie Butlers nach, zur Veränderung der Konventionen, in welchem Sinne auch immer, bei. Moliniers Akte sind nichts anderes als das Zitieren bestimmter alltäglicher Bilder und Handlungen, sowie künstlerischer Formen. Die Verwendung der Collage alleine verdeutlicht wörtlich diese Überlagerungen. Seine Arbeiten revidierten den Begriff Geschlecht in der Kunst und Gesellschaft. Sie reflektieren und hinterfragen die Materialität des Körpers, indem sie die permanente Wiederholung von Körperbildern vorführen. Kann es sein, das sie von Möglichkeiten sprechen, die anders funktionieren als die Phantasmen der Vollkommenheit der legitimen Geschlechtskörper?
Moliniers Akte handeln unzweifelhaft und in ihrem Handeln offenbaren sie bestimmte Normen, die sowohl gesellschaftlich als auch für das Feld der Kunst ihre Gültigkeit besitzen. In Forschungsarbeit geht es darum zu zeigen, welcher Spielraum Molinier innerhalb der künstlerischen und gesellschaftlichen Konventionen zur Verfügung stand. Es wird dem nachgegangen, inwieweit es ihm möglich war mit fotografischen Mittel, danach zu fragen, wie (s)ein Körper in der Gesellschaft zu Stande kommt, bzw. zu Stande gekommen ist.
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