Iris Metje, Stefan Schweizer
Der weite Horizont. Landschaft und Fotografie
Editorial zu Fotogeschichte, Heft 120, 2011
Henry Fox Talbot erklärte seine Motivation, ein Verfahren zu finden, mit dem er das in der Camera obscura erzeugte Abbild der Natur dauerhaft machen konnte, mit seinem Unvermögen, eine italienische Landschaft zeichnen zu können (The pencil of nature, 1844/46). Diese Äußerung steht beispielhaft für einen Aspekt der steigenden Nachfrage an leicht verfügbaren und authentischen Bildern im 19. Jahrhundert.
Landschaft setzt ihre Betrachtung voraus, insofern ist sie immer auch ein Bild. Als Ausschnitt der sichtbaren Natur (im engeren Sinne) oder der menschlichen Umwelt (etwa als Stadtlandschaft) wird sie vom Rezipienten wahrgenommen, ohne den Landschaft nicht als solche existiert. Mit ihrer malerischen und literarischen Konstituierung eng verknüpft, entstand die Vorstellung von Landschaft als neuzeitliches Phänomen, das in seiner Darstellung immer auch die jeweils zeitgenössische Wahrnehmungskonvention von Natur transportierte. Zugleich emanzipierte sich Landschaftsfotografie rasch von der Malerei, da der Dokumentationswert ihrer Werke neue funktionale Ansprüche – militärische, kartografische, industrielle – einlöste.
Wie die Idee und Wahrnehmung von Landschaft mit sich historisch wandelnden Konzepten verbunden ist, steht auch das Genre Landschaftsfotografie nicht für einen eng umrissenen Bildgegenstand, sondern fächert sich in ein breites Spektrum unterschiedlicher Motive und Positionen auf. Solche durch Fotografie abgebildeten Ideen von Landschaft reichen von der durch die Kamera ‚eroberte’ Natur als Wildnis über die klassische Landschaft als Souvenir oder gar Reiseersatz und die „nationale Landschaft“ als Ausdrucksform ideologischer Überhöhung bis zur Ausweitung des Landschaftsbegriffs auf eine vom Menschen künstlerisch oder zivilisatorisch gestaltete, schließlich bedrohte und verschwindende Natur.
Im Motivrepertoire der Landschaftsfotografie spiegelt sich die Vielschichtigkeit eines Landschaftsbegriffes wider, dem nur selten Rechnung getragen wird. Dominiert von Handbüchern, Bildbänden und Katalogen, verzichtet die Literatur zur Landschaftsfotografie weitgehend auf grundsätzliche Überlegungen wie die von Wolfgang Kemp (1975) oder die Einbeziehung einer Rückbindung fotografischer Positionen an unterschiedliche Landschaftskonzepte.
Als die Fotografie in den 1830er Jahren erfunden und anwendbar geworden war, befand sich das Landschaftsbild auf einem Höhe- und zugleich an einem Wendepunkt seiner Entwicklung. Das neue Medium übernahm seine Motive zunächst aus dem Repertoire der Malerei und seither ist die Landschaft ein fester Bestandteil des Spektrums fotografischer Motive; sie ist gerade auch in aktuellen künstlerischen Positionen präsent. Ungeachtet dieser Relevanz herrscht in der Fotografiegeschichte Mangel an einer Überblicksdarstellung zur Entwicklung der Landschaftsfotografie. An diesem Punkt setzt das Themenheft Landschaftsfotografie an.
Zwei Beiträge zeichnen Entwicklungslinien der Landschaftsfotografie nach. Während sich Ulrich Pohlmann der Gattungsgenese bis 1900 widmet und dabei die neuen funktionalen Rahmenbedingungen kenntlich macht, innerhalb derer Landschaftsfotografie erst entstehen konnte, systematisiert Klaus Honnef die Vielfalt künstlerischer Positionen von Landschaftsfotografie im 20. Jahrhundert. Die Beliebtheit, der sich Landschaft als Motivspektrum bei Fotografen im ausgehenden 20. Jahrhundert erfreute, führt Honnef auf das dem Themenkreis innewohnende Potential zur künstlerischen Selbstreflexion zurück.
Vier Beiträge beleuchten unterschiedliche Gegenstände der Landschaftsfotografie. Almut Weinland beobachtet die Entwicklung der maritimen Landschaft. Bereits diese Begriffskonstruktion für Motive, die man im Zeitalter vor der Fotografie noch als See- bzw. Meeresstücke bezeichnete, verdeutlicht die buchstäbliche Weite der Semantik von Landschaft. Der darin aufscheinende konstruktive Charakter von Landschaft wird auch im Beitrag von Iris Metje thematisiert, die sich der widersprüchlichen Motivik von Industrielandschaft widmet. An der Erzeugung und Wandlung einer diesbezüglichen Semantik ist Fotografie beteiligt, zumal dann, wenn die fotografische Inszenierung die Emanzipation des Landschafts- vom Naturbegriff kenntlich macht.
Wie Gärten und Parks einen Sonderfall von Landschaft darstellen, so kann Gartenfotografie einen Sonderstatus im Rahmen der Landschaftsfotografie für sich beanspruchen. Die gesteigerte Künstlichkeit des Gartens gegenüber der Landschaft bestimmt die motiv- und funktionsgeschichtliche Perspektive in Stefan Schweizers Beitrag. Dass Rolf Sachsse ausgerechnet mit Blick auf Heimatfotografie die Erosion des Landschaftsbegriffs und eine Relativierung autonomer Landschaftsfotografie beobachten kann, verweist noch einmal auf den Charakter von Landschaft als einer Kategorie, die als multimediale wie polyvalente Größe anzuerkennen ist.
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