Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Anton Holzer

Ein Fotopionier im Hochgebirge

Urs Kneubühl, Markus Schürpf (Hg.): Jules Beck. Der erste Schweizer Hochgebirgsfotograf, Zürich: Scheidegger & Spiess, Bern: Alpines Museum der Schweiz, 2012, 31 x 25 cm, 272 S.,  275 Abb. in Duoton und 18 Abb. in Farbe, 87 Euro.

Erschienen in: Fotogeschichte 126, 2012

„Hinauf!“ – so lautete 1913 der Titel eines Fotobuches von Theodor Wundt, das das Lebensgefühl einer neuen Generation von Alpinisten auf den Punkt brachte. Seit den 1880er Jahren hatte eine neue Gruppe von Fotografen die Regie in der Hochgebirgsfotografie übernommen: die Amateure. Es handelte sich um Bergbegeisterte, die auf eigene Faust und meist ohne kommerzielles Interesse mit dem Fotografieren begannen. Seit um 1880 ein neues fotografisches Verfahren, die sogenannte „Trockenplatte“, das alte und komplizierte Nasse Kollodiumverfahren verdrängt hatte, war das Fotografieren auch für „Dilettanten“, also Nicht-Spezialisten, zugänglich geworden. Die neue Technik verwendete industriell gefertigte und bereits präparierte „trockene“ Platten, die ohne großen Aufwand und ohne besondere Kenntnisse belichtet werden konnten. Die Ausarbeitung konnte später, eventuell sogar von fremder Hand erfolgen. Solche Trockenplatten, schreibt der Wiener Oscar Kamer 1879, „erfreuen sich im Ganzen einer dauerhaften Gesundheit, ertragen Hitze und Kälte. Man kann sie als echte Kinder des Gebirges behandeln, wenn sie einmal in Casetten versehen, in ihrer hölzernen Behausung untergebracht sind.“ Als Beispiel führt er den Straßburger Amateurfotografen Jules Beck (1825–1904) an, der bereits mit der neuen Technik arbeite. „Herr Beck, dem vieljährige Erfahrungen bei photographischen Hochalpen-Touren zu Gebote stehen, plaidirt entschieden nur für Anwendung von Trocken-Platten. Er empfiehlt, dass Dilettanten sich gar nicht mit der „Hervorrufung“ der Negative befassen sollen, und braucht dann der Dilettant von den technischen Manipulationen gar nichts zu verstehen. Er selbst behauptet von sich, ein vollständiger Laie in der Photographie zu sein.“

Jules Beck (1825–1904) galt seit den 1870er Jahren als einer der führenden europäischen Fotoamateure, die sich v.a. der Gebirgsfotografie widmen. Geboren 1825 im Schweizerischen Biel, lebte Beck seit 1845 in Straßburg, wo er eine Kurzwarenhandlung betrieb und daneben genug Zeit fand, in den Sommermonaten in der Schweiz zu fotografieren. 1866 entstanden seine ersten Gebirgsaufnahmen, seit 1876 lebte er als „Privatier“ und konnte sich, finanziell gut abgesichert, ganz der Fotografie widmen. Oft verbrachte er im Sommer zwei Monate im Hochgebirge, reiste aber auch in andere Gegenden, etwa die Ostalpen, die Pyrenäen oder zum Ätna. Die meisten seiner Aufnahmen entstanden in den 1870er und 1880er Jahre, im Sommer 1890 nahm er sein letztes Bild auf.

Zwar gehört Beck nicht zu den ersten Fotografen, die im hochalpinen Gelände unterwegs waren, bereits wenige Jahre nach der ersten öffentlichen Präsentation des Mediums, entstanden erste Gebirgsaufnahmen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Eine Daguerreotypie von Jean Gustave Dardel (1824–1899) aus dem Jahr 1849 zeigt das 3462 Meter hohe Scheuchzerhorn und im Vordergrund den Thierberg-Gletscher in den Berner Alpen. In den Jahren 1849 und 1850 daguerreotypierte auch Camille Barnabé aus Lyon Gletscher und Berggipfel in der Schweiz. Seit Mitte der 1850er Jahre machten die Pariser Brüder Bisson Gletscheraufnahmen. Während Dardel und Barnabé kleinformatige Unikate, nämlich Daguerreotypien, herstellten, arbeiteten die Brüder Bisson und andere Fotografen der zweiten Generation mit einer neuen Technik, dem sog. Nassen Kollodiumverfahren.

Jules Beck, dem der vorliegende Band gewidmet ist, gehört also gewissermaßen der dritten Generation von Gebirgsfotografen an. Dass er im Untertitel der Publikation dennoch als der „erste Schweizer Hochgebirgsfotograf“ bezeichnet werden kann, hat durchaus seine Berechtigung. Denn Beck war – im Unterschied zu zahlreichen seiner Vorgänger und Zeitgenossen – gebürtiger Schweizer (und nicht etwa nicht Franzose, Engländer oder Italiener, die die Gebirgsfotografie dieser Zeit dominierten). Außerdem hat er, so betonen die beiden Herausgeber, Urs Kneubühl und Markus Schürpf, die Hochgebirgsfotografie von Grund auf erneuert, indem er die Ausrüstung reduzierte (auf ca. 15 Kilogramm), auf teure Expeditionen verzichtete (er heuerte meist nur zwei, drei Träger an) und auf diese Weise die Fotografie „mobil“ machte. Tatsächlich gelangen Beck, der als einer der ersten Gebirgsfotografen mit dem sog. Trockenplattenverfahren arbeitete, zahlreiche überaus faszinierende Bergansichten. Er verstand es, durch überlegte Wahl des Kamerastandpunktes, durch geschickte Positionierung von Staffagefiguren im Vorder- oder Mittelgrund noch nie gesehene Hochgebirgslandschaften auf die Fotoplatte zu bannen.

Der wunderbar aufgemachte und gestaltete Band, vor kurzem im Zürcher Verlag Scheidegger & Spiess erschienen, stellt also einen Pionier der Gebirgsfotografie vor, der bisher nur in Fachkreisen bekannt war, aber dessen Werk bisher nicht umfassend erschlossen und öffentlich präsentiert war. Es ist das Verdienst des Schweizerischen Alpinen Clubs und dessen Museums in Bern, in den letzten Jahren den schriftlichen und bildlichen Nachlass des Fotografen gesichtet erforscht zu haben. 2010/11 wurde aus dem Bestand eine Ausstellung gestaltet, nun folgt eine fundierte Veröffentlichung in Buchform. Man kann ohne Zweifel attestieren, dass sich die Mühe der Archivarbeit gelohnt hat. Der sorgfältig recherchierte, gut geschriebene Band stellt Beck erstmals umfassend dar. Zwar hätte man sich gewünscht, dass die Vorgeschichte der Hochgebirgsfotografie etwas detaillierter dargestellt wird und dass fotografische das Umfeld, in dem der Fotograf tätig war, in größerer Breite geschildert wird. Aber diese Defizite kompensiert ohne weiteres die genaue Darstellung von Becks Biografie und Werk ebenso wie die wunderbar (meist auf der Basis der erhaltenen Glasplattennegative) gedruckten Abbildungen, inklusive einiger atemberaubender Panoramaaufnahmen, die auf ausklappbaren Doppelseiten dargestellt sind. Diese aufwändige Präsentation rechtfertigt auch den recht hohen Preis der Publikation. Ein detaillierter Anhang bietet ein Register, berichtet über Becks eigene Veröffentlichungen, enthält Detailinformationen zu seiner Lebensgeschichte und listet auch ein Gesamtverzeichnis seiner Aufnahmen inkl. Aufnahmedatum auf. Damit ist wohl auch die Einladung ausgesprochen, weitere Forschungen zu diesem Fotografen anzustellen und zusätzliche Facetten seiner fotografischen Arbeit zu präsentieren.

Bereits zu Lebezeiten schenkte Jules Beck seine fotografische Sammlung dem Schweizer Alpen-Club, Sektion Bern. 1907, wenige Jahre nach seinem Tod (1904), fand im Berner Kunstmuseum eine größere Ausstellung seiner Bilder statt. Danach wurde es still um dem Fotografen, seine meist ruhigen, breit angelegten Landschaftsaufnahmen wurden von dramatischeren Bergbildern, etwa Kletterszenen, die ab der Jahrhundertwende größere Verbreitung fanden, verdrängt. Erst Ende der 1980er Jahre wurde Beck allmählich wiederentdeckt. Die ersten musealen Präsentationen, die einige seiner Bilder zeigten, kamen allerdings zustande, ohne den Reichtum seines Archivs genauer zu kennen oder zu erforschen. Es ist das Verdienst der vorliegenden Publikation, Jules Beck und sein Werk erstmals in umfassender Form erforscht und dargestellt zu haben. Im Zuge dieser Recherchen tauchten auch zahlreiche neue Details zur Lebensgeschichte des Fotografen auf. Und es wurde auch bekannt, dass Beck nicht nur ein guter Fotograf, sondern auch ein passionierter Fotosammler war. Er hat im Laufe der Jahre an die 1700 Abzüge von rund 80 Gebirgsfotografen gesammelt, darunter von zeitgenössischen Stars wie Vittorio Sella und dem jung verstorbenen William F. Donkin. Es wäre spannend, diesen biografischen und bildlichen Querbeziehungen ein neuerliches Ausstellungs- und Publikationsprojekt zu widmen.

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