Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Katja Böhlau

Mode, Körper, Gesellschaft – und Fotografie

Sylvia Brodersen: Modefotografie. Eine fotografische Praxis zwischen Konvention und Variation, Bielefeld: Transcript Verlag, 2017, 22,5 cm x 14,7 cm, 328 S., 24 Farb- und S/W-Abb., kartoniert, 32,99 Euro

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 146, 2017

 

Während es im englischsprachigen Raum im Rahmen der Fashion Studies schon seit längerem Forschung zur Modefotografie gibt, ist die diesbezügliche Literatur im deutschsprachigen Raum bisher dünn gesät. Dieses Feld weiter zu beackern, hat sich die Kunsthistorikerin Sylvia Brodersen vorgenommen. Dies zumindest verheißt ihr kürzlich erschienener Band Modefotografie. Eine fotografische Praxis zwischen Konvention und Variation. Der Titel des Buches lässt vermuten, dass sich die Autorin allgemein und ohne zeitliche Beschränkung mit der Entwicklung bestimmter Konventionen und deren Wandlungen in der Modefotografie beschäftigt und diese zwischen Kunst und Kommerz angesiedelte fotografische Praxis auch hinsichtlich der damit verbundenen Produktionsbedingungen befragt. Der Fokus der Arbeit liegt jedoch im Wesentlichen auf der Modefotografie der 1990er Jahre. 2015 wurde sie als Dissertation an der Philipps-Universität Marburg unter dem Titel "Modefotografie am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Selbsterkenntnis und Entgrenzung" eingereicht. Dieser Titel beschreibt treffender, was die Leserinnen und Leser erwartet.

Nach einem einführenden Kapitel zum Verhältnis von Mode und Fotografie und den Verquickungen von Mode und Kunst, folgt in den Kapiteln III bis IV die Untersuchung zahlreicher Fallbeispiele, die thematisch gegliedert sind und den Hauptteil des Buches ausmachen. Zunächst geht es in Kapitel III um modefotografische Bildwelten zwischen Vergangenheit und Zukunft. Darauf folgt eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen der Körperinszenierung, die in Kapitel V weitergeschrieben wird, verbunden mit den Themen Sex, Krankheit und Tod, wie sie in den 1990er Jahren Eingang in die Modefotografie finden. Anders als in bisherigen Studien zu einzelnen Themen der Zeit wird in Brodersens Buch gerade die Vielfalt innovativer und stilprägender fotografischer Arbeiten deutlich, welche diese parallel zu der Heterogenität modischer Stile in den 1990er Jahren auszeichnet. Eine der zentralen Referenzen Brodersens ist die 1991 erschienene Monografie Appearence von Martin Harrison, ein Buch, in dem Der Autor das Ende der Modefotografie voraussagt, wie sie sich bis dahin entwickelt hatte. Diese Annahme wird Broderson zum Ausgangspunkt ihrer eigenen Arbeit machen.

Für Harrison kündigt sich der Bruch mit einer althergebrachten Form der Modefotografie bereits in einer Fotostrecke von Richard Avedon an, für die dieser die Schauspielerin Isabelle Adjani 1989 auf einem Friedhof aufgenommen hat.  Nur bekleidet mit einem alten Mantel des Fotografen liegt sie auf einem Grabstein und lacht – „literally ‚laughing on the grave of fashion’.“[1] Entstanden sind die Bilder für das französische Kultmagazin Egoïste und nicht wie Brodersen schreibt, als Werbekampagne für den Chanel-Duft Egoïste. Zentral ist jedoch für beide, dass Modefotografien sich mehr und mehr anderen fotografischen Diskursen annähern. Die zunehmende Auflösung von Grenzen zwischen künstlerischer und kommerzieller Fotografie sowie damit verbundene Transformationsprozesse in der Rezeption sind wesentliches Thema von Brodersens Untersuchung.

Während Isabelle Adjani in Avedons Fotografien zumindest teilweise mit einem Mantel bekleidet ist, wurde die Kleidung in der Fotostrecke „Homosapiens Modernus“ von Mikael Jansson für das Magazin Dutch 1998 gleich völlig weggelassen. Anhand dieses Beispiels verweist Brodersen auf ein Phänomen, das in der Modefotografie seit den 1990er Jahren häufiger anzutreffen ist: die Abwesenheit von Kleidermode. Die 83 Seiten umfassende Strecke von Schwarz-Weiß-Fotografien zeigt komplett nackte weibliche und männliche Models, die ins Wasser oder über Wiesen laufen, auf Bäumen sitzen oder sich auf dem Boden liegend die Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Jedem Bild ist ein Designer-Label zugeordnet, unter ihnen Namen wie Jil Sander, Prada Sport, Calvin Klein und Chanel. Damit werden die Bilder zu Modefotografien ohne Mode – zumindest aber ohne Kleider. In der ‚Naked Issue‘ von Dutch tritt die Abwesenheit der Kleidung in geballter Ladung zutage und stellt damit auch die Frage nach einem gewandelten Verhältnis von Kleidermode und Modefotografie. „Es scheint“, so Brodersen, „als sei die Modefotografie nicht mehr so präzise definierbar, wie Barthes‘ Analyse [Die Sprache der Mode, 1967] vermuten lässt.“[2]

Diese Weite in der Definition der Modefotografie liegt auch in der Bildauswahl Brodersens zugrunde, diesowohl Fotografien für Werbekampagnen und Kataloge von Modehäusern, als auch redaktionell bearbeitete Modestrecken für Mode- und Lifestyle-Magazine umfasst. Neben Fotografien für Vogue rückt sie vor allem Aufnahmen für die britischen Magazine The Face, i-D und Dazed and Confused ins Zentrum ihrer Betrachtungen, da sich insbesondere London seit den 1980er Jahren zu einem wichtigen Ort kreativer Innovationen in Kunst und Mode entwickelt habe. Dieser Fokus ergibt sich jedoch auch aus dem zentralen Anliegen Brodersens, das der Autorin zufolge darin besteht, darzulegen, „auf welche Art und Weise im Besonderen die Modefotografie der 1990er Jahre das Modefoto als ausstellungswürdiges Objekt und wissenschaftlichen Forschungsgegenstand legitimiert hat“.[3] Mit einem solchen Zugang baut sie letztlich auf eine schon erfolgte Rezeption und Kanonbildung seitens AusstellungskuratorInnen und HerausgeberInnen von Bildbänden auf. Damit schreibt sie jedoch auch die Narration einer westlich orientierten Geschichte der Modefotografie fort. Forschungen, die gerade für die Zeit nach dem Kalten Krieg auch die Entwicklungen in der östlichen Welt und den Transfer zwischen West und Ost in den Blick nehmen, stellen noch ein Desiderat dar.

Wie die Modefotografie Einzug in die Kunstwelt gehalten hat und Modefotografien sich den Weg in den Ausstellungsraum gebahnt haben, legt Brodersen im zweiten Kapitel dar. Herausgelöst aus dem ursprünglichen Kontext des Magazins erfahren die Fotografien gerahmt an der Museumswand einen Bedeutungswandel vom dienenden Modebild zum autonomen Werk. Diesen Wandlungen von Rezeptionsprozessen und ihren Dynamiken geht Brodersen in ihrer Studie nach. Vor allem in diesen Passagen hat die Arbeit ihre größten Stärken und eröffnet spannende Denkanstöße.

Im Rahmen ihrer Ausführungen zur Eroberung der Kunstwelt verweist Brodersen zwar auf die Bedeutung von anderen Akteuren der Modefotografie, wie StylistInnen und Hair-und Make-up-ArtistInnen, in ihren Fallbesprechungen spielen diese jedoch keine Rolle. Stattdessen erweckt es den Anschein, als wären es allein die autonomen BildautorInnen, welche der kommerziellen Auftragsfotografie zu künstlerischem Wert verhelfen. Brodersen differenziert dabei zwei Typen von FotografInnen, den emanzipierten und den (Anti)Modefotograf. Fraglich bleibt, warum es wichtig ist eine Beschäftigung mit Modefotografien unbedingt über deren künstlerischen Wert zu legitimieren.

Entsprechend der gewandelten Bedeutung der Kleidermode in der Modefotografie der 1990er Jahre richtet Brodersen den Blick in ihren Untersuchungen unterschiedlicher Bildlösungen zentral auf den Körper. Die besprochenen Darstellungen des Körpers reichen von möglichst authentischen bis hin zu künstlich konstruierten, von idealisierten bis hin zu kranken und toten Körpern. Dem Realismus von FotografInnen wie Corinne Day, Wolfgang Tillmans oder Juergen Teller stellt sie die hyperreal anmutenden Bilder von Inez von Lamsweerde und Vinoodh Matadin gegenüber, die Ende der 1980er Jahre begonnen haben, mit der digitalen Bearbeitung ihrer Bilder zu experimentieren. Während bei den Frauen in Mario Sorrentis Modestrecke „Swoon“ für The Face 1999 nicht eindeutig wird, ob sie schlafen oder tot sind, liegt der ausgemergelte Körper des an AIDS erkrankten David Kirby tatsächlich auf dem Sterbebett. Das zunächst 1990 im LIFE Magazin veröffentlichte Bild wurde eines der umstrittensten Fotos der Werbekampagne Oliviero Toscanis für Benetton.[4] Brodersen befragt hier die Verschränkung von Realität und Werbebild und dessen veränderte Rezeption durch den neuen Kontext.

Brodersens Arbeit stellt eine umfangreiche Zusammenführung unterschiedlicher Aspekte der Modefotografie der 1990er Jahre dar und bildet damit eine gute Grundlage für weitere Forschungen zur Modefotografie. Anschaulich verankert die Autorin die Modefotografien in ihrer Bezugnahme auf gesellschaftliche Themen der Zeit, von Cyberspace und Klon-Experimenten bis hin zur AIDS-Krise. Schade ist nur, dass es sich bei den besprochenen Beispielen fast ausschließlich um solche handelt, die bereits von anderen AutorInnen thematisiert wurden, sodass das Buch damit wenig neues Material bereithält.


[1] Martin Harrison: Appearance, München/Paris 1991, S. 300.

[2] Ebenda, S.40.

[3] Ebenda, S. 8.

[4] Vgl. ebenda, S. 276.

 

 

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