Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Nanni Baltzer

Fotomontage im Kontext faschistischer Propaganda im Italien der Dreißigerjahre

Dissertation am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich, Referenten: Prof. Dr. Stanislaus von Moos (Universität Zürich), Prof. Dr. Kurt W. Forster (Yale School of Architecture) – Abschluss: Januar 2009 – Veröffentlichung: 2010 (geplant), Akademie Verlag Berlin - Kontaktadresse: nannibaltzer@gmx.net

Erschienen in: Fotogeschichte 119, 2011

Die Rhetorik des Faschismus, sein Kult, seine Liturgie, sein Bildprogramm wurden bis heute in unzähligen Studien untersucht, genauso wie die bildenden Künste und die Architektur des ventennio fascista. Hingegen wurde die Fotomontage als spezifisches Ausdrucksmittel bisher vernachlässigt, Untersuchungen zu ihrer Verwendung im Kontext der faschistischen Propaganda in den 1930er Jahren gibt es kaum. In der vorliegenden Arbeit wird zum ersten Mal die Fotomontage im Faschismus als Propagandamittel von offizieller, aber auch von privater und kommerzieller Seite erforscht. Die Dissertation füllt damit eine Forschungslücke und kontextualisiert zahlreiche – teilweise kaum bekannte –  Fotomontagen. Darüber hinaus gibt sie Aufschluss über Propagandathemen und -mechanismen des Faschismus insgesamt. Die untersuchten Montagen entstanden in den 1930er Jahren und müssen in engem Zusammenhang mit (kultur)politischen Ereignissen des italienischen Faschismus gesehen werden.

Der Fotomonteur wird von den totalitären Regimes dieser Jahre begeistert aufgenommen: Stalins Sowjetunion spannt den „Arbeiter-Ingenieur“ ein, ebenso Hitlers Deutschland und Mussolinis Italien. Fotomontagen werden in den Printmedien und in der Werbung verwendet, v.a. aber in populären Ausstellungen mit aufklärerischem Impetus (zu autochthonen Materialien, Kind und Familie, Arbeit und Freizeit, Sport oder Hygiene). Aber nicht nur totalitäre Regimes bedienten sich in den 1930er Jahren der Fotomontage, sondern auch die demokratische Regierung der USA. Der Grund dieser Verbreitung ungeachtet ideologischer Hintergründe liegt nicht zuletzt in der Verständlichkeit des Mediums. Zwar muss, gerade im politischen Kontext, die Aussage der Montage häufig entziffert werden, sie setzt aber, als Bild-Geschichte, keine Kenntnis des Alphabets voraus und ist somit allgemein verständlich (in Italien lebten noch 1931 21 Prozent Analphabeten).

Untersucht wurden Fotomontagen, die über die simple Darstellung eines einfachen Sachverhalts hinausgehen und die Rolle eines eigentlichen Manifests übernehmen, d.h. als Stellungnahme zu kulturellen oder politischen zeitgenössischen Fragen zu lesen sind. Viele der Montage-Autoren sind bis heute unbekannt, ebenso fehlen häufig Informationen zu den genauen Umständen und Daten der Entstehung, was die stilistisch-ästhetische Einordnung in ein künstlerisches Gesamtwerk unmöglich macht und damit auch die kunstkritische Beurteilung erschwert. In einem der Fallbeispiele sind politische und kulturelle Begleitumstände sehr gut dokumentiert und auch erforscht (Mostra della Rivoluzione Fascista, Rom 1932), in einem andern Fall – einer Dokumentation zum Städtebau in Rom in den dreißiger Jahren – konnte nichts Näheres zu Autor und Auflage, Grund oder Zielpublikum der Publikation herausgefunden werden. Die dargestellten Szenen mit Mussolini als Protagonisten zeigen den umfassenden Umbau Roms, der an Baron Haussmanns Umgestaltung von Paris im 19. Jahrhundert denken lässt. Eine ikonografische Analyse von Mussolinis Gesten erlaubte eine Interpretation, die weit über das unmittelbar Sichtbare hinausgeht.

Gerade dieses anonyme und bis heute in der Literatur vollkommen unbekannte Beispiel zeigt exemplarisch, wie das Medium der Montage als Propagandamittel eingesetzt wurde. Mit Hilfe montierter unterschiedlicher Realitätsausschnitte wird Mussolini als absoluter Herrscher im päpstlichen Rom dargestellt. Fast ohne Worte erzählt die Montage nicht nur eine Geschichte – die Zerstörung der alten Bauten zugunsten neuer Achsen und freigelegter Monumente –, sondern schafft es darüber hinaus, Mussolini auf eine Ebene mit dem Papst zu stellen und als creator einer Stadt, eines Imperiums, einer Epoche (epoca fascista) zu etablieren. In den 1930er Jahren war diese Aussage im Bewusstsein der katholischen Bevölkerung Italiens fest verankert, heute ist sie - wie zahlreiche weitere Anspielungen - nur dank detaillierter und umfassender Rekonstruktion des historischen Hintergrunds zu verstehen.

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