Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Anton Holzer

Kunst und Fotografie – eine frühe Liaison

Monika Faber: Inspiration Fotografie. Von Makart bis Klimt. Eine Materialiensammlung. Mit Beiträgen von Michael Ponstingl, hg. von Monika Faber und Agnes Husslein-Arco, Wien: Österreichische Galerie Belvedere, Photoinstitut Bonartes, 2016, 272 S., zahlreiche Abb. in Farbe und S/W, 28,5 x 25,5 cm, broschiert, 39 Euro

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 142, 2016

Im Jahr 1842 schuf der Wiener Künstler Franz von Perger ein repräsentatives Ölgemälde, das ihn inmitten einer Zusammenkunft von Künstlern in seinem Atelier zeigt. Die Inszenierung ist nicht weiter bemerkenswert, der Anlass des Treffens ist längst vergessen und auch der Ruhm des Künstlers ist verblasst. Wäre da nicht ein kleines Detail im Bild, das überaus interessant ist. An der hinteren Rückwand des gemalten Zimmers, in dem das Treffen stattfindet, steht auf einem Schrank eine ovale Voigtländer-Kamera. Man könnte dieses kleine Objekt, das wie beiläufig in das Interieur des Raumes integriert ist, fast übersehen. Nur wenn man den Raum und all seine Accessoires genau in den Blick nimmt, bemerkt man es. Die konisch geformte, metallene Kamera ist mehr als nur ein Zierstück. Sie kündet von einer neuen Ära, die der Malerei bevorsteht, drei Jahre nachdem das neue Medium der Fotografie die Bühne betreten hat. Voigtländer hatte die lichtstarke, nach den Berechnungen des Wieners Physiker Josef Petzval gebaute Kamera ein Jahr zuvor, 1841, auf den Markt gebracht und von Wien aus vermarktet. Sie wurde bald ein internationaler Erfolg.

Wie hat die Fotokamera, dieses noch junge und doch so magische Objekt, die Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beeinflusst und verändert hat? Das ist das Thema des Bandes Inspiration Fotografie. Der Ausstellungskatalog erschien anlässlich einer Ausstellung, die 2016 im Wiener Belvedere gezeigt wurde. Monika Faber untersucht darin das komplexe Verhältnis zwischen beiden Medien im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In dicht ineinander verwobenen, materialreichen Fallstudien zeigt sie auf, wie umfassend und selbstverständlich die Fotografie schon wenige Jahre nach ihrem öffentlichen Auftauchen in künstlerischen Kreisen rezipiert und verwendet wurde. Faber schließt mit ihrer Arbeit an die wegweisenden Studien an, die in den letzten Jahren zum Thema erschienen sind, etwa den Band von Dominique de Font-Réaulx: Peinture & photographie. Les enjeux d’un rencontre, Paris 2012 sowie den Katalog von Ulrich Pohlmann: Eine neue Kunst? Eine andere Natur! Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert, München 2004. Ihr Fokus ist aber ein etwas anderer. Während die bisherigen Studien eher am breiten Überblick orientiert waren, wendet sich Faber in beispielhafter Anschaulichkeit dem Zusammenwirken beider Medien in der künstlerischen Praxis zu. Sie gräbt – am Beispiel der österreichischen Malerei – stichprobenartig in die Tiefe und leuchtet das Verhältnis der beiden Medien im künstlerischen Alltag aus. Der Band präsentiert sich im Untertitel als „Materialiensammlung“, die grafisch überaus gelungen zusammengehalten wird. Lediglich ein Register im Anhang hätte man sich angesichts des bausteinartigen Prinzips dieser Publikation gewünscht.

Die These, dass die Malerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ohne die Fotografie nicht zu denken ist, ist nicht neu, auch wenn, wie Faber zeigt, immer noch am Mythos festgehalten werde, dass nämlich das Eindringen der Fotografie in die bildende Kunst ein verschämter Akt gewesen sei. Die Maler scheuten sich keineswegs, die verschiedenartigen Beiträge der Fotografie zu ihrer Kunst explizit und ohne Scheu zu benennen. Am Beispiel zahlreicher Künstler, etwa August von Pettenkofen, Josef Obermüllner, Hans Makart, Carl Rudolf Huber, Leopold Müller, Franz von Lenbach und anderer, zeigt Faber, wie komplex das Zusammenwirken zwischen Fotografie und Kunst war. Die einzelnen Untersuchungen reichen von der quantitativen Erhebung der fotografierenden Künstler bis hin zu Detailanalysen einzelner Kunstwerke, die fotografische Anleihen aufweisen. Sie erstrecken sich von der Beschreibung der fotografischen Praxis in den Ateliers der Künstler über die thematische Analyse fotografischer Vorlagensammlungen bis hin zur kommerziellen Logistik, mit der diese Fotosammlungen in den Kunstbetrieb eingespeist wurden.

Diesem letzteren Aspekt widmet sich im Katalog Michael Ponstingl in mehreren Detailaufnahmen. Er zeigt am Beispiel von Hermann Heid und Otto Schmidt, die sowohl als Fotografen wie auch als Fotoverleger tätig waren, die Verbreitungsstrategien fotografischer Bilder als künstlerische Fotovorlagen innerhalb der Malerszene. Besonders erfolgreich waren die beiden als Lieferanten von Aktaufnahmen (Heid fotografierte 2.500 Akte, Schmidt über 6.000), die, oft etikettiert als künstlerische Szenen, ihren Weg nicht nur in die Künstlerateliers fanden, sondern als erotische und pornografische Bilder auch darüber hinaus weit verbreitet waren.

Die immer wieder formulierte Ansicht, die Fotografie habe die Porträtmalerei in die Krise gestürzt, ist, so zeigt dieser Band, zu revidieren bzw. präzisieren. Zwar gibt es zahlreiche Beispiele für grafische Porträtisten, die in den 1840er und 50er Jahren ihr Metier aufgaben, aber es gab auch, freilich weniger ausgeprägt, die gegenteilige Tendenz. Und es gab auch, nicht zu vergessen, eine ganze Reihe von Malern, für die die Fotografie zum geleichberechtigten Ausdrucksmittel wurde. Der im Band angeführte Porträtlithofgraf Josef Kriehuber hörte als zeichnerischer Porträtist zu arbeiten auf, aber erst nachdem er das Hilfsmittel der Fotografie jahrelang in seine künstlerische Praxis integriert hatte. Josef Löwy hingegen ging den umgekehrten Weg, er begann als Pastellzeichner und Porträtlithograf und wandte sich in den 1850er Jahren ganz der Fotografie zu. Die lange Zeit behauptete Gegenüberstellung eines entweder oder entspricht nicht so recht den Grautönen der Praxis, in der die Fotografie auf ganz unterschiedliche Weise in den künstlerischen Prozess eingebunden wurde.

Besonderes Augenmerk legt die Autorin auf die Rolle, die die Fotografie im Kontext der Wiener Akademie der bildenden Künste spielte. Nicht weniger als 40 Studenten an der Akademie fotografierten selbst, tatsächlich waren es wohl noch deutlich mehr, da viele Quellen und Nachlässe verloren gegangen sind oder nicht (mehr) zugänglich sind. Trotz jahrelanger Recherchen konnte die Autorin kein Beispiel einer fotografierenden Künstlerin in der Wiener Kunstszene finden. Vermutlich hat es diese sehr wohl gegeben, aber einschlägige Quellen sind bis heute nicht auffindbar. Die Akademie als Brennpunkt der Forschung ist aber auch aus einem anderen Grund interessant: bereits seit 1854/55 kaufte die Bibliothek der Akademie systematisch Fotografien als künstlerische Vorlagen an. Die in jahrzehntelanger Arbeit aufgebaute Sammlung ist eine der am wenigsten bekannten aber nichtsdestotrotz herausragenden österreichischen Fotosammlungen im Bereich des 19. Jahrhunderts. Angekauft wurden nicht nur künstlerische Körperstudien, sondern auch Landschaften, Architektur, Stillleben, Stadtansichten, Bilder archäologischer Stätten, Genre- und Typenbilder, ethnografische Ansichten und sogar Kriegsbilder, teils von bekannten, international tätigen Fotografen.

Nach der Jahrhundertwende diagnostiziert Monika Faber einen Stimmungswandel unter den Künstlern, die sich der Fotografie bedienten. Zum einen wurde die Kamera immer selbstverständlicher im Atelier verwendet, die professionellen Fotografen, die im Auftrag der Künstler Szenen in und außerhalb des Ateliers entwerfen, verloren an Bedeutung. Albin Egger Lienz, Anton Kolig, Franz Matsch aber auch Gustav Klimt griffen so selbstverständlich wie auf die Vorzeichnungen auch auf den Fotoapparat als Skizzenmedium zurück, häufig stellten sie die fotografischen Bilder selber her. Die verwendeten Kameras wurden nun kleiner, eine Reihe von Künstlern arbeitete mit Kleinbildkameras wie etwa der Kodak, die nicht nur als Arbeitsgeräte, sondern auch in der Freizeit Verwendung fanden.

Die sogenannte „Kunstwertdebatte“, die in der künstlerischen Publizistik des 19. Jahrhunderts teils hohe Wellen schlug und sich mit der Frage beschäftigte, ob Fotografie denn Kunst sei, mutet eigentümlich akademisch an angesichts des skizzierten Blicks in die Praxis. Bis auf wenige Ausnahmen wurde der Fotografie die künstlerische Adelung ohnehin nicht zugestanden, in Österreich noch weniger als anderswo, wie Faber zeigt. Solange die Fotografie ein selbstverständlicher Teil der künstlerischen Praxis war, wurde er weder verschwiegen noch besonders betont. Das änderte sich in den ersten Jahren nach 1900, insbesondere um 1910. Zwar wurde die Fotografie in der Praxis weiterhin als selbstverständliches Hilfsmittel verwendet, aber ihre Rolle im öffentlichen Diskurs der Kunst begann sich allmählich zu ändern. Des Öfteren wurde die Fotografie als billige Handlangerin der Kunst angesehen, ihr „realistischer“ Beitrag begann im Kunstbereich anrüchig zu werden. Über Fotografie wurde nun immer öfter verschämt gesprochen, langsam verschwand sie aus dem öffentlichen Kunst-Diskurs. Was ist geschehen? Dieser spannende Umbruch im Verhältnis beider Medien wird im Band nur kurz angesprochen, er hätte eine Vertiefung durchaus verdient. Zum einen war um 1900 die Fotografie endgültig vom Handwerk zum industriell geprägten Massenmedium geworden. Dazu kam, dass etwa  im selben Zeitraum der Piktorialismus für die Fotografie künstlerische Anerkennung forderte und auch bekam. Damit bildete sich ein künstlerischer Konkurrenzdiskurs heraus. Nun waren es nicht nur die Fotografen, die sich von den Malern abheben mussten, sondern auch, umgekehrt, die Maler, die Originalität ohne den Beitrag der Fotografie behaupten mussten.

Im 20. Jahrhundert hatte die Fotografie weiterhin ihren Platz im Arsenal der Künstler. Es wäre durchaus lohnenswert, das Verhältnis der beiden Medien bis in die Gegenwart in einer ähnlich material- und quellenreichen Präsentationsform weiterzuverfolgen.

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