Benjamin Städter
Fotografie in der Region
Bernd Walter, Thomas Küster (Hg.): Westfälische Forschungen. Zeitschrift des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte 58/2008. Themenschwerpunkt: Fotografie – Region – Geschichte, herausgegeben von Volker Jacob und Markus Köster, Münster: Aschendorff Verlag, 2008 – 24,5 x 16,5 cm, 803 S., 224 Abb. in S/W, gebunden – 69,60 Euro, im Abonnement 52,20 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte 113, 2009
Dass die Auseinandersetzung mit Fotografien als historische Quellen sich mehr und mehr zu einer anerkannten Disziplin in der Geschichtswissenschaft entwickelt, zeigt die neueste Ausgabe der Zeitschrift für westfälische Forschungen, die sich dem Themenschwerpunkt „Fotografie – Region – Geschichte“ widmet. Dabei wollen die Herausgeber Volker Jacobs und Markus Köster eine Lücke füllen, die auch von der in den letzten Jahren vermehrten Beschäftigung der Historiker mit Fotografien bisher noch nicht geschlossen wurde: Die Diskussion regionalgeschichtlicher Fragestellungen auf der Grundlage fotografischer Quellen. Denn gerade in regionalgeschichtlichen Publikationen werden auch heute Bilder noch vornehmlich als Illustrationen der anhand von schriftlichen Überlieferungen erzählten Geschichte verwertet und nicht als eigenständiges Quellenmaterial in den Blick genommen. So dürfen zwar in keiner Stadtgeschichte eine Abbildung der mittelalterlichen Urkunde, die den Erhalt der Stadtrechte anzeigt, oder der Blick auf die durch den Bombenkrieg zerstörte Stadtkirche fehlen, eine quellenanalytische Auseinandersetzung mit den visuellen Zeugnissen der Vergangenheit scheint vielen Autoren indes nicht geboten.
In klarer Abgrenzung zu diesen illustrierten Heimatgeschichten fordern die beiden Herausgeber in ihrer Einleitung eine Verknüpfung von regionalgeschichtlichen und fotohistorischen Fragestellungen. Vor diesem Hintergrund entwickeln sie die drei thematischen Schwerpunkte „Fotoentwicklung und -überlieferung in Westfalen“, „Fotografien als Medien regionaler Identitätsstiftung“ und „Fotografien als Quellen der Zeitgeschichte“, denen die einzelnen Beiträge nachspüren.
Da es dem Rezensenten weder möglich noch sinnvoll scheint, alle fünfundzwanzig Beiträge des Bandes vorzustellen, sollen im Folgenden in Übernahme der von den Herausgebern gewählten Struktur des Bandes einzelne Aufsätze exemplarisch herausgegriffen werden. In dem ersten thematischen Kapitel fragen die Autoren nach der Entwicklung und Überlieferung der Fotografie in Westfalen. In einer vergleichenden Perspektive werden hier an ganz konkreten Beispielen die Spezifika der Fotogeschichte in der Region Westfalen mit einem organisationsgeschichtlichen Schwerpunkt herausgearbeitet. Einen allgemeinen Überblick gibt Volker Jacobs in seinem stark sozialgeschichtlich geprägten Beitrag „Fotografie in Westfalen. Das 19. Jahrhundert“. Unter Heranziehung unzähliger Quellen kann er zeigen, dass die regionale Popularisierung der Fotografie als „Schlüsselmedium der Epoche“ zunächst durch einzelne herausstechende Persönlichkeiten wie dem Fotografen Friedrich Hundt, aber auch durch bisher wenig beachtete Wanderdaguerreotypisten vorangetrieben wurde. In der Gründerzeit erlebte die sich etablierende Fotowirtschaft dann einen enormen Boom, der u.a. deren konsequente Kommerzialisierung mit sich brachte. Jacobs leistet in seinem Beitrag mit der Einbeziehung zahlreicher Archivalien eine wahre Kärrnerarbeit, auf der die kulturhistorische Forschung zur Fotografie in Zukunft aufbauen kann.
Vor dem Hintergrund der Stiftung und Tradierung regionaler Identitäten widmen sich die Beiträge des zweiten Kapitels der Bedeutung von Fotografien für die Selbst- und Fremddarstellung verschiedener sozialer Gruppen. So fragt etwa Barbara Stambolis nach den Selbstinszenierungen westfälischer Schützenvereine in der fotografischen Darstellung der Schützenfeste. Dabei kann sie zeigen, dass sich der reale Wandel der Schützenvereine, der sich etwa im Ablegen des militärischen Habitus’ oder auch im Wandel der Frauenrolle zeigt, in deren fotografischen Inszenierungen kaum widerspiegelt. Vielmehr scheint es, als würden die Schützen ihre tatsächlich aufgegebenen Traditionen gerade in der bildlichen Selbstdarstellung bewahren wollen. An dieser Stelle wäre sicher noch ein Vergleich mit anderen Regionen interessant gewesen. So bleibt es unklar, ob die Thesen Stambolis’ ein Spezifikum der Region Westfalen sind oder ein allgemeines Phänomen im deutschen Schützenwesen. Solch eine Vergleichsebene hätte ohne Zweifel in vielen Aufsätzen den explizit regionalgeschichtlichen Ansatz des Bandes noch schärfen und die Besonderheiten fotografischer Überlieferungen in Westfalen noch deutlicher umreißen können.
Ein dritter Themenschwerpunkt befasst sich mit Fotografien als Quellen der Zeitgeschichte. Gerade die Aufsätze zu den fotografischen Überlieferungen der Judendeportationen, des Bombenkrieges, des Italienurlaubs in der Zeit des Wirtschaftswunders und ansatzweise auch der Studentenproteste 1968 greifen dabei Themen auf, denen sich die historische Forschung in den vergangenen Jahren mit teils ausführlichen Studien gewidmet hat. Leider werden diese nicht immer konsequent herangezogen. So attestiert Fabian Schwarzer in seinen Ausführungen über die Visualisierung des Bombenkrieges in einer Fotoausstellung des Stadtmuseums Münster der historischen Forschung einen stiefmütterlichen Umgang mit der Rezeptionsgeschichte der Luftkriegsfotografie. Er übergeht aber die grundlegenden Studien von Ludger Derenthal, Jörn Glasenapp, Jörg Arnold und anderen, die teils in Reaktion auf Jörg Friedrichs Monografie „Der Brand – Deutschland im Bombenkrieg“, teils aber auch bereits zuvor veröffentlicht wurden. Somit fehlt es Schwarzers interessanten Überlegungen bisweilen an einer Kontextualisierung und einer Diskussion, was die Rezeption der Zerstörung Münsters von der in anderen Städten unterschied. Auch Anke Asfur beginnt ihre Ausführungen über die Urlaubsfotografie der 1950er und 1960er Jahre zwar mit einer pointierten Zusammenstellung bisheriger Forschung, der regionale Bezug ihres Aufsatzes bleibt jedoch recht vage: Unterscheidet sich etwa die touristische Knipserfotografie in Westfalen von der bayerischer Urlauber?
Die angeführten Kritikpunkte sollen nicht den Blick auf das fruchtbare Potential eines regionalgeschichtlichen Ansatzes für die fotohistorische Forschung verstellen, das in der überwiegenden Mehrzahl der Beiträge deutlich wird. Gerade für die Zeit vor dem Internet, als man noch nicht mit einem Klick Bilder aus einem weltweiten Pool von Fotografien auf den Bildschirm zaubern konnte und das Fenster zur Welt zumeist noch in der lokalen Presse bestand, versprechen regionalgeschichtliche Untersuchungen einen unverzichtbaren Beitrag für die Produktion und Rezeption des Visuellen. Hierfür bietet der Themenband einen Anfang, dem es zahlreiche Fortsetzungen auch aus anderen Regionen zu wünschen gilt.
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